Ein evangelischer Brief an den Papst

Bei seinem Deutschlandbesuch will Papst Benedikt XVI. auch das Augustinerkloster in Erfurt besuchen, in dem Martin Luther mehrere Jahre gelebt hatte. 18 evangelische Christen, darunter Ulrich Parzany, Christine Schirrmacher und Martin Dreyer, nehmen dies zum Anlass, in persönlichen Briefen an den Papst konkrete Erwartungen zum konfessionellen Miteinander und zum Kampf gegen aktuelle Probleme zu äußern. Die Briefe erscheinen am 22. August im säkularen Knaur Verlag in dem Buch "Lieber Bruder in Rom". pro nennt vorab wesentliche Wünsche.
Von PRO

So zahlreich die Autoren sind, so vielfältig scheinen auch die Anliegen ihrer Briefe. Nicht immer diplomatisch zeigen sie auf, wo die drängenden Fragen der Ökumene liegen. In ihren Essays behandeln sie "Herzschlagthemen zwischen Luther und Benedikt, zwischen evangelisch und katholisch und zwischen Kirche und Gesellschaft", wie Dominik Klenk, Medienpädagoge, Journalist und Leiter der "Offensive Junger Christen", als einer der Herausgeber im Vorwort des Buches schreibt. Die Briefesammlung dokumentiert die Suche nach Einheit in den großen und kleinen Themen des kirchlichen Lebens.

Die 18 evangelischen Christen formulieren in ihren Aufrufen reichlich verschiedene Einschätzungen, wie die Ökumene zwischen Protestanten und Katholiken ganz praktisch aussehen kann. Das betrifft nicht nur Bereiche wie Armut und Sexualität, sondern auch den Umgang mit dem Islam und die Mission. Immer wieder erinnern die Schreiber an den Einfluss des Papstes, durch den er das christliche Zeugnis verbreiten kann. "Wäre es nicht gut, wenn Sie mit ansteckender Leidenschaft die Bibel den Menschen ans Herz legen würden?", fragt "Jesus Freaks"-Gründer und "Volxbibel"-Autor Martin Dreyer Benedikt XVI. auffordernd. In der heutigen Gesellschaft brauche die Bibel Übersetzer, welche die Botschaft auslegten und verständlich machten. "Sie können dies im Großen tun als Papst, als Heiliger Vater, in der Vollmacht Ihres Amtes."

Dass der Papst die Möglichkeit hat, auf der gesamten Welt eine Vielzahl von Menschen zu erreichen, ist auch für Christoph Waffenschmidt, Vorstandsvorsitzender des Kinderhilfswerks "World Vision", von großer Bedeutung. Die päpstliche Macht für acht Millionen leidende Kinder einzusetzen, "ist nicht nur meine Hoffnung, sondern meine aufrichtige Erwartung als Bruder". Waffenschmidt sieht in Benedikt XVI. "einen Verbündeten im weltweiten Kampf gegen Armut, Hunger, Krankheit, Unterdrückung und Konflikte". Es sei an der Zeit, mit einer gemeinsamen, konfessionsübergreifenden Erklärung gegen die Armut anzukämpfen und den Leidenden eine Stimme zu geben, damit sie in der Welt Gehör fänden.

"Schalten Sie um auf Mission"

Streitpunkte werden in den Briefen ausgespart, vielmehr steht das große Ganze im Mittelpunkt: Eine Zusammenarbeit, die auf der Bibel basiert. Denn alle Christen vereine unabhängig von Konfessionen die Verbreitung des Evangeliums, schreibt der Pfarrer, Evangelist und Leiter von "ProChrist" Ulrich Parzany an das Oberhaupt der katholischen Kirche – wohl wissend um tiefgreifende Unterschiede in den kirchlichen Ordnungen. "Ich bitte Sie, ermöglichen Sie die Zusammenarbeit in der Evangelisation über die Kirchengrenzen hinweg." Es gebe "tiefe und herzliche Verbindungen" zwischen römisch-katholischen und evangelischen Christen. "Ich bin überzeugt, dass unsere leidenschaftliche Liebe zu Jesus Christus uns stärker zusammenbindet, als die unterschiedlichen Erkenntnisse uns trennen können."

Auch der CSU-Politiker Günther Beckstein sieht das Erfolgsrezept für kirchliches Handeln in der Zusammenarbeit. "Wir brauchen eine starke Volkskirche, und daher brauchen wir auch ein gutes ökumenisches Miteinander." Erfreut schaut er in seiner Botschaft an den Papst auf die gemeinsamen Errungenschaften zurück: gemeinsame Bibeltage, konfessionsübergreifende Gebete und das ökumenische Miteinander. Doch mahnt er, dass diese Anstrengungen einer Fortsetzung bedürfen, "vielleicht sogar einer Steigerung". Denn sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche sind der Ort, "an dem christliche Werte erfahrbar gemacht werden".

Eine ähnliche Ansicht vertritt auch Roland Werner, Generalsekretär des CVJM-Gesamtverbandes in Deutschland. "Wir können alle apostolische Kirche sein, Kirche, die auf dem Glauben der Apostel allein gegründet ist", schreibt er in seinem Brief an Benedikt XVI. Mission erwachse aus der Einheit der Jünger. Daher formuliert Werner seine Botschaft ganz deutlich: "Schalten Sie um auf Mission!" Ein ehrlicher Blick in die Geschichte zeige, dass Christen ihrem Auftrag in der Vergangenheit häufig untreu gewesen seien. Uneinigkeit sei oft das größte Hindernis gewesen.

"Klare Worte gegen den politischen Islam"

Die Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher erinnert in ihrem Aufruf ein weiteres Mal daran, dass die Kirche konfessionsübergreifend zu Herausforderungen der Zeit Stellung nehmen muss. Der Islam gehe alle etwas an, so beginnt sie ihren Brief. Gerade Christen teilten in dieser Hinsicht viele gemeinsame Anliegen und könnten daher in einen "fruchtbaren Dialog" mit Muslimen eintreten. Dass das Thema Religionsfreiheit in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen werde, sei durchaus der katholischen Kirche zu verdanken: "Sie haben das Thema ‚Christen in islamischen Ländern‘ immer wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt." Papst Benedikt XVI. habe nicht zuletzt mit seiner Reise in die Türkei Akzente gesetzt.

Um Antworten auf die "Herausforderung" zu bekommen, seien "klare Worte" gegen das Wirken des politischen Islams nötig. Schirrmacher formuliert daher vier konkrete Bitten an den Papst: Sie fordert theologische Klarheit in der Auseinandersetzung mit dem Islam, denn nur ein "selbstbewusster Christ wird zum Dialogpartner auf Augenhöhe". Das bedürfe des Mutes, in Zukunft auch "politisch unbequeme Wahrheiten anzusprechen" und Defizite der Religionsfreiheit klar zu benennen. Ferner müsse sich der Papst über die Konfessionen hinweg auch verstärkt für die Christen einsetzen, die nicht zur katholischen Kirchen gehören. Ebenso fordert die Islamwissenschaftlerin, dass der Papst stärker für verfolgte Christen eintreten müsse. Nur unter diesen Voraussetzungen könnten Christen als Einheit auftreten.

"Zölibat verführt zum Doppelleben"

Doch auch Kritik bleibt nicht aus. Gerade die Ereignisse des letzten Jahres, der Missbrauchsskandal innerhalb der katholischen Kirche, waren Auslöser, das Konzept des Zölibats erneut zu diskutieren. Die Theologin und Berliner Gefängnisseelsorgerin Astrid Eichler kritisiert die "Ordnung, die Menschen zu einem Doppelleben verführt". "Ich kann einfach nicht verstehen, warum Sie in Ihrer Kirche den Zölibat, diese Freiheit der Liebe, diese besondere Beziehung zwischen einem Menschen und seinem Gott zu einer Bedingung machen für das Priesteramt." Die Regel des Zölibats werde der eigenen Kirche zu Last.

Einen etwas anderen Blick auf die Ökumene liefert der ARD-Hauptstadtkorrespondent Markus Spieker. "Sie haben die richtige Denke, aber die falsche Musik", stellt er in seinem Essay an den Papst fest. In einem sehr persönlichen Brief, den er als "Plädoyer an die Schönheit" beschreibt, fordert er mehr Ästhetik in der katholischen Kirche, die in Form von moderner Musik Eingang in die "Heiligen Räume" finden könne. "Kirchliche Akademien und theologische Fakultäten verharren in der Retrospektive." In US-amerikanischen Gottesdiensten seien Jazz, Blues und Gospel eine Selbstverständlichkeit. Dort sei auf ästhetische Weise Modernes in das kirchliches Angebot und die Tradition integriert worden. "Ich würde mir wünschen, dass Katholiken und Protestanten sich verstärkt gemeinsam bemühen, der Welt nicht nur mit ‚guten‘, sondern auch mit ‚schönen‘ Werken Appetit auf Gott zu machen."

Im Nachwort der Briefesammlung zieht der Heidelberger Philosoph Robert Spaemann das Fazit: "Einheit wird hier nicht auf der Grundlage des Minimums, sondern des Maximums gesucht." Dass dies gar nicht so schwer sein muss, zeigen die zahlreichen Ideen der Autoren. Wichtige Gebiete des christlichen Glaubens und Lebens werden in dem Buch angesprochen, jeder Briefeschreiber steht für ein spezielles Aufgabenfeld. Alle kommen sie zu dem Ergebnis: Beide Kirchen sind von vielen Unterschieden geprägt. Doch wie das Buch zeigt, ist Ökumene ein sich entwickelnder Prozess: eine Geschichte vom Suchen und Finden möglichst vieler Gemeinsamkeiten. (pro)

Dominik Klenk (Hrsg.): "Lieber Bruder in Rom! Ein evangelischer Brief an den Papst.", Knaur Taschenbuch Verlag, München 2011, 160 Seiten, ISBN: 978-3-426-78524-9, 7,99 EUR, erscheint am 22. August 2011.

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