Die unsichtbare emanzipierte Muslima

Beim Studierendenprogramm „Dialogperspektiven“ sollen Muslime, Christen, Juden oder auch Nichtgläubige unterstützt vom Bildungsministerium ins Gespräch kommen. Eine Abendveranstaltung zum Thema Gender hat nun gezeigt, dass die Veranstalter der Realität nicht gerecht werden. Ein Kommentar von Anna Lutz
Von Anna Lutz
Mit Kopftuch und trotzdem emanzipiert: Das geht, sagen muslimische Feministinnen

Es gibt sie, die emanzipierte muslimische Frau. Davon ist Kübra Gümüşay überzeugt. Die Kopftuch-tragende junge Frau bezeichnet sich selbst als Feministin, bloggt und war für ein Fremdwörterbuch zum Thema Islam und Feminismus bereits für den Grimme Online Award nominiert. Am Donnerstag war sie eine von drei Podiumsgästen zum Thema „Gender und Religion“ des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks in Berlin. Glaubt man Gümüşay, dann gibt es viele wie sie in der muslimischen Community. Doch aufgrund der tradierten Rollenbilder in Deutschland würden Frauen mit Kopftuch und schlechten Sprachkenntnissen schlicht nicht wahrgenommen. „Sie sind mit ihrem Intellekt in der Gesellschaft unsichtbar“, sagte Gümüşay.

Das Studienprogramm „Dialogperspektiven“ will nach eigenen Angaben „Religionen und Weltanschauungen ins Gespräch bringen“. Dazu laden die Veranstalter mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung Studierende zu Seminaren, Konferenzen und Abendveranstaltungen ein. Neben der Frage nach dem Umgang mit Gender, geht es dabei auch um Religion und Gewalt oder Religion und Medien. Passend dazu holte Gümüşay am Donnerstag zu einer breiten Pressekritik aus: Homosexuelle Imame würden als „exotisch abgestempelt“. Dabei gebe es zunehmend schwule und lesbische Muslime, die sich ihren Glauben nicht nehmen lassen würden. Zu oft verliere sich die öffentliche Debatte über den Islam in einer Kritik an den großen Verbänden.

Schwule Imame sind Exoten

Tatsächlich gibt es viel zu sagen zur Rolle der Islamverbände, gerade in Zeiten einer Ditib-Spitzelaffäre, die nicht nur die internationalen Beziehungen zur Türkei belastet, sondern auch Zweifel daran streut, dass der größte Islamverband tatsächlich Einfluss auf den Religionsunterricht in Schulen haben sollte, wie es in einigen Bundesländern der Fall ist. Fakt ist, dass die Verbände nicht die Mehrheit der Muslime in Deutschland vertreten. Dennoch ist es eine Verklärung der Realität, anzunehmen, dass eine moderne Islamvariante den konservativen Mainstream abgelöst hätte.

Das belegen Studien, etwa jene der Universität Münster aus dem vergangenen Jahr unter türkischstämmigen Deutschen. Ein Drittel der Befragten wünscht demnach eine Rückkehr zur mohammedanischen Gesellschaftsordnung. Fast ein Fünftel stufen die Forscher als „religiöse Fundamentalisten“ ein. Der Blick nach Großbritannien zeigte im vergangenen Jahr, dass über die Hälfte der dort lebenden Muslime laut Meinungsforschungsinstitut ICM Homosexualität verboten sehen wollen. 2008 belegten Forscher im Auftrag des deutschen Innenministeriums: Ein Fünftel der muslimischen Schüler besucht eine Koranschule, jene Einrichtungen, vor denen Experten immer wieder warnen, weil sie Fundamentalismen hervorbringen.

An dieser Realität diskutierten die Teilnehmer der „Dialogperspektiven“ fröhlich vorbei, lediglich die Religionswissenschaftlerin Edith Franke wies darauf hin, dass in einer Welt der Medienvielfalt und der Migrationsbewegungen vieles darauf hindeute, dass althergebrachte Glaubenskonstrukte an Popularität gewönnen. „Menschen suchen Sicherheit“, sagte sie. Dazu dienten ihnen enge religiöse Regelsysteme. Franke erklärte, sie erkenne in allen Religionen „Belege für eine männliche Vorrangstellung“. Zum Beleg zog sie etwa den Ersten Korintherbrief der Bibel heran, in dem Paulus die Frauen auffordert, in den Gemeindeversammlungen zu schweigen. Die Frage sei, wie solche Textstellen am Ende gedeutet würden. Dies wiederum bestimme sich durch die gesellschaftlichen Machtverhältnisse.

Sexfeindliches Christentum

Weit radikaler äußerte sich der dritte Gast des Abends, Sozialwissenschaftler und Religionskritiker Michael Daxner, zum Thema Religion und Geschlecht: Besonders die christlichen Glaubensrichtungen hätten Probleme mit dem Körper und dem Umgang mit Sexualität. Religion, so seine Meinung, sei grundsätzlich sexfeindlich. Wer an ein Jenseits ohne Körperlichkeit glaube, verdamme den Körper im Diesseits. Er persönlich könne niemanden ernst nehmen, der einen totalen Wahrheitsanspruch vertrete. Dialog sei nur möglich, wenn niemand seine eigenen Glaubensinhalte absolut setze.

Vielleicht war das Hauptproblem dieser Podiumsdiskussion, dass der angekündigte Dialog zwischen Glaubensrichtungen und Nichtgläubigen kaum stattfand. Eine muslimische Feministin auf dem Podium vertritt nicht den Islam, Vertreter christlicher oder jüdischer Einstellungen äußerten sich gar nicht, auch nicht aus dem Publikum heraus. Wer dem Christen- und Judentum Sexfeindlichkeit unterstellt, sollte ein Gegenüber haben, das ihn auf das biblische Hohelied der Liebe hinweist. Wer Paulus als Frauenfeind deklariert, sollte einen Theologen an der Seite haben, der die einschlägigen Bibelstellen einordnet. „Dialogperspektiven“ versäumte am Donnerstag all das, konzentrierte sich stattdessen darauf, einen modernen Islam als Mainstream zu proklamieren und leistet so kaum einen Beitrag zu einem interreligiösen Dialog, der die ganz normale Gesellschaft jenseits der Universitätstore tatsächlich bereichern könnte. Warum ein Bundesministerium das in dieser Form unterstützen muss, darf man fragen. (pro)

Von: al

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