"Aufstand der Kopftuchmädchen", so heißt Lale Akgüns Buch, aus dem sie am Donnerstag in Berlin zum ersten Mal öffentlich las. Der Titel ist Programm, außer, dass es nach Ansicht der ehemaligen Bundestagsabgeordneten die nach Sarrazin so oft zitierten "Kopftuchmädchen" gar nicht geben dürfte. Sie plädiert für eine zeitgemäße Interpretation der islamischen Schrift. Gebote wie die des Kopftuchtragens, des fünfmaligen täglichen Betens oder des in Koranschulen oft praktizierten strikten Auswendiglernen arabischer Suren sind für sie reine Unterdrückungsmethoden der Imame. "Gott spricht kein Arabisch, er spricht überhaupt keine Sprache", zitierte sie aus ihrem Buch. Sprache sei vielmehr ein Mittel der Kommunikation, das Gott für Menschen gemacht habe. Daher sei es egal, ob die Schrift auf Arabisch, Englisch oder Deutsch gelesen werde.
Ein Islam ohne Kopftücher und Gebetsräume
Das Wort Kopftuch komme nirgendwo im Koran vor, erklärte die Kölnerin. Stattdessen spreche der Text von Bedeckung und damit wiederum sei ihrer Meinung nach nicht das Haupt der Frau gemeint, sondern ihre Brust. "Jede andere Deutung ist völlig abwegig", findet Akgün. Deshalb plädiert sie für ein Kopftuchverbot bei Mädchen bis 14 Jahren in Schulen und Kindergärten. "Das Kopftuch ist ein Mittel der Abgrenzung, ein Relikt aus alten Tagen", sagte sie, und weiter: "Sich frei zu zeigen, ist ein Menschenrecht."
Auch Gebetsräume an Schulen lehnt sie ab. "Das hat nichts mit dem Gespräch mit Gott zu tun, das ist reine Demonstration", erklärte Akgün. Auch müssten Muslime nicht zwangsläufig fünf Mal am Tag beten, ein oder zwei Mal genüge auch. Gläubige müssten "den Geist hinter den Buchstaben finden". Es gehe bei der Religion nicht um "vordergründige Moral", sondern um "den ethischen Hintergrund" des Glaubens. So hält sie die Weisung, Muslime sollten regelmäßig spenden, für nicht mehr gültig. Durch das moderne Sozialsystem leisteten sie bereits eine Abgabe, die der muslimischen Regel der Abgaben an Bedürftige, einer der fünf Säulen des Islam, gleich komme. Akgün verurteilte zudem die strenge Sexualmoral vieler Muslime. Wenn Islamisten jedes Zusammentreffen von Mann und Frau zu sexuellen Zusammenkünften stilisierten und deshalb ablehnten, ja sogar das Händeschütteln verböten, zeige das nur, dass sie permanent nur an das eine dächten.
"Konservative Vereine am Drücker"
Ein reformierter Islam könne hingegen durchaus mit Demokratie vereinbar sein, sagte Akgün. Ihm im Weg stünden in Deutschland vor allem die Islamverbände, die für sich in Anspruch nähmen, alle Muslime zu vertreten, in Wahrheit aber nur die Überzeugungen eines Bruchteils teilten. "In Deutschland sitzen konservative Vereine am Drücker", sagte Akgün. Und nicht nur diese vermittelten ein falsches Bild vom muslimischen Glauben. Auch die Medien seien nicht unschuldig am schlechten Image der Religion. So überbetonten sie etwa die Bestrebungen der radikalen Salafisten um den Konvertiten Pierre Vogel. Doch längst nicht alle Muslime dächten wie Vogel.
Es gehe nun darum, die breite Masse für eine Reform zu gewinnen. Glaubt man Akgüns Worten, wird das von ganz alleine passieren und zwar in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren. Weil muslimische Frauen immer häufiger studierten und immer gebildeter seien, würden sie sich irgendwann selbst aus ihrem Gefängnis befreien, hofft sie. "Es wird einen Aufstand gegen die Unterdrückung geben", prophezeite sie. Wie verhärtet die Grenzen zwischen Tradition und Moderne tatsächlich sind, zeigte sich dann noch am Abend ihrer Buchvorstellung. Der endete nämlich mit wütenden Zwischenrufen aufgebrachter männlicher Muslime. Wovon Akgün schreibe, habe nichts mit dem wahren Islam zu tun, hallte es durch den Vortragssaal. Die ausgebildete Psychologin konterte gelassen: "Es wird Zeit, dass auch Leute wie ich den Mund aufmachen." (pro)