Vor fünf Jahren hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel den Satz gesagt „Wir schaffen das“. Aktuell steht die Gesellschaft weiterhin vor gewaltigen Zerreißproben und polarisierenden Tendenzen. Wie das Zusammenleben trotz aller religiösen und kulturellen Unterschiede gelingen kann, haben Annette Friese und Asfa-Wossen Asserate in ihrem Buch „Toleranz – Schaffen wir das?“ mithilfe zahlreicher Experten aus Religion, Wissenschaft und Kultur heraus gearbeitet.
Prinz Asfa-Wossen Asserate, Großneffe des letzen äthiopischen Kaisers, berichtete im Rahmen der Online-Pressekonferenz, dass er 1968 zum Studium nach Deutschland gekommen sei. 1974 wurde er durch die politische Situation in seinem Heimatland zum Flüchtling: „Ich war gut integriert, weil ich etwas über Deutschland wusste“, blickt er zurück. Den heutigen Flüchtlingen fehle das. Ein erster wichtiger Schritt zur Integration sei die Chance, die Möglichkeit die deutsche Sprache zu lernen.
Er blicke mit Angst auf die aktuelle Entwicklung, in der sich Politik, Religion und Gesellschaft radikalisierten. Die Menschen müssten alles tun, damit wieder „Normalität“ möglich sei. Dazu gehöre es auch, sich gegenseitig mit seinen Einstellungen und Werten zu verstehen. Mitherausgeberin Annette Friese verwies auf die Entstehung des Buches. Beim Katholikentag in Münster habe sie Asserates Zeremonie mit anderen Religionsvertretern beeindruckt, in der sie einander Toleranz und gegenseitigen Gewaltverzicht versprochen hätten: „Das war ein Akt voller Hoffnung und Güte.“
„Einer der klügsten politischen Sätze der letzten zehn Jahre“
In der Auswahl des Titels habe sie den Merkel-Satz von vor fünf Jahren in eine Frage umgewandelt. Aus Frieses Sicht war Merkels Satz „alternativlos und einer der intelligentesten und klügsten Sätze im politischen Bereich der letzen zehn Jahre“. Er solle auch ein täglicher Ansporn an uns selbst sein, das Fremde und Andere als Bereicherung zu empfinden.
Eine der Autorinnen, Christina Brudereck, hatte sich mit der Toleranz der Sprache beschäftigt. Diese habe zwei Facetten: sie könne hetzen, diskriminieren und ausschließen, aber auch heilen, übersetzen und verbinden: „Die Sprache kann Menschen zu Menschen bringen und als Schatz verstanden werden.“ Sprache sei keine Sache von Bildung, sondern eine Frage der Herzensbildung.
Für sie beginne das Sprechen mit dem Zuhören. Durch die sozialen Netzwerke sei heute oft schnelle und unsachliche Kritik möglich. Auch die sozialen Netzwerke benötigten eine Ethik. Für sie persönlich sei das persönliche Gespräch mit Jüngeren, Älteren und diversen Minderheiten wertvoll, nicht nur als Toleranzübung, sondern auch weil es sie bereichere.
Rückzug aus gesellschaftlichen Diskursen
Mitautorin Sabine Marx sprach davon, dass in den sozialen Netzwerken gerade auch eine toxische Enthemmung stattfinde. Viele verhielten sich – oft im Schutz der Anonymität – grob, unhöflich und aggressiv. Eine gewaltvolle und hauerfüllte Sprache habe es schon immer gegeben. Die Menschen zögen sich aber mittlerweile auch aus gesellschaftlichen Diskursen zurück.
Die Grenzen zur analogen Welt seien fließend. Vieles aus dem Internet würde auf die Straße und in das reale Leben getragen: „Das Internet ist kein guter oder schlechter Ort: es kommt drauf an, was wir daraus machen“, sagte Marx. Sie warb darum, klare Grenzen zur Intoleranz zu ziehen. Dabei seien alle gefordert, auch in dem sie nicht alle Aussagen umkommentiert stehen lassen.
Bambergs Erzbischof Ludwig Schick betonte im Rahmen der Pressekonferenz, dass Religion nicht instrumentalisiert oder zweckentfremdet werden dürfe. Religion sei an sich friedlich und tolerant. Ihre Vertreter sollten mit anderen religiösen Vertretern im Dialog sein und dort helfen, wo konkrete Hilfe notwendig ist. Dies sei ein Ansatzpunkt für eine friedlichere Welt und gegen Intoleranz und Egoismen. Der Theologe Eckhard Nordhofen machte deutlich, dass Dialog in religiösen Fragen erst stattfinden kann, wenn alle auf Gewalt verzichteten.
„Ein Staat, der die menschliche Würde schützt“
Denjenigen, die nach Deutschland kommen, empfahl Mitherausgeber Asserate, zu versuchen den Lebensstil zu betrachten und zu verstehen. „Es geht nicht um Assimilation, aber es geht darum, die deutsche Kultur lieben zu lernen und zu begreifen, dass in dem wunderbaren Staat der Mensch und seine persönliche Würde geschützt“ werden. Er könne die Skepsis vieler Menschen aufgrund hoher Flüchtlingszahlen verstehen. Die europäische Politik dürfe keine Staaten subventionieren, die dafür verantwortlich sind, dass Flüchtlinge direkt oder indirekt nach Deutschland kämen.
Von: Johannes Blöcher-Weil