„Ein Mensch ohne Ausschalter

Die volle Wucht der Sarrazin-Debatte im Spätsommer des vergangenen Jahres hat Kirsten Heisig nicht mehr miterlebt – doch sie hätte sicherlich einiges dazu zu sagen gehabt. Am 9. März sendet "Das Erste" ein Portrait der verstorbenen Jugendrichterin. Es zeigt eine Frau, die vor allem im Umgang mit jugendlichen Migranten als "knallhart" galt und letztendlich daran scheiterte, zugleich Richterin, Sozialarbeiterin, Mutter und Ehefrau zu sein.

Von PRO

"Sie war morgens Richterin und abends Sozialarbeiterin", sagte der Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky einst über Kirsten Heisig. Es war kurz nach ihrem Tod im Juli 2010. Heisig hatte, das steht heute zweifelsfrei fest, Selbstmord begangen. "Das Erste" zeigt am 9. März um 22.45 Uhr die Dokumentation "Tod einer Richterin – Auf den Spuren von Kirsten Heisig". Der Film von Güner Balci und Nicola Graef will dem Mythos um die Frau, die nicht nur Recht sprechen, sondern die Ursachen der Gewalt jugendlicher Migranten bekämpfen wollte, auf den Grund gehen.

"Sie ist schlimmer als der Teufel!"

In ihrem Buch "Das Ende der Geduld", das kurz nach ihrem Suizid erschien, stellt Heisig fest, dass schwerkriminelle Wiederholungstäter überwiegend einen Migrationshintergrund haben. Sie kritisiert, dass Lehrer, Jugendamt, Polizisten und Justiz in der Vergangenheit nicht in der Lage waren, eine im Elternhaus unterbliebene Grenzsetzung aufzufangen, findet, die Gerichte behandelten jugendliche Straftäter zu milde. Um die wachsenden Probleme in sozialen Brennpunkten zu bewältigen, schlägt sie unter anderem vor, dauerhaft schwierige Jugendliche, die gewalttätig sind, in einer sozialpädagogischen geschlossenen Einrichtung unterzubringen. Im Film kommt der junge Giram zu Wort, der in der Vergangenheit bereits von der Richterin verurteilt worden war. Weil sie als "knallhart" galt und den richterlichen Strafbemessungsraum immer voll ausnutzte, habe er damals gedacht: "Sie ist schlimmer als der Teufel für uns."

Doch "Tod einer Richterin" zeigt auch eine andere Seite Heisigs. Sie setzte nicht blind auf Strafe. Sie bemühte sich auch nach ihrer regulären Arbeitszeit um die Jugendlichen in Neukölln, ihrem Tätigkeitsgebiet. Gemeinsam mit Schulen oder einem türkischen Väterverein organisierte sie Präventionsveranstaltungen, versuchte, die Eltern potentieller Straftäter darüber aufzuklären, dass ihre Erziehung eines Tages der Grund für die Gewalttaten ihrer Kinder sein könne. "Es tut mir Leid, dass ich Ihre Kinder wegsperre, aber ich muss es tun, damit sie sich besinnen", soll sie in Veranstaltungen gesagt haben. Buschkowsky beschreibt sie in der Dokumentation als "Mensch ohne Ausschalter" und "hoch engagiert". Heisig war eine Frau der Öffentlichkeit, trat gerne im Fernsehen auf und formulierte in Interviews scharfe Thesen, etwa mit der an Berliner Eltern gerichteten Zeile: "Ich bringe eure Söhne ins Gefängnis!" Unter Kollegen galt sie deshalb auch als "mediengeil", wie Bekannte der Verstorbenen im Film erklärten. Viele seien der Meinung gewesen, Richter gehörten nicht in die Öffentlichkeit. Rasch habe sich eine Art "Antistimmung" gegen Heisig verbreitet. Die Welt verbessern zu wollen, passe nicht zum Berufsbild einer Juristin. Heisig sah das anders: "Wir Richter müssen versuchen, Einfluss zu nehmen", sagt sie in einer von vielen Aufnahme aus dem Archiv, mit denen die Dokumentation angereichert ist.

Mord aus Rache ausgeschlossen

Im Jahr 2008 trennen sich Kirsten Heisig und ihr Mann, die Kinder bleiben bei ihm. Sie zieht aus, sieht ihre Töchter nur noch am Wochenende. Viel mehr erfahren die Zuschauer nicht über das private Leben der als "Richterin Gnadenlos" verschrienen Frau. Dafür räumt der Film mit Gerüchten um die mysteriösen Umstände ihres Todes auf. Aus der Obduktion gehe ganz klar hervor, dass die damals 49-Jährige ihren Tod selbst gewählt hat. Obwohl sie viele Feinde gehabt habe, sei ein Mord aus Rache auszuschließen. Schon Monate zuvor habe sie einen Selbstmordversuch unternommen, der aber scheiterte.

Doch neben den vielen Feinden, auch das zeigt der Film, hat Heisig sich mit ihrer Arbeit auch Freunde gemacht. Unter den Kollegen im Gericht, aber auch unter jenen, deren Söhne und Töchter sie erziehen wollte. "Menschen wie sie kommen nicht jeden Tag auf die Welt", sagt ein Mitglied der türkischen Vätergruppe Neukölln im Interview. Als er von ihrem Tod erfahren habe, habe er eine Stunde lang geweint. (pro)

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