Ein Amen für alle

Margot Käßmann macht es einem leicht und das macht es so schwer. Geht raus! Verändert die Welt! Das ruft sie der Christenheit mit ihrem neuen Buch „Mehr als Ja und Amen” zu. Umweltschutz, Flüchtlingshilfe, Religionsfreiheit – dazu wird wohl jeder ihrer Leser Ja und Amen sagen können. Dem ersten Teil des Titels hingegen wird die Lutherbotschafterin nicht gerecht. „Mehr” bietet sie nicht, sondern wiederholt Selbstverständlichkeiten und führt ihr eigentliches Anliegen damit ad absurdum.

Von PRO

Für die Evangelische Kirche in Deutschland ist Margot Käßmann ein Segen, so viel steht fest. Einleuchtend, humorvoll und für jeden noch so Kirchenfernen nachvollziehbar, bringt sie die Themen der Protestanten an Mann und Frau. Kirchliche Positionen zu Umweltschutz, sozialer Gerechtigkeit oder einem würdigen Umgang mit Sterbenden, Alten und Jungen bewirbt sie publikumswirksam wie wenige. Sie interpretiert biblische Themen politisch und macht sie damit interessant für jeden. Da ist etwa jene Stelle im Buch, an der sie das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg auf die Parteien im Deutschen Bundestag überträgt. Wie würden Union oder FDP die Aussage Jesu „So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein” deuten? „Wir solidarisieren uns mit den Leistungsbewussten, eine Klage vor dem Verfassungsgericht für einen gerechten Lohn für die Erstarbeiter ist erstrebenswert. Besserverdiener braucht das Land”, könnten die Liberalen laut Käßmann sagen. Natürlich ist diese Übertragung mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Aber sie zeigt deutlich, warum sich bei Käßmanns Lesungen nach wie vor lange Schlangen bilden; weshalb sie trotz (oder gerade wegen?) Alkoholfahrt und Scheidung eine der großen Sprecherinnen der Protestanten ist.

Mit ihrem neuen Buch will sie nun nichts Geringeres, als die Welt zu einem besseren Ort machen. Sie begreife nicht, warum das Wort „Weltverbesserer” zum Schimpfwort geworden sei, schreibt Käßmann in der Einleitung. Sie ruft zu einer Gerechtigkeitspolitik auf Basis der Bergpredigt auf, ermutigt zur Einmischung. So wirbt sie für Religionsfreiheit: „Für mich ist Jesus Christus ‚der Weg, die Wahrheit und das Leben’, aber ich habe die Freiheit zu sehen, dass andere Menschen andere Wege und Wahrheiten für sich sehen.” Es gelte, den anderen auszuhalten und den eigenen Glauben dennoch ohne Angst zu bekennen. Doch wie weit geht das Aushalten? Bei Karikaturenstreits oder im Falle des Mohammed-Films, der weltweite Proteste auslöste: Gilt es da auch, Islamisten auszuhalten oder geht im Zweifel doch die Pressefreiheit vor? Deutlich wird: Käßmann ignoriert die wirklich schwierigen Fragen und kratzt nur an der Oberfläche.

Das protestantische Christentum sieht sie im gesellschaftlichen Hintertreffen, weil es zur eigenen Meinungsbildung auffordere und das selbst Denken eben nicht so einfach sei. „Da ist die glasklare Meldung schnell dahin”, schreibt sie. Das Gegenteil ist der Fall: Die Konzentrierung gerade der Evangelischen Landeskirche auf Themen der sozialen und gesellschaftlichen Gerechtigkeit, so wichtig diese auch sein mögen, hat dazu geführt, dass sie ständig gehört wird. Zur Frage nach Rüstungsexporten. Zur Frage nach Gentests an Embryonen. Zur Frage nach Wirtschaftsethik. Zum TV-Programm. Die Kirche liefert der Öffentlichkeit wieder und wieder glasklare Meldungen zu gesellschaftlichen Themen. Nur betreffen diese selten ihre Kernkompetenz: Glaubensfragen. Das ist der Grund dafür, dass sie in Vergessenheit gerät. Um nach dem Motto „Im Zweifel für den Schwachen” zu leben, ist Jesus nicht zwangsläufig erforderlich.

Mit ihrem Buch zeigt Käßmann unfreiwillig eine Schwäche der protestantischen Kirche auf. Sie schreibt: „Am Ende geht es darum: ‚Misch dich ein! Lebe dein Leben bewusst! Dein Glaube findet nicht hinter Kirchenmauern statt, sondern will sich in der Welt bewähren.‘” Das stimmt. Christen gehören gehört. Und ja, die Christenheit kann die Welt verbessern. Doch dazu muss sie über den gesellschaftlichen Konsens hinaus Stärke zeigen, Position beziehen für Fundamente und für Jesus selbst und sich nicht in Allgemeinplätzen verlieren, zu denen ein Großteil der Gesellschaft ohnehin Amen sagen kann. (pro)

Lesen Sie diesen Artikel auch in der aktuellen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro, das am 22. April erscheint. Das Magazin ist kostenlos und kann unter der Telefonnummer 06441/915151, via E-Mail an info@pro-medienmagazin.de oder online bestellt werden.

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