DJV-Chef: „Wir reden hier vom größten Diebstahl der Geschichte“

Mika Beuster ist Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes (DJV). Er findet: Systeme mit Künstlicher Intelligenz können nützliche Werkzeuge sein. Doch aktuell bereicherten sich große Konzerne an der Arbeit von Journalisten.
Von Nicolai Franz

Dieser Text erschien zuerst in Ausgabe 1/2024 des Christlichen Medienmagazins PRO. Bestellen Sie PRO kostenlos hier.

PRO: Herr Beuster, wo setzen Sie bereits KI-Systeme in Ihrem Arbeitsalltag ein? 

Mika Beuster: Ich nutze KI in der Rechtschreibkorrektur, im Verlag verwenden wir KI auch bei der Untertitelung von Videos oder für die Erstellung von Teasertexten für Social Media. Ich persönlich setze generative KI-Systeme, also zur Erstellung von Texten, im Alltag nicht ein.

Der DJV fordert eine Kennzeichnungspflicht für KI-generierte Inhalte. Wie soll das konkret aussehen?

Indem man zum Beispiel bei Texten angibt, welche KI-Werkzeuge dazu benutzt wurden. Einige Medien machen das bereits. Wir müssen aber unterscheiden, in welcher Tiefe solche Systeme eingesetzt werden. Wenn sie bloß einfache, sich wiederholende Aufgaben übernehmen, ist das etwas anderes, als wenn sie ganze Texte übersetzen. Da brauchen wir die Kennzeichnung, weil Journalismus von Glaubwürdigkeit lebt. Und die ist an Menschen geknüpft. Wenn ich als Nutzer einer Zeitung Texte lese, dann gehe ich davon aus, dass sie von Menschen gemacht sind. Wenn das nicht so ist, muss das transparent gemacht werden.

Experten fordern, bei der Nutzung von KI muss am Anfang und am Ende der Mensch stehen. Der Mensch gibt der Maschine eine Aufnahme und überprüft am Ende das Ergebnis.

Künstliche Intelligenz kann viel Gutes bewirken im Journalismus. Zum Beispiel beim Prüfen von Fakten: Per Rückwärtssuche kann man den Ursprung eines Bildes finden, mit Dateninstrumenten kann man große Mengen an Daten auswerten, was ohne maschinelle Methoden kaum möglich wäre. Man kann KI aber auch für Schlechtes einsetzen: Wenn die menschliche Kontrolle fehlt, leidet darunter die Qualität und die Glaubwürdigkeit des Journalismus, weil die KI bisweilen halluziniert. Sie erfindet aus Fragmenten neue Tatsachen, die nicht der Wahrheit entsprechen. Daher ist die menschliche Prüfung und Abnahme wichtig.

Mittlerweile werden auch KI-generierte Bilder im Journalismus eingesetzt. Der Hinweis, dass das Bild nicht von einem Menschen stammt, steht aber meist nur klein bei den Angaben der Bildrechte. Genügt das?

Da gibt es das schlimme Beispiel eines KI-generierten Scheinfotos von einem Parteitag der Grünen, wo in der Halle unzählige Pizzakartons herumlagen, angeblich weil die Grünen Pizza  bestellt hatten, was ja nicht zum Öko-Image passt. Man sah mit einigermaßen geübtem Blick schnell, dass da etwas faul war, alleine weil die Pizzakartons seltsam aussahen. Aber: KI-generierte Bilder werden immer besser. Das ist ein Problem, denn wir sind es gewöhnt, dass Fotos die Wirklichkeit abbilden. Wenn wir als Journalisten selbst KI-generierte Fotos einsetzen, müssen auch Regeln gelten. Schon heute müssen wir Symbolfotos oder Fotomontagen kennzeichnen. Das gilt natürlich auch für KI-Bilder.

Wollen Sie als DJV eine harte Kennzeichnungspflicht, also ein Gesetz?

Grundsätzlich gilt: je verbindlicher, desto besser. Aber das Thema ist wichtig, zum Beispiel im Krieg gegen die Hamas. Da sehen wir gefälschte Fotos, beispielsweise eine Gruppe palästinensischer Kinder in den Trümmern – und erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass sie sechs oder sieben Finger haben, weil die KI versagt hat. Wenn solche Fakes reale Auswirkungen auf die Politik und sogar Menschenleben haben können, dann müssen wir unbedingt verbindliche Regeln für den Umgang mit dieser Technik finden.

Professionelle Medien in Deutschland unterliegen deutschem Recht. Aber wie will man die Anbieter von KI-Systemen einhegen, die aus aller Welt kommen?

Ja, die ducken sich weg, dabei bedienen sie sich am geistigen Eigentum Anderer, um ihre Systeme zu trainieren. Wir reden hier vom größten Diebstahl der Geschichte. Es wird versucht, Werke von Autoren und Journalisten aus Europa einfach zu nehmen und in den USA in eine Wertschöpfungskette einzubauen, die nur den Konzernen nutzt, ohne dass die Urheber etwas davon haben. Wenn wir in Europa weiterhin funktionierende Medien haben wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass sie sich auch finanzieren können. Deswegen dürfen wir es nicht zulassen, dass KI-Anbieter das geistige Eigentum von Autorinnen und Autoren klauen. Aber die Frage ist: Kümmert man sich im Silicon Valley wirklich um europäisches Recht? Das bezweifle ich.

Um die Urheber zu vergüten, müssten die Firmen ihre eigenen Datenquellen offenlegen. 

Ja, und diese Transparenzpflicht fordern wir auch in unserer KI-Stellungnahme.

Beim „Kölner Express“ arbeitet eine Redakteurin mit dem Namen „Klara Indernach, sie ist eine KI. Wir sprechen gerade am Nachmittag, da hat Frau Indernach bereits fünf Online-Artikel gekennzeichnet. Ist das für Sie zulässig?

Ich habe nichts gegen KI, im Gegenteil. Aber ich habe manchmal den Verdacht, dass die KI besonders in manchen Medienhäusern als billige Arbeitskraft und Contentgeneratorin gesehen wird. Ich warne vor der Gefahr, dass man damit das echte, menschlich hergestellte Produkt verwässert. Es darf nicht sein, dass für die Nutzerinnen und Nutzer irgendwann der Wert verschwimmt zwischen KI-generierten und menschlich generierten Inhalten. Sicher gibt es bei Klara Indernach noch eine Abnahmeschleife. Ich halte das trotzdem für die falsche Strategie für Medienhäuser. Es sollte eher um Qualität statt um Quantität gehen.

Was halten Sie vom AI Act der Europäischen Union?

Es ist sehr gut, dass auf europäischer Ebene KI reguliert werden soll! Wir haben als Journalistenverband zusammen mit anderen europäischen Kollegen versucht, Transparenz- und Kennzeichnungspflichten in die Texte zu bringen. Die großen Konzerne wollten das verhindern, indem sie jegliche Regulierung abwenden wollten. Das ist ihnen nicht gelungen. Sicher hätten wir uns diese Gesetzgebung noch eine Spur schärfer gewünscht. Aber sie ist der erste Versuch, diese Technologie mit juristischen Mitteln zu regulieren. Allein das finde ich schon gut.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dieser Text erschien zuerst in Ausgabe 1/2024 des Christlichen Medienmagazins PRO. Bestellen Sie PRO kostenlos hier.

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