Das Lied von Conchita Wurst war gut und hat eine hohe Platzierung verdient. Das ist unbestritten. Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass der als bärtige Frau verkleidete Österreicher Thomas Neuwirth den ersten Platz auch wegen seines queeren Statements erreicht hat – mit Anzug und Krawatte statt Abendkleid und Lidschatten wäre der Erfolg vermutlich geringer ausgefallen. Er oder sie passt zum Zeitgeist und verkörpert die nach vielfacher Auffassung verschwimmenden Geschlechtergrenzen. Außerdem ist die Schwulen-Community unter den ESC-Fans stark vertreten, und Wurst hat sich selbst zur Aktivistin erklärt, die etwas verändern möchte.
Und schließlich sind es die Medien, die den Fokus auf die sexuelle Identität Wursts legen. Moderatoren und Journalisten, die das Ereignis begleitet haben, sind sich einig: Es sei toll, dass Europa endlich so weit sei, heißt es da. Mit dem ersten Platz für Conchita Wurst sei ein Zeichen gesetzt worden. Dass 1998 die transsexuelle Israelin Dana International gewonnen hat, scheint die Öffentlichkeit bereits vergessen zu haben.
Überhaupt war dieser 59. Eurovision Song Contest politisch aufgeladen. Die mehr als 10.000 Fans im Saal feierten ausgelassen ihre Toleranz mit Conchita Wurst, ließen es sich aber gleichzeitig nicht nehmen, zwei 17-jährige Mädchen mehrfach auszubuhen. Das Vergehen der Teenager: Sie hatten das Pech, aus Wladimir Putins Russland zu stammen. Während die sexuelle Identität für die Toleranzfraktion „Wurst“ ist, scheint die Herkunft eines Menschen eine wichtige Rolle zu spielen. Das ist pure Heuchelei.