Das Thema Christenverfolgung sei in letzter Zeit mediales Tagesthema geworden, stellt der Journalist Jan Roß in einem Artikel auf "Zeit.de" fest. Damit sei gleichzeitig ein Wort wieder häufiger in Gebrauch: Märtyrertum. Der "Zeit"-Autor gibt zu bedenken, dass dieses Wort auch eine Gefahr in sich berge.
Von PRO
Foto: www.vonmenschenundgoettern-derfilm.de
Einerseits machten die Morde an Christen in Ägypten und im Irak in den Medien von sich reden. "Dass Fanatiker im Namen des Glaubens töten, ist zur schrecklichen Normalität geworden; in den Augen vieler definiert die brutale Intoleranz schon fast das Wesen der Religion", schreibt Jan Roß. Zum anderen sei gerade erst ein Film in die Kinos gekommen, der von Mönchen handelt, die in den 90er Jahren wegen ihres Glaubens umgebracht wurden.
Der "Märtyrer", der wegen seines Glaubens getötet wird wie die Kopten in Alexandria oder Ende Oktober Mitglieder einer christlichen Gottesdienstgemeinde in Bagdad, gehörten zum Ur- und Kernbestand des Christentums. Schon Jesus habe in der Bergpredigt gesagt: "Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen."
Dennoch sei das Märtyrertum für unsere wenn auch christlich geprägte Gesellschaft eine "sehr fremde Welt". Mit den Meldungen von den getöteten Christen werde das Wort nun häufiger verwendet. Die Organisation "Open Doors" veröffentliche Jahr für Jahr einen Weltverfolgungsindex, der das Schicksal von Christen von Nordkorea bis zu den Malediven verzeichnet. Demnach werden weltweit 100 Millionen Gläubige wegen ihrer religiösen Überzeugung drangsaliert. "Doch dringen diese Zahlen nicht ins Bewusstsein durch", stellt Roß fest. "Jahrelang war ‚Christenverfolgung‘ ein Thema, das niemanden interessierte. Jetzt, nach dem Attentat von Alexandria, ist es (für einen Augenblick) zum Großpolitikum geworden."
Kinobesuch als Sarrazin-Lektüre?
Ausgerechnet zur selben Zeit sei in den Kinos der Film "Von Menschen und Göttern" zu sehen, stellt der Autor fest. Der Streifen von Regisseur Xavier Beauvois handelt von französischen Trappistenmönchen, die 1996 aus ihrem Kloster im algerischen Atlasgebirge verschleppt und ermordet wurden, wahrscheinlich von Islamisten. "Den äußerlich sperrigen und unspektakulären Film haben in Frankreich mehr als drei Millionen Zuschauer gesehen. Man kann ihn auch in Deutschland in voll besetzten Kinosälen anschauen, in Gesellschaft eines atemlosen, gerührten Großstadtpublikums", schreibt Roß. "Leuten, die lange nicht mehr in der Kirche, geschweige denn beim Abendmahl waren, kommen die Tränen, wenn die Mönche mit zwei Flaschen Rotwein und unter den Klängen von Tschaikowskys Schwanensee-Musik aus dem Kassettenrekorder ihr Abschiedsessen vom Leben zelebrieren. Was ist das für eine seltsame Faszination, die das Martyrium auf einmal ausübt?"
Denn eigentlich falle es uns in der westlichen Welt eher schwer, das Christentum als Opferreligion zu sehen. Es gelte immer noch als "Religion des Imperialismus, als Glaube, den die Kolonisatoren über die Welt verbreiten wollten". "Das Christentum ist irgendwie ‚oben‘, offiziell, Establishment; man stellt es sich nicht leicht als schwach und bedroht vor."
Nun löse es "gemischte Gefühle" aus, wenn das Märtyrer-Motiv in den Zusammenhang der Islamdebatte trete. "Ist der Kinobesuch eine Art ästhetischer Sarrazin-Lektüre?" Es gebe im zeitgenössischen Christentum jedenfalls keine vergleichbar mächtige intolerante und gewalttätige Strömung wie der militante Islamismus, stellt der Autor fest. "Es werden auch keine militärischen Interventionen, keine ‚heiligen Kriege‘ westlicher Mächte zum Schutz von Glaubensbrüdern im Nahen und Mittleren Osten stattfinden. Vor einer Neuauflage der Kreuzzüge muss man keine Angst haben; es ist reine Propaganda, wenn islamische Radikale die US-Truppen im Irak oder in Afghanistan als ‚Kreuzzügler‘ bezeichnen."
Dennoch gelte: "Wer Terroropfer ‚Märtyrer‘ nennt, zapft damit Energiequellen an, die dem säkularen Westen sonst verschlossen sind – und dem Konflikt neuen Brennstoff zuführen mögen. Roß warnt: "Die spirituelle Aufrüstung einer europäischen Mehrheitsgesellschaft, der das Christentum sonst ziemlich gleichgültig geworden ist und die es nur als Waffe gegen den Islam hervorholt, wäre der schlimmste Gebrauch, der sich von den Leidensgeschichten im Orient machen ließe."
Das Martyrium dürfe nicht politisch instrumentalisiert werden. Die Mönche im Atlasgebirge aus besagtem Kinofilm hätten sich nicht als Vorposten der westlichen Zivilisation verstanden, sondern als Christen unter mehrheitlich muslimischen Algeriern. "Ihr Verhältnis zum Islam war gerade nicht konfrontativ, sondern brüderlich: Auf dem Tisch des Abtes Christian de Chergé lag der Koran neben der Bibel, und noch in seinem Abschiedsbrief bekennt er seine Liebe zu Land und Leuten, ihre Religion eingeschlossen." (pro)
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