In Amerika gehören die Werke von Flannery O’Connor zum Kanon der Südstaaten-Literatur, in Deutschland ist sie eher unbekannt. Ethan Hawke, bekannt als Schauspieler („Training Day“, „Before Sunrise“), hat für den Film „Wildcat“ über die katholische amerikanische Schriftstellerin das Drehbuch geschrieben und auch Regie geführt.
Die Hauptrolle übernahm seine Tochter Maya Hawke. Flannerys Mutter Regina wird gespielt von Laura Linney („Truman Show“). „Wildcat“ kam am im Mai 2024 in die amerikanischen Kinos und ist nun auf den amerikanischen Streamingportalen Amazon Prime, Apple TV, Google Play und Vudu zu sehen.
Der Spielfilm erzählt von den letzten Jahren im Leben der Schriftstellerin, deren Bücher ihren katholischen Glauben widerspiegeln und sich häufig mit Fragen des Glaubens, der Moral und des Leidens auseinandersetzen. Ihre posthum zusammengestellten „Complete Stories“ gewannen 1972 den „US National Book Award for Fiction“.
Im Alter von 24 Jahren wurde bei O’Connor die Diagnose Lupus gestellt, die gleiche Krankheit, die auch ihrem Vater das Leben gekostet hat. Ethan Hawke zeigt die junge Schriftstellerin in ihrer Verzweiflung angesichts der Krankheit, ihrem Wunsch, eine bedeutende Schriftstellerin zu werden und ihrem katholischen Glauben.
Ihr Glaube gibt ihr zwar einerseits Kraft, andererseits fühlt sie sich auch schuldig wegen ihrer Strebsamkeit, die sie als Hochmut interpretiert. Und besonders fromm sind ihre Geschichten auch nicht. Nach der Diagnose lebte O’Connor noch zwölf Jahre, sieben Jahre länger als erwartet. Sie besuchte jeden Tag die Messe. O’Connor starb am 3. August 1964 im Alter von 39 Jahren. In einem kurzen Nachruf in der „Times“ wurde sie als „eine der vielversprechendsten Schriftstellerinnen des Landes“ bezeichnet.
Fundamentalistische Christen und Atheisten verführen einander
Flannery O’Connor wurde am 25. März 1925 in Savannah in US-Bundesstaat Georgia geboren. Ihre Eltern waren irischer Abstammung. Sie studierte Soziologie und englische Literatur, später Journalismus. Die Autorin ist vor allem für ihre Kurzgeschichten bekannt. Die spielen normalerweise im Süden der USA und handeln von moralisch fragwürdigen Protagonisten, die häufig mit behinderten Figuren interagieren oder selbst behindert sind (wie O’Connor selbst durch Lupus).
Immer wieder geht es in ihren Geschichten auch um rückständige Charaktere und strenggläubige Christen. Von 1956 bis 1964 schrieb sie über einhundert Buchrezensionen für zwei katholische Diözesanzeitungen in Georgia. Ein Gebetstagebuch, das O’Connor während ihres Studiums führte, wurde 2013 veröffentlicht. Es enthält Gebete und Überlegungen zu Glauben, Schreiben und O’Connors Beziehung zu Gott.
O’Connor wird im Film dargestellt als junge, aufstrebende Autorin, die wegen ihrer Erkrankung mit 24 Jahren von New York wieder zurück in ihre Heimat Georgia ziehen muss. Ihre inneren Dialoge mit Gott machen einen Großteil des Films aus. Ihre Geschichten sind „skandalös“ und skurril, daher zweifelt sie daran, dass Gott sie mögen könnte. In ihrer Novelle „Wise Blood“ etwa geht es um einen Atheisten, der mit einer Prostituierten schläft und dann eine eigene Religion gründet mit dem Namen „Church of Christ Without Christ“.
In der Geschichte „Parker’s Back“ wirbt ein einfältiger, tätowierter Südstaatler namens Obadiah Elihue um eine fundamentalistische Christin. Es will sie damit beeindrucken, dass er sich ein großes Bildnis von Christus auf seinen Rücken tätowieren lässt. Doch sie ist entsetzt und hält das Tattoo für eine Sünde. In einer anderen Geschichte geht es um ein 17-jähriges Mädchen mit einem Holzbein, das sich als Atheistin bezeichnet. Als ein Bibel-Verkäufer vorbeikommt, lässt sie sich (fast) von ihm verführen.
Der Film verwebt Biografisches mit dem Fiktionalen aus O’Connors Geschichten, was etwas anstrengend ist. Ein halbes Jahrhundert nach ihrem Tod ging aus den Briefen der Schriftstellerin eine Ablehnung gegenüber Schwarzen hervor. In ihren Briefen verwendete sie das N-Wort häufig, sie störte sich offenbar an der Anwesenheit von afroamerikanischen Studenten in den Klassen, und in der U-Bahn setzte sie sich bewusst nicht neben Farbige. Hawke blendet diesen Rassismus weitestgehend aus – rassistisch sind hier eigentlich nur die anderen – er konzentriert sich stattdessen auf O’Connors Widersprüche in Bezug auf ihren Glauben, die für ihre Romane entscheidend sind.
„Schreiben ist tot ohne dich“, betet die junge Autorin. „Oh Herr, wachse in mir.“ Sie ist hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, Gott gefällig zu sein und dem Wunsch, eine große Schriftstellerin zu werden, was sie als selbstverliebt und sündig empfindet. Doch sie gibt zu: Nur wenn sie schreibt, ist sie wirklich ganz bei sich. „Gott, bitte schenke mir eine richtig gute Geschichte. Lass mich deine Schreibmaschine sein.“
Ein Priester, gespielt von Liam Neeson, wird gerufen, um sie an ihrem Krankenbett zu trösten. Sie gesteht: „Ich bitte Gott, aber ich kenne ihn nicht, weil ich im Weg stehe. Ich sehne mich nach Gnade. Ich kann sie sehen, aber ich kann sie nicht erreichen. Pater, wie kann ich eine gute Katholikin sein?“
Der antwortet: „Gib Almosen, diene anderen, durch Liebe, Opfer und Mut.“ Doch O’Connor weiß: „Aber alles, was ich kann, ist schreiben.“ Der Pater: „Dann schreib.“ O’Connor: „Aber was ich schreibe, ist skandalös.“ Der Geistliche rät ihr: „Wenn dein Schreiben ehrlich ist und dein Geist klar, ist alles Weitere Gottes Angelegenheit.“ Der Film „Wildcat“ zeigt eine Frau, die durch ihren katholischen Glauben keine Erlösung findet, sondern darunter eher wie unter einer Last leidet.