Die Wahrheit liegt auf der Straße

Ein arabischer Mob belästigt Frauen auf einem Volksfest, die Polizei muss sich gegen 1.000 vorwiegend ausländische Randalierer wehren – wahr, weil es Medien berichteten und im Internet kursierte? Oder war es doch ganz anders? Fakten müssen auf den Tisch. Das ist die Aufgabe von Journalisten. Nur so können sie beweisen, dass sie das Vertrauen des Publikums verdienen.
Von Jonathan Steinert
Das Schorndorfer Volksfest (hier ein Foto von 2011) war in den vergangenen Tagen wegen gewaltsamer Vorfälle in aller Welt Munde: Gab es ein neues „G20“? Ein weiteres „Köln 2015?“ Erst nach und nach kristalliserten sich die Fakten heraus.

Randalierende Ausländer oder betrunkene Jugendliche? Ungehemmter Mob oder Einzelne, die sich an Frauen vergreifen? Tausend Randalierer oder tausend Schüler, von denen sich manche in die Haare bekommen haben und mit Flaschen werfen? Nach einer ersten Polizeimeldung über gewaltsame Vorfälle auf der Schorndorfer Woche, dem Volksfest der baden-württembergischen Stadt, überschlugen sich die Gerüchte und Missverständnisse in sozialen Netzwerken und manchen Medien. Erst nach und nach kristallisierte sich heraus, was sich wirklich zugetragen hatte: dass es zum Beispiel keinen randalierenden Mob und auch keine Massenvergewaltigung gab und dass von den 1.000 jungen Leuten im Schlosspark, von denen ein Großteil Schüler und junge Erwachsene aus der Region waren, die meisten friedlich feierten und einige aneinander gerieten. Der Bürgermeister selbst informierte die Öffentlichkeit über die Sachlage – auch via Facebook.

Gerade wenn es um Gewalt von Ausländern oder andere moralisch und ideologisch aufgeladene Themen geht, sind die Emotionen schnell am Überkochen. Daran zeigt sich, wie wichtig Medien im besten Fall dafür sind, sich eine fundierte Meinung zu bilden. Wer etablierten Nachrichtenmedien misstraut, sucht nach alternativen Quellen im Internet. Wissenschaftler der Uni Mainz haben Anfang des Jahres festgestellt, dass zwar das Vertrauen in Medien im vergangenen Jahr gestiegen ist, der Anteil derer, die der Berichterstattung gar nicht vertrauen, aber ebenfalls – auf ein Viertel der Bevölkerung. Laut einer Befragung, die infratest dimap Ende 2016 im Auftrag des WDR durchführte, ist bei 46 Prozent der Befragten das Vertrtauen in die Medien gesunken. Vor allem diejenigen, die ihre politischen Informationen aus sozialen Netzwerken im Internet beziehen, sind demnach besonders skeptisch.

Weil in den Sozialen Medien jeder alles veröffentlichen kann, gibt es dort tatsächlich manche Informationen, die in den Nachrichten nicht vorkommen. Dass dort jeder etwas finden kann, das ihn in seiner Meinung bestätigt, deutet darauf hin: Richtiger sind die dortigen „Nachrichten“ nicht. Denn für Verschwörungstheorien ist ebenso Platz wie für gezielte Falschmeldungen. Gerüchte und ungeprüfte Informationen verbreiten sich in den Sozialen Medien rasend schnell. Das hat auch der Amoklauf am Olympia-Einkaufszentrum in München im vergangenen Jahr sehr deutlich gezeigt, wo etwa auf der Plattform Twitter in den Stunden nach dem Vorfall die Deutung als Terroranschlag dominierte. Auch Spekulationen und Gerüchte über Schüsse an anderen Stellen der Stadt machten sich breit – und wurden zum Teil auch von Nachrichtenmedien übernommen.

Fehler zugeben stärkt das Vertrauen

Vor allem Online-Journalisten stehen unter dem Druck, möglichst schnell über ein Ereignis zu berichten und trotzdem handfeste Fakten zu präsentieren und keine Spekulationen. Journalisten sind deshalb herausgefordert, zum einen Falschmeldungen und Gerüchte zu entlarven, und zum anderen ihre eigene Glaubwürdigkeit durch faktentreue und ausgewogene Berichte unter Beweis zu stellen. Zur Glaubwürdigkeit und zum Berufsethos gehört es auch, Fehler einzugestehen und sie „unverzüglich von sich aus in angemessener Weise richtig zu stellen“. So steht es im Pressekodex, in dem die wichtigsten berufsethischen Standards für Journalisten festgehalten sind. Darauf haben sich die meisten Medienhäuser in Deutschland verpflichtet.

Diese Transparenz ist wichtig, wenn es um Fehler und um das Vertrauen des Publikums geht, sagt Edda Eick, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Presserats. „Leser sollten einen möglichen Fehler und die Korrektur nachvollziehen können“, sagt sie. Das stärke das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit in die Qualitätsmedien. Wenn es Journalisten schaffen, auf diese Weise ihr Publikum und vor allem die Skeptiker zu überzeugen, braucht sich niemand ernsthafte Sorgen wegen manipulativer Fake News zu machen. Wie gehen Redaktionen mit dieser Herausforderung konkret um? Einige Beispiele:

Gemeinsam für die Wahrheit

Faktencheck-Teams gibt es nicht nur in einzelnen Redaktionen, sondern auch länderübergreifend. ARD, ZDF und andere deutsche Medien haben sich einem Netzwerk von 51 Medien- und Internetunternehmen und Menschenrechtsorganisationen namens „First Draft News“ angeschlossen. Dieses hat sich zum Ziel gesetzt, den „Herausforderungen bezüglich Vertrauen und Wahrheit im digitalen Zeitalter zu begegnen“. Auch der britische Rundfunk BBC und der amerikanische Sender CNN sind dabei. Besonders im Vorfeld der diesjährigen Wahlen in Großbritannien und Frankreich haben mehrere auf diese Weise vernetzte Redaktionen über Ländergrenzen hinweg falsche und irreführende Meldungen aus den Sozialen Medien und der Tagespresse analysiert und richtiggestellt – von verzerrten Überschriften und unproportionalen Grafiken bis hin zu Aussagen der offiziellen Parteien, die sich die Wahrheit zurechtgebogen hatten.

Die Faktenchecker im eigenen Haus

Das größte deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel leistet sich eine ganze Dokumentationsabteilung mit 70 Mitarbeitern. Diese sind dafür zuständig, jedes Wort, das im Spiegel gedruckt wird, anhand des eigenen Archivs und anderer Quellen auf Richtigkeit zu prüfen. Auch beim Christlichen Medienverbund KEP hat schon einmal ein Mitarbeiter der Spiegel-Dokumentation nachgefragt, ob sich eine Behauptung im Text mit den Daten des Christlichen Medienverbundes deckt. Laut einem Bericht des NDR-Magazins „zapp“ haben auch andere Medienhäuser, die in der Regel keine tagesaktuellen Produkte herausgeben, Faktencheck-Abteilungen für die eigenen Texte, wie etwa der Focus und Geo, wenn auch nicht so umfangreich wie der Spiegel. Aus dem Hause Springer, in dem unter anderem die Bild-Zeitung und Die Welt erscheinen, heißt es auf pro-Anfrage: „Unsere Faktenchecker sind unsere Journalisten.“

Vorbild in Sachen Fehlerkultur

„Echte Fehlleistungen räumt kaum jemand ein“, beklagt der frühere Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo den Zustand in der eigenen Zunft. Heute arbeitet er als Leiter des Rechercheverbundes von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung, und findet die Korrekturspalten, die viele Printmedien haben, nicht gut genug: Dort würden vor allem falsch geschriebene Namen oder Daten korrigiert. Amerikanische Medien dagegen pflegen einen sehr selbstbewussten und -kritischen Umgang mit ihren eigenen Fehlern und bieten zum Teil umfangreiche Korrekturen an. Auf der Webseite der Zeitung New York Times können Leser in einer gesonderten Rubrik die Meldungen finden, in denen die Redaktion etwas korrigiert hat. Auch die Korrekturen der gedruckten Ausgabe sind online nachzulesen – und es sind fast jeden Tag mehr als eine oder zwei.

Auch wenn‘s weh tut

Nach amerikanischem Vorbild hat auch ZDF online eine Korrektur-Rubrik eingerichtet. Dort sind Fehler aus verschiedenen ZDF-Sendungen richtiggestellt, zurückzuverfolgen bis März 2015. Knapp 80 Einträge sind in zwei Jahren zusammengekommen. Auch der Mitteldeutsche Rundfunk hat im vergangenen Jahr auf Initiative der Geschäftsführung eine solche Rubrik eröffnet „um ein weiteres Zeichen in Sachen Transparenz zu setzen“, wie der Sender erklärt. „Wenn Fehler in Programminhalten bekannt werden, prüft die zuständige Redaktion zunächst den Sachverhalt. Wenn ein Sachverhalt fehlerhaft oder missverständlich dargestellt wurde, veranlasst die Redaktion, dass dieser Fehler auf der ‚Korrekturen‘-Seite angezeigt, erklärt und korrigiert wird.“ Von unzutreffenden Behauptungen, missverständlichen Formulierungen, Verwechslungen oder fälschlicherweise nahegelegten Schlussfolgerungen ist dort zu lesen – inklusive Korrektur und Entschuldigung. Der Sender gestand am 1. August vergangenen Jahres auch ein, dass eine Mitarbeiterin einer Meldung der Satire-Seite Der Postillon aufgesessen war und diese ungeprüft übernommen hatte.

Auf Augenhöhe mit den Lesern

Die Bild-Zeitung setzt seit Anfang des Jahres stärker auf den Austausch mit den Lesern. Seit Februar können Leser jeden Tag per Live-Chat auf Facebook mit einem Mitglied der Chefredaktion oder dem jeweiligen Autoren des täglichen Kommentars diskutieren. Nach Angaben des Axel-Springer-Verlags gab es seit Februar 120 solcher Chats, an denen regelmäßig etwa 100 Nutzer teilnahmen. Wenn Leser etwas an der Berichterstattung von Bild auszusetzen haben, können sie sich zudem an den Ombudsmann wenden: Ernst Elitz, Hochschullehrer und früherer Intendant des Deutschlandradios, ist offizieller Ansprechpartner für Leserfragen und -kritik. Die Leser monierten etwa „die Berichterstattung und verlangen eine Offenlegung der Quellen. Oder sie bemängeln bestimmte Formulierungen als nicht korrekt oder gegen den Anstand verstoßend. Manche äußern, dass die Redaktion bestimmte politische Parteien bevorzuge oder benachteilige“, nennt ein Sprecher des Springer-Konzerns Beispiele. Pro Woche erhält Elitz rund 150 Zuschriften von Lesern, die auch eine persönliche Antwort bekommen. In unregelmäßigen Abständen schreibt Elitz in seiner Kolumne auf Bild.de darüber. (pro)

Korrektur: In einer früheren Version des Artikels stand, der Amoklauf in München habe im Europacenter stattgefunden. Das ist falsch. Es war am Olympia-Einkaufszentrum.

Von: jst

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