Ein historischer Schritt für die Türkei?



Die Türkei hat eine Verordnung erlassen, wonach sie Vertretern der anerkannten christlichen und jüdischen Minderheiten ihren Besitz zurückerstattet und ihnen enteignete Immobilien zurückgibt. Für die katholische Kirche oder die lutherische Glaubensgemeinschaft sowie Kurden oder Aramäer, die nicht im Vertrag von Lausanne aufgeführt sind, gilt diese Regelung nicht.
Von PRO

Der türkische Nachrichtensender "NTV" meldet, dass davon alle im Jahr
1936 als Stiftungsbesitz angemeldeten Gebäude betroffen sind. Sollten
die Immobilien inzwischen an Dritte verkauft worden sein, würden die
Altbesitzer entschädigt.

 Vor allem Politiker und kirchliche Würdenträger werteten dies als
historischen Schritt zur Besserstellung von Christen und Juden im Land.
Eine Anwältin der Christen begrüßte, laut "RP Online" die Geste, die
kurz vor einem Treffen von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan mit
Vertretern der nicht-muslimischen Minderheiten am Wochenende bekannt
wurde. Laut Online-Nachrichtenportal "Sueddeutsche.de" zählten Streitigkeiten um enteigneten Kirchenbesitz bisher zu den größten
Problemen der Christen in der Türkei.


Erdogan hatte sich am Sonntag mit Vertretern von 161 nicht-muslimischen Stiftungen der Türkei zu einem Essen zum Fastenbrechen im Archäologischen Museum in Istanbul getroffen. Dies war ein Novum in der türkischen Geschichte. Der Politiker betonte dort, dass das türkische Volk aus einem einzigartigen Erfahrungsschatz schöpfe. Die türkische Regierung unter Führung der AKP (deutsch: Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) habe in den vergangenen neun Jahren entschieden für die Demokratisierung und gegen das Unrecht gekämpft. Bestrebungen, die das friedliche Zusammenleben torpedieren, verurteilte der Politiker und sprach die Hoffnung aus, dass dies der Vergangenheit angehöre.



"Korrektur eines Unrechts"



Die Verordnung betrifft auch zahlreiche Immobilien in bester Marktlage in Istanbul und dürfte die Türkei mehrere Milliarden Euro kosten. Bereits in den Jahren 2003 und 2008 hatte die Erdogan-Regierung Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht, um die Rechtsstellung der nichtmuslimischen Stiftungen zu verbessern. Mit dem jüngsten Vorstoß entfällt für die Stiftungen nun endgültig die Notwendigkeit, sich ihren Besitz vor Gericht zu erstreiten.



Das Internetportal "www.migazin.de" zitiert den jüdischen Großrabbiner Ishak Haleva mit den Worten: "Heute ist ein historischer Tag. Das Licht des Osmanisches Reiches leuchtet weiter." Auch der griechisch-orthodoxe Patriarch Bartholomäus bedankte sich bei der türkischen Regierung für die "Korrektur eines Unrechts". Der syrisch-orthodoxe Erzbischof Yusuf Çetin äußerte sogar die Hoffnung, nun auch mit dem Bau neuer Kirchen beginnen zu können.

Schwieriger wird es, laut "Welt Online" für Kirchen, die nicht über Stiftungen organisiert sind. Die katholische Kirche lehnt diese Rechtsform ab, weil religiöse Stiftungen den Weisungen des Religionsdirektorats unterliegen, also eigentlich dem Staat untertan sind. Die Forderung der westlichen Kirchen nach einem brauchbaren Rechtsstatus, der ihre juristische Existenz, aber auch ihre Unabhängigkeit gewährleisten würde, bleibt vorerst ungelöst.

Gesellschaft für Menschenrechte äußert Zweifel

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) hat unterdessen ihre Zweifel an der Entscheidung der Türkei, konfisziertes Eigentum an christliche Kirchen zurückzugeben bekundet. Der türkischen Regierung habe es seit Jahren frei gestanden, Enteignungen rückgängig zu machen, verweist die Nachrichtenagentur dpa auf eine Mitteilung der Organisation am Dienstag: "Stattdessen wurden die früheren Besitzer mit minderwertigem Boden für teure Stadtgrundstücke abgespeist oder vertröstet".


Dem Versprechen des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan müsse man mit Skepsis begegnen, heißt es bei der IGFM. Mit seiner Ankündigung verpflichte Erdogan die Enteigneten vielmehr zum Warten und Stillhalten. Die türkische Regierung hatte in einem Erlass angeordnet, enteignete Immobilien an religiöse Gemeinschaften zurückzugeben. (pro)

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