„Die wissen gar nicht, was Pressefreiheit ist“

Am Samstag standen Musiker aus ganz Europa beim "Eurovision Song Contest" in Aserbaidschan auf der Bühne. Abseits des populären Fests leiden viele Bürger unter grausamen Menschenrechtsverletzungen. Der Bundestagsabgeordnete und gläubige Christ Frank Heinrich (CDU) hat Aserbaidschan in der vergangenen Woche besucht. Dort wurde ihm vorgeworfen, Deutschland pflege eine Kampagne gegen den Staat.

Von PRO

pro: Herr Heinrich, warum sind Sie nach Aserbaidschan gefahren?

Frank Heinrich: Der Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages, dem ich angehöre, hat erfahren, dass derzeit Menschenrechtsgruppen vor Ort demonstrieren und auf die Probleme im Land aufmerksam machen wollen. Sie tun das, um etwas von dem Scheinwerferlicht abzubekommen, das derzeit auf den "Eurovision Song Contest" gerichtet ist. Auf den Straßen von Baku sollte ein Konzert mit dem Titel "Sing for Democracy" stattfinden. Das wollte ich unterstützen.

Was ist aus dem Konzert geworden?

Die Demonstrierenden wollten einfach nur das Medium Musik nutzen, um auf die mangelhafte menschenrechtliche Lage im Land aufmerksam zu machen. Die Aktion war nicht gegen den Song Contest selbst gerichtet. Die Veranstalter haben bei den Behörden Genehmigungen dafür beantragt – alle sind abgelehnt worden. Das Outdoor-Event konnte nicht stattfinden. Das hat mir gezeigt: In den Bereichen freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit hat Aserbaidschan noch eine Menge Nachholbedarf.

Haben Sie das vor Ort deutlich gemacht?

Ich habe mich dort mit Abgeordneten getroffen und die menschenrechtlichen Probleme angesprochen. Daraufhin wurde mir vorgeworfen, Deutschland betreibe eine Kampagne gegen Aserbaidschan. Konkret wurde immer wieder ein kritischer Artikel des "Spiegel" benannt. Ich musste dort also erst einmal deutlich machen, dass Politik und Presse in Deutschland zwei getrennte Organe sind, von einer Kampagne Deutschlands hier also nicht die Rede sein kann. Ich habe vor Ort auch das Gerichtsverfahren gegen den regierungskritischen Journalisten Avaz Zeynalli besucht. Angeklagt ist er wegen angeblicher Erpressung eines Abgeordneten. Was ich dort gesehen habe, war markant. Der Mann saß im Sitzungsraum in einem Käfig. Filmaufnahmen und Aufzeichnungen wurden verboten. Nach über einer Stunde zogen sich die Richter für vier Minuten zurück, kamen wieder und verlasen 13 Minuten lang ein vorbereitetes Dokument. Das alles spricht für sich.

Der Prozess wird Ende Mai fortgesetzt.

Ja, ebenso sitzen zum Beispiel auch zwölf Menschen, die im April letzten Jahres bei einer nicht genehmigten Demonstration festgenommen wurden, im Gefängnis. Nicht nur Angehörige von ihnen sind derzeit im Hungerstreik, um ihre Freilassung zu bewirken. Es gibt weitere Einzelfälle von Inhaftierten, die sogar geschlagen werden – und das alles nur, weil sie ihre Meinung frei geäußert haben. Ein anderer wurde verhaftet, weil er gefilmt hat, und das, obwohl er als Presseberichterstatter erkennbar war. Er trug eine Jacke mit der Aufschrift "Presse". Diese Fälle habe ich auch im Gespräch mit den Politikern vor Ort angesprochen. Auf mich wirkte es aber, als wisse man dort gar nicht, was Pressefreiheit überhaupt bedeutet. Ein Oppositionspolitiker hat mir gegenüber aber tatsächlich zugegeben, dass es da wohl Nachholbedarf gibt.

Finden Großveranstaltungen in Ländern statt, in denen es nachweislich erhebliche Menschenrechtsverletzungen gibt, fordern Kritiker in vielen Fällen Boykotte. So war es 2008 in China bei den Olympische Spielen, so ist es bei der diesjährigen Fußball-EM in der Ukraine. Sollte der "Eurovision Song Contest" abgesagt oder boykottiert werden?

Nein. Der Gewinn durch die öffentliche Aufmerksamkeit ist groß. Wenn ganz Europa nach Aserbaidschan blickt, bekommen auch die eine Stimme, die sonst keine haben. Die großen Medien haben die Chance genutzt, auf die Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen.

Aserbaidschan ist zwar nicht EU-Mitglied, gehört aber dem Europarat an. Ist dieser hier gefordert?

Ja. Aserbaidschan sperrt sich derzeit gegen einen Besuch des SPD-Abgeordneten Christoph Strässer, der die Lage vor Ort im Auftrag des Europarats in Augenschein nehmen sollte…

…Strässer ist Berichterstatter für "Politische Gefangene" in Aserbaidschan…

…Wenn dieses Land also Mitglied des Europarats ist, dann muss es sich auch an dessen Spielregeln halten. In erster Linie müssen wir das aber über Diplomatie und nicht über Sanktionen anstreben. Das Thema Menschenrechte in Aserbaidschan muss öfter von deutschen Politikern angesprochen werden – auch nach dem Eurovision Song Contest.

Herr Heinrich, vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Anna Wirth

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