Diskussion beim Mediendisput: „Talkshows auf dem Prüfstand“

Zu viel Unterhaltung und zu wenig Information? Telegene Talkgäste, die keine Ahnung haben? Ängstliche Moderatoren, die auf die Quote schielen? Am Mittwoch diskutierten Jürgen Falter, Michel Friedmann und Bernd Gäbler zum Auftakt des 16. Mainzer Mediendisputs über das Thema "Talkshows auf dem Prüfstand: Die zerquatschte Republik". Einig war man sich darin, dass es mehr als genug originelle und kompetente Talkgäste gibt. Man muss sie nur einladen.
Von PRO

Natürlich war der umfangreiche Talkshow-Sendeplatz-Wechsel nach der Sommerpause in der ARD das Einstiegsthema der Diskussionsrunde, die von der Bestsellautorin Amelie Fried moderiert wurde. Wer von den fünf Moderatoren, die an fünf Abenden im Ersten Gäste einladen und mit ihnen diskutieren dürfen, hat davon profitiert, wer hat verloren? Für den Journalisten Bernd Gäbler war dies die Gelegenheit, seine aktuelle Studie vorzustellen. Darin dokumentiert der frühere Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts, dass es außer Günter Jauch eigentlich nur Verlierer gibt. Die einen verlieren weniger Marktanteile, wie Maybrit Illner und Sandra Maischberger (- 1,5 bzw. -1,6 Prozent), und manche mehr, wie Reinhold Beckmann und Anne Will (- 3,4 bzw. – 3,8 Prozent). Für die ARD blieb der erwünschte Erfolg also aus.

Zu viele Gäste in den Talkshows?

Auch Michel Friedmann ist unzufrieden. "Sonntagabends bekomme ich sehr viel weniger als ich von einer Politiksendung erwarte", klagte der Rechtsanwalt und Fernsehmoderator ("Studio Friedmann" auf N24). Er vermisst die Kompetenz bei den Talkgästen. Jürgen Falter wiederum, der als Professor Politikwissenschaft an der Universität Mainz lehrt und häufig in Talkshows eingeladen wird, warf den Machern vor, dass sie zu viele Gäste einladen und dass es kaum noch Experten in den Talkshows gibt, sondern zunehmend Betroffene. Er wünsche sich eine klarere Trennung zwischen klaren politischen Talkshows mit politischen Themen auf der einen Seite und "Lebensbewältigungs-Talkshows" auf der anderen Seite.

Dieser Wunsch führte zu der Frage, ob man bei Talkshows stärker zwischen Unterhaltung und ernsten Themen unterscheiden sollte. Dem widersprach Friedmann: Er habe ein Problem mit dieser Unterscheidung, diese Trennung sehe er nicht. "Ich sehe ein Feld, um das es geht. Und das ist Politik." Er mache nur mit Politikern Sendungen, nicht mit Experten, weil diese keine Verantwortung trügen. Am liebsten lade er Politiker ein, die jung und unbekannt sind. Gäbler sah das etwas anders: "Es ist falsch, wenn man sagt, eine Sendung ist dann politisch, wenn sie mit Politikern vollgestopft ist." Es gebe genug andere Menschen, die sich zu Politik äußern könnten. Andererseits sei es aber auch nicht richtig, dass ein Schauspieler, der die Rolle eines Stasi-Opfers gespielt habe, nun über Stasi-Gewalt diskutieren dürfe.

Auf die Frage von Moderatorin Fried, ob man die Talkshow zu Grabe tragen soll, antwortete Friedmann, keineswegs, sie repräsentiere ein Stück der Gesellschaft. Aber es gebe eine Krise innerhalb des Systems. Etwa, wenn Menschen, die die journalistische Verantwortung einer Sendung trügen, gleichzeitig die Unternehmer sind, "die die Produktion hieven". Damit spielte er auf Sendungen an, die von den Firmen der Moderatoren produziert werden. In dem Fall würde die Quote nämlich eine wichtige Rolle spielen.

"Zu viel ‚tainment‘ und zu wenig ‚info‘!"

"Wird uns in Talkshows wirklich Politik vermittelt?", erkundigte sich Moderatorin Fried  bei Jürgen Falter. "Es werden Stellungnahmen abgegeben, welche Positionen Personen und Parteien haben", antwortete der Politikwissenschaftler. "Es wird gestritten. Und der Streit zeigt, wer welche Argumente hat." Manchmal komme auch ein origineller Touch hinein. Insgesamt könne man die Shows besser machen. "Aber die Funktion ist eindeutig eine positive", sagte Falter – und schränkte direkt ein: "Wenn die Talkshow nicht zu sehr verwässert wird", etwa wenn sie zu viel "tainment" und zu wenig "info" enthalte.

Auf den Hinweis, dass die Gästeliste der Talkshowredaktionen doch sehr übersichtlich sei und man immer die gleichen Gesichter sehe, stellte Falter fest, es gebe massenhaft originelle Menschen, die man als Talkgäste einladen könnte. "Aber woher nehmen"?, wollte Fried wissen. "Aus der Wirklichkeit!", antwortete Gäbler. Und Falter: "Es gibt 600 Bundestagsabgeordnete, von denen 100 Talkshowfähig sind." Aber die Moderatoren hätten Angst vor dem Risiko, eventuell einen langweiligen Gast zu bekommen. Dem stimmte Friedmann zu und ergänzte, die Sender werteten ihre Relevanz dadurch auf, dass sie als Talkgäste "die erste Garde" bekommen. "Statt in die Wirklichkeit zu schauen, schaut man ins Fernsehen", kritisierte Gäbler. "Und man nimmt dann Leute, die sich schon einmal im Fernsehen bewährt haben." Deshalb seien 40 Prozent der Gäste in Talkshows "Fernsehnasen". "Man bewegt sich immer im Wohlfühlklima des Bewährten."

Zum Schluss kommt Gäbler noch einmal auf den Sendeplatzwechsel im Ersten zurück: "Ich finde, dass es ein unfassbares Führungsversagen in der ARD gibt", bemängelt er. Die Führung habe versprochen, dass es mit den neuen Sendeplätzen der Talkshows eine größere Vielfalt an Information gibt. Stattdessen ließe man "die armen Sendungen in eine Art darwinistischen Wettbewerb einsteigen" und wahrscheinlich werde am Schluss der überleben, der die bessere Quote hat.

Der diesjährige Mainzer Mediendisput ist der 16. seiner Art und steht unter dem Motto "Interessant vor relevant: Orientierungslosigkeit und Identitätsverluste – wohin steuert der Journalismus?". Seit 1996 findet der Disput jährlich, meist im Oktober oder November, in Mainz statt. Veranstalter sind die Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, die Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz und die Friedrich Ebert Stiftung. Medienpartner sind die beiden in Mainz ansässigen Rundfunksender Südwestrundfunk und ZDF. Das Programm wird von einer unabhängigen Projektgruppe gestaltet und umgesetzt. (pro)

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