„Die Stärkeren im Geiste“

Den Widerstand der "Weißen Rose" gegen das Nazi-Regime sehen viele als einzigartig an. Aber lassen sich bei den Widerstandskämpfern auch christliche Motive identifizieren und darf man von einem christlichem Widerstand sprechen? Dieser Frage widmet sich das neue Buch "Die Stärkeren im Geiste – Zum christlichen Widerstand der Weißen Rose", das kürzlich im "Klartext-Verlag" erschienen ist.
Von PRO

Eines wird bei der Lektüre des Buches deutlich: Der Widerstand in einem totalitären Staat glich einer "ungewissen und gefährlichen Reise". In seinem Vorwort verweist der Politikwissenschaftler Hans Maier darauf, dass im Nazi-Regime die einzelnen christlichen Widerstandskämpfer ihren Kirchen an Mut und Entschlossenheit weit voraus waren. Im Mittelpunkt der Bestrebungen der "Weißen Rose" standen die Würde des Menschen, dessen umfassende Freiheitsrechte sowie die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaates.



Ethische Geradlinigkeit



"Ja, wir glauben auch an den Sieg der Stärkeren, aber der Stärkeren im Geiste." So beschließt Sophie Scholl einen ihrer Briefe an ihren Freund Fritz Hartnagel. Sie war eine der Personen, die zum engsten Kreis der Widerstandsbewegung gehörte. Einer Bewegung, in der es keine Mitglieder gab, sondern die sich durch ihren Zusammenhalt und die persönlichen Beziehungen auszeichnete. Gemeinsam ist der "Weißen Rose" auch, dass sie trotz aller konfessionellen Unterschiede bis zum Ende ihre ethische Geradlinigkeit behielten. Ihre wichtigsten Anliegen waren es, auf die menschlichen Opfer, die Zerstörung und Vernichtung hinzuweisen und die "Verantwortung jedes Einzelnen zum Gegenhandeln" zu betonen. Damit hat die "Weiße Rose" nicht nur ein ökumenisches, sondern auch ein menschliches Vermächtnis.



Nach den Erfahrungen an der Front des Weltkriegs und Berichten von Freunden über Massenmorde in Polen und Russland genügte den Münchener Medizinstudenten das Diskutieren allein nicht mehr. Im Juni 1942 handelten Alexander Schmorell und Hans Scholl. Die ersten vier Flugblätter der Gruppe wurden von Ende Juni bis Mitte Juli 1942 verfasst und anonym mit der Post an Intellektuelle im Raum München verschickt. Im Winter dieses Jahres wurde die Gruppe um Sophie Scholl und Willi Graf erweitert.



Keine "idealistischen realitätsfernen Träumer"



Weil sie die brutale Wirklichkeit des Vernichtungskrieges erlebt hatten, könne man bei Scholl und ihren Mitstreitern nicht von "idealistischen realitätsfernen Träumer" reden, schreibt Renate Wind in ihrem Beitrag. In ihren Briefen, Tagebüchern und Verhören betonten alle den Stellenwert des Religiösen für sich selbst. Darüber hinaus verabscheuten sie alle in aller Entschiedenheit den grassierenden Antisemitismus. "Als Soldaten verurteilten sie die militärische Expansion, als Bürger setzten sie auf liberale Werte und demokratische Orientierung", heißt es in dem Buch.



Dabei waren es nicht die institutionalisierten Kirchen, die ihnen entscheidende Anstöße gaben, sondern philosophische, theologische und literarische Traditionen, die konfessionsübergreifend sind. Dies gipfelte sogar in dem gemeinsamen Wunsch von Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst, kurz vor der Hinrichtung und trotz unterschiedlicher Konfessionen gemeinsam die Kommunion zu erhalten.

Interessant ist dabei die Herkunft der "Mitglieder" der Widerstandsbewegung. Die Geschwister Scholl waren nämlich zunächst alle militante Mitglieder der Hitler-Jugend. Die "religiöse Wende" von Sophie Scholl vollzog sich, nachdem ihre Geschwister aufgrund "bündischer Umtriebe" verhaftet wurden. Das Ringen um Orientierung bestimmte fortan den Alltag und die Freizeit von Sophie Scholl. Einen entscheidenden Anteil an der Wende hatten dabei die Predigten des Universitätspredigers von Oxford, John Henry Newman, die sie las. Vor allem nach der intensiven Lektüre des Römerbriefes wurde bei ihr eine neue Gewissheit erkennbar, verbunden mit der Botschaft, dass der "Geist stärker ist als nackte Macht, Gewalt und Unterdrückung". Der katholische Theologe Jakob Knab kommt zu dem Fazit, "dass der totalitäre Anspruch der NS-Gewaltherrschaft angesichts der Gewissenstreue dieser Märtyrerin an seine Grenzen gelangte".



Wichtige Orte, an denen religiöse Fragen geklärt wurden


Ein weiteres Kapitel des Buches geht auf die religiösen Mentoren der "Weißen Rose" ein. Vor allem das Haus von Carl Muth und die dortigen Gespräche mit ihm und anderen Wissenschaftlern boten Möglichkeiten und Orte, an denen religiöse Fragen geklärt werden konnten. Die Relevanz des Religiösen kommt auch in den Abschiedsworten der Widerstandskämpfer zum Ausdruck. Willi Graf tröstet in seinem Abschiedsbrief seine Familie mit den Worten: "Gottes Segen über uns, in Ihm sind und leben wir. Lebet wohl und seid stark und voller Gottvertrauen!"



Das Abschiedswort von seinem Mitstreiter Christoph Probst lautet: "In der Ewigkeit sehen wir uns wieder!" Für Probst, der im Alter von 17 Jahren seinen Vater verlor, wurde vor allem die Advents- und Weihnachtszeit zu einer Zeit tiefer religiöser Bestimmung. In der Rückschau auf sein kurzes Leben hält der Medizinstudent fest: "Wenn ich es recht überblicke, so war es ein einziger Weg zu Gott." Aber in dem Buch kommen auch die Kritiker zu Wort, die behaupten, dass rund um die "Weiße Rose" alles getan wurde, "um jedes christliche und religiöse Symbol zu vermeiden". In der Rezeption der Widerstandsbewegung stellt jedoch vor allem die Schriftstellerin Ricarda Huch den "christlich ökumenischen Geist" heraus, der die Bewegung getragen hatte.



Eine literarisch prägende Rolle für die Mitstreiter der "Weißen Rose" spielten neben der abendländischen Kultur das Buch des Kirchenvaters Augustinus "Confessiones" (dt.: "Bekenntnisse), "Schöpfer und Schöpfung" von Theodor Haecker sowie aus der Bibel Psalm 90 und das Hohelied der Liebe.

Obwohl das Buch "Die Stärkeren im Geiste – Zum christlichen Widerstand der Weißen Rose" einen wissenschaftlichen Charakter hat, ist es doch gut lesbar und hat auch viele Hintergrundinformationen für Leser, die sich mit der Bewegung auskennen. Im Anhang befinden sich alle Flugblätter der Weißen Rose. Das Buch zeichnet die Wege der religiösen Sinnsuche von Menschen nach, die sich gegen das "Riesenfeuer mit bloßen Händen" wehrten. Ihre Beweggründe sind alle in einer tiefen christlichen Gläubigkeit verankert. Die FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher hat dies treffend mit folgenden Wort skizziert: "Alle starben sie mit ungebrochenem Mut und voller Gottvertrauen." (pro)

"Die Stärkeren im Geiste – Zum christlichen Widerstand der Weißen Rose" ISBN 9-78387-506600, Klartext-Verlag

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