Am 9. April jährt sich der Todestag Dietrich Bonhoeffers zum 70. Mal. Der amerikanische Theologe Charles Marsh hat sich in einer neuen Biografie intensiv mit dem Widerstandskämpfer und dessen Lebensgeschichte beschäftigt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Bonhoeffers Leben keineswegs so geradlinig und ungebrochen verlaufen ist, wie es oft dargestellt wird. Eine Rezension von Johannes Weil
Am 09. April vor 70 Jahren wurde mit Dietrich Bonhoeffer einer der bekanntesten protestantischen Widerstandskämpfer von den Nazis ermordet
Als sechstes von acht Kindern kommt Bonhoeffer am 4. Februar 1906 in Breslau zur Welt. Sein Vater Karl ist ein angesehener Psychologe, was der Familie Wohlstand ermöglicht. Dietrich Bonhoeffer ist sechs Jahre alt, als sein Vater einen Ruf an die Universität in Berlin erhält. In Grunewald genießen die Bonhoeffers die ländliche Atmosphäre, gepaart mit den Annehmlichkeiten der Stadt. Die Mutter Paula unterricht die Kinder in den ersten Jahren zu Hause. Sie sorgt auch für die christliche Erziehung, während der Vater sich von religiösen Fragen fernhält.
Gott will nicht, dass der Mensch sich fürchtet
Marsh stellt Bonhoeffer als jemand vor, der früh damit beginnt, sich mit Fragen über Tod und Ewigkeit auseinanderzusetzen. Dazu trägt auch der frühe Tod seines Bruders Walter im Ersten Weltkrieg bei. Schon als Kind habe sich Dietrich die Ewigkeit vorgestellt, die ihn faszinierte. Als Pfarrer predigte er später, dass Gott nicht wollte, dass der Mensch sich fürchtet. Bonhoeffer musste sich seinen Platz unter den vielen begabten Geschwistern erobern. Er selbst hatte ein Faible für Musik und Theater. Der Privilegien seiner Familie war er sich bewusst.
Mit 17 Jahren – und damit zwei Jahre vor vielen seiner Mitschüler – machte Bonhoeffer sein Abitur. Er habe sich in dieser Zeit weniger Sorgen um die Nöte seines Landes gemacht, sondern eher um die eigenen Interessen gekümmert. In Tübingen tritt er als selbstbewusster und gelegentlich launischer Student auf, wo der junge Bonhoeffer Grenzerfahrungen sucht.
Bewunderer Karl Barths
Verschiedene Reisen mit seinem Bruder Klaus erweitern seinen Horizont. Die liberalen Strömungen an der Universität Berlin gefallen Bonhoeffer, der durch seinen Intellekt und Scharfsinn besticht. Er wird zu einem großen Bewunderer des Theologen Karl Barth, blickte aber auch über die Grenzen der eigenen Fakultät hinaus. Nach seiner Promotion nimmt er seinen Dienst in einer wachsenden spanischen Ausländergemeinde in Barcelona ein.
Er erweitert sein soziales Bewusstsein und trifft zugleich auf viele Gemeindeglieder, die zum einen völlig ahnungslos in religiösen Fragen und zum anderen vom Evangelium gelangweilt sind. Nach der Habilitation und dem zweiten theologischen Staatsexamen geht er 1930 für ein Jahr in die USA. Dort trifft er eine „Gesellschaft, in der Menschen ihre Glaubensüberzeugungen zusammenstellten wie andere ein Auto beim Hersteller orderten – ganz nach Geschmack und Vorlieben“. Hier beschäftigen ihn die Fragen der Rassentrennung und nach authentischem Christsein.
Für Bonhoeffer musste der Theologe ein Diener der Kirche sein. Und Jesus Christus war die Basis, um wahrhaftig über Gott nachzudenken. Zurück in Berlin begann er als Dozent an der Universität. Dass die von ihm angebotenen Bibelabende kaum auf Interesse stießen, belasteten Bonhoeffer. Die Situation im Arbeiterviertel Prenzlauer Berg zeigte ihm schmerzlich die Grenzen seiner Ausbildung. Er erwarb sich einen Ruf als guter Prediger mit einem Gespür für junge Menschen. Ihnen wollte er klar und eindeutig von Jesus Christus erzählen.
Auf Kollisionskurs mit dem neuen Regime
Mit Hitlers Machtergreifung 1933 begann für Bonhoeffer eine Zeit „auf Kollisionskurs mit dem neuen Regime“. Er kritisierte früh das Führerprinzip, Hitlers religiöse Rhetorik und dessen Umgang mit den Juden. Bonhoeffer schrieb etliche Texte gegen den Arierparagraphen, in denen er die Kirche aufforderte, so klar wie möglich zwischen Wahrheit und Irrtum zu unterscheiden. Für Bonhoeffer stand die Freiheit der Kirche und die Wahrheit des Evangeliums auf dem Spiel.
Er selbst hatte sich entschieden, als Seelsorger nach London zu gehen. Marsh lobt Bonhoeffers Entschlossenheit und Mut, mit dem er dort die Ausgrenzung und Lieblosigkeit in Deutschland benennt. Nach seiner Rückkehr erlebte Bonhoeffer die zwei wohl glücklichsten Jahre seines Lebens: Im Ostseeort Zingst schuf er ein Predigerseminar der Bekennenden Kirche und ging in dieser Aufgabe auf. Er wollte seinen eigenen Hunger nach Klarheit des Gewissens schulen und gleichzeitig junge Vikare lehren, Gottes Wort klar und angemessen zu verkündigen.
Dort beginnt auch die unzertrennliche Freundschaft mit dem „wagenden, vertrauenden Geist“ Eberhard Bethge und er schrieb sein Werk „Nachfolge“. Den Zusammenbruch der organisierten Kirchen sah er als Folge der zu „billig“ erworbenen Gnade: „Man gab die Verkündigung und die Sakramente billig, man taufte, man konfirmierte, man absolvierte ein ganzes Volk, ungefragt und bedingungslos. Man spendete Gnadenströme ohne Ende, aber der Ruf in die strenge Nachfolge Christi wurde seltener gehört.“
Bonhoeffers Spagat
Die Kirche hatte seit 1937 bedingungslos die Weisungen des Staates umzusetzen. Pfarrer erhielten Reise- und Redeverbote. Die kirchlichen Mitteilungen und Predigten wurden überwacht. In den Kirchen betete man, dass die getauften Kinder so werden mögen wie Hitler und Himmler. In dieser Zeit tritt der Theologe erstmals in intensiveren Kontakt mit dem Widerstandskreis um Hans Oster. Später soll er als Spion der Abwehr seine ökumenischen Kontakte nutzen.
Marsh beschreibt eindringlich Bonhoeffers Spagat und dessen Widersprüche: einerseits Hitlers Ermordung zu planen und mitzuverantworten, andererseits den Pazifismus zu bejahen. „Er akzeptierte das Paradoxon, indem er die Schuld auf sich nahm, die aus dem verantwortlichen Handeln entsteht.“ In seinem Werk „Ethik“ stellt er die Frage, warum sich so viele Atheisten und Humanisten, aber kaum Christen am Widerstand beteiligen. Sein eigenes Handeln sah er nie als heldenhaft. Sich selbst sah er als Komplizen, „der sich seiner Schuld bewusst ist“. „Seine Herde umfasste Christen, Atheisten und enttäuschte Romantiker“, bilanziert Marsh.
Als Bonhoeffer Weihnachten 1942 zum letzten Mal mit seiner Familie feiert, ist er vor allem über die „unvernünftigen Menschen in der Welt“ enttäuscht. Er selbst lebt in dem Bewusstsein, jeden Tag „so zu nehmen, als wäre er der letzte, und doch in Glauben und Verantwortung so zu leben, als gäbe es noch eine große Zukunft“. Am 5. April 1943 wird er wegen Wehrkraftzersetzung verhaftet. Als der Staat 1944 geheime Dokumente fand, welche die Umsturzversuche dokumentierten, wurde die Beweislast gegen Bonhoeffer erdrückend. Auch in der Haft versucht er noch seine Mitgefangenen zu trösten. In der Einzelhaft vermisste er dann selbst „die tröstende Gegenwart seines geliebten Christus“. Tagelang könne er ohne Bibel leben. Kurz vor seiner Verhaftung war Maria Wedemeyer in sein Leben getreten, mit der er sich verlobt hatte. Obwohl Bonhoeffers Glaube durch die Geschichte geläutert war, vertraute er darauf, dass Christus die Ketten des Todes zerbrochen hat.
Eine höhere Zufriedenheit
In der Haft verfasste er Briefe, Gedichte, Gebete, einen Romanentwurf und Geschichten. Er las sehr viel und malte. Sein Lebensthema, lernen zu glauben, kam in dieser Zeit zum Tragen. Gott sei „Begegnung mit Jesus Christus“, schreibt Bonhoeffer. Das gescheiterte Attentat auf Hitler machte die Lage immer aussichtsloser. Trotz SS-Gefängnis, Einzelhaft und Folter wollte er „bis zum Ende Widerstand leisten und nichts verraten“. Im Hinterkopf hatte er immer die politische Situation. Tatenloses Abwarten und stumpfes Zuschauen waren für ihn keine christliche Haltung. Gott brauche Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Er gehe ihnen in einer bedingungslosen Liebe nach, die „stärker ist als der Tod“.
Dem Tod trat er „mit spannungsvoller Kraft, die in einer höheren Zufriedenheit gründete“, entgegen, wie Marsh schreibt. Ob er den Satz „Das ist das Ende – für mich der Beginn des Lebens“ wirklich so gesagt hat, ist nicht belegt. Aber er entsprach seiner Hoffnung. Die Stufen zum Galgen im KZ Flossenbürg sei er „mutig und gefasst“ hinaufgestiegen, berichten Augenzeugen. Die letzten Zeilen an Eberhard Bethge schrieb er im „dankbaren Bewusstsein“, ein reiches und übervolles Leben gehabt zu haben sowie in der Gewissheit der Vergebung und in der Hoffnung auf das ewige Leben.
Mit der Biografie beschreibt Marsh eindrucksvoll die Entwicklungen und Wandlungen des Theologen Bonhoeffer und nimmt dabei auch die Widersprüche seiner Person in den Blick. Das Buch erinnert zugleich in der Person Bonhoeffers noch einmal an die Ohnmacht der Kirche, die dort stumm war, wo sie hätte schreien müssen, „weil das Blut der Unschuldigen zum Himmel schrie“. Der Autor flechtet gut lesbar immer die historischen, politischen und sozialen Entwicklungen in das Gesamtwerk ein. Einzelne theologische Auseinandersetzungen ufern vielleicht ein bisschen aus. Der Einblick in Bonhoeffers theologisches Gedankengut runden das knapp 600-seitige Buch ab. Nicht nur durch die über 70 Vertonungen seines persönlichen an die Familie gerichteten Gedichtes „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ ist Bonhoeffer im kollektiven Gedächtnis geblieben. Auch dieses weitere Bonhoeffer-Buch kann dazu beitragen. (pro)
Charles Marsh, Dietrich Bonhoeffer: Der Verklärte Fremde, Gütersloher Verlagshaus, ISBN 978-3-579-07148-0.
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