Die Türkei unter Erdogans Flagge

Die Türkei entfernt sich mehr und mehr von Europa. Das hat der türkische Journalist Burak Bekdil am Mittwoch in Berlin erklärt. In den letzten 35 Jahren habe sein Heimatland die religiöse Neutralität vollends verloren – und manövriere sich ins politische Abseits.
Von PRO

Bilder aus vergangenen Tagen sollen zeigen, wie es in der Türkei von einst zuging. Da ist ein Hochzeitspaar zu sehen. Und die Aufführung eines Schultheaterstücks. Die Fotos, die Burak Bekdil aus seinem Familienalbum hervorgekramt hat, wirken nicht viel anders als Bilder von Deutschen vor 30 Jahren. Frauen in engen Kleidern und mit hübschen Frisuren, Männer im Anzug, Kinder in Kostümen. Doch Bekdil hat bei seinem Vortrag im Rahmen der "Berlin Middle East Talks" auch Bilder aus der heutigen Türkei im Gepäck. Der Unterschied fällt auf den ersten Blick auf. Kopftücher, wohin das Auge reicht. Sogar im Kindergarten sind die Mädchen verhüllt. "Die Türkei hat ihre säkulare Einstellung verloren", sagt Bekdil. Und das ist noch nicht alles. Ein weiteres Bild zeigt Erwachsene und Kinder bei einer Demonstration. "Wir kämpfen, bis Israel von der Landkarte getilgt wurde", steht auf einem Plakat.

Türken nach Jerusalem

Verantwortlich für eine zunehmend antiisraelischer und islamischer werdende Türkei ist laut Bekdil vor allem die Regierung unter Premierminister Recep Tayyip Erdogan. Der habe noch nie einen Hehl aus seiner Ablehnung für Israel gemacht, ebenso wie aus seiner religiösen Überzeugung. Erdogan habe seinen Traum nicht verschwiegen: Dass eines Tages alle Türken in der Al-Aksa-Moschee in Jerusalem beteten. Die Hamas, das habe er mehrmals betont, sei für ihn keine terroristische Organisation. Muslime begingen keine Terrorakte.

Um den gesellschaftlichen Rechtsruck in der Gesellschaft zu belegen, führt Bekdil Erhebungen in der türkischen Gesellschaft an. Drei Viertel hätten bei den vergangenen Wahlen entweder für radikal islamische oder nationalistische Parteien gestimmt. Eine Erhebung aus dem Jahr 2009 zeige, dass die Türken in den USA, Israel und Frankreich die größten Gefahren für ihr Land sehen. Als "Gefahr für den Weltfrieden" bezeichneten die Türken vor allem die USA, Israel, Russland und Frankreich. Nur vier Prozent der Bevölkerung hätten den Befragungen nach eine positive Einstellung gegenüber Juden. 60 Prozent glaubten, Frauen sollten den Männern gehorchen, 33 Prozent befürworteten, dass sie zur Züchtigung geschlagen würden. Nur ein Drittel der Türken sei der Meinung gewesen, ihre Gesellschaft gründe auf denselben Werten wie die EU. 25 Prozent befürworteten einen iranischen Besitz von Nuklearwaffen.

"Der Minderheitentürke der 70er ist der Durchschnittstürke von heute geworden", sagt Bekdil im Bezug auf einen zunehmenden Antisemitismus am Bosporus und er geht noch weiter: Wir seien Zeuge eines religiösen Krieges, sagt er. "Und zwar eines islamistischen." (pro)

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