Die Sautreiber

Fukushima? War da was? Gorch Fock? Dioxin-Skandal? Alles das war Stoff für Intensivberichterstattung, Sondersendungen, Horrorschlagzeilen. Und jetzt sind diese Themen passé. Sind sie nicht mehr relevant? Doch, aber nicht für die meisten Medien.
Von PRO

Erinnern Sie sich noch an das Wort des Jahres 2007? Es war „Klimakatastrophe“. Es kommt einem vor wie aus einem anderen Jahrhundert. Dabei war die Wahl damals durchaus konsequent: 2007 überboten sich die deutschen Medien mit Horrorszenarien zur Entwicklung der Welttemperatur und deren Folgen. Die Folgen der Berichterstattung waren aber erst mal: Unruhe bis Panik in der Bevölkerung. Laut des damaligen ZDF-Politbarometers hielten 83 Prozent der Befragten den Klimawandel für ein ernstzunehmendes Problem. Die Politik reagierte. Es gab Klimagipfel, Aktionspläne, die bildstarke Reise der Bundeskanzlerin durch Grönlands Fjorde.

Heute, dreieinhalb Jahre später, ist das „Klima“ laut April-Politbarometer nur noch für 11 Prozent der Befragten wichtig, im Mai war es gar nicht mehr unter den zehn wichtigsten Themen. Was ist passiert? Waren die Konferenzen erfolgreich? Ist der Klimawandel gestoppt? Nichts davon: Die weltweiten Temperaturen steigen weiter (ob von Menschen verursacht oder nicht) und der weltweite CO2-Ausstoß steigt auch. Es gibt einen einzigen Unterschied: In den Medien kommt das Thema fast nicht mehr vor. Thema wichtig, Fakten unverändert, trotzdem keine Berichterstattung! Die Folge: kein Interesse bei der Bevölkerung.

Dafür war laut Politbarometer das wichtigste Thema im April die „Atomkraft“ mit 48 Prozent. Nach der Intensiv-Beschallung über Fukushima – kein Wunder. Doch auch dieses Thema hielten die Medien nur vier Wochen durch. Dann plötzlich nicht mehr, ohne dass sich in Fukushima etwas verbessert hätte. Und prompt war das Thema „Atomkraft“ in der darauf folgenden Mai-Umfrage nur noch für 22 Prozent wichtig.

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen – alles bekannt und trotzdem fast vergessen: BSE, Schweinegrippe, Vogelgrippe, Dioxin-Skandal, Gorch Fock, auch die berühmten Busunfälle: Alle paar Jahre, wenn ein schlimmer Unfall passiert, hat man den Eindruck, es gäbe auf einmal ein Massenphänomen Busunfälle. Intensiv wird in allen Medien über jeden weiteren Busunfall berichtet. Gab es denn nicht auch mehr Busunfälle in kurzer Zeit? Nein, aber die Aufmerksamkeit der Medien ist höher, und so wird intensiv und an prominenter Stelle über Busunfälle in der ganzen Republik berichtet, die es sonst allenfalls in die Kurzmeldungen geschafft hätten. Die Folge: eine starke mediale Verzerrung der Realität.

"Nicht jede Meldung aufbauschen!"

Das ist gefährlich, und zwar doppelt: Denn zuerst werden Probleme im kurzfristigen Medien-Hype schlimmer gemacht als sie sind: Die Berichterstattung führt zu Angst bei der Bevölkerung. Und die Angst führt leicht zu Aktionismus bei der Politik. Angst ist kein guter Ratgeber, Aktionismus kein guter Lösungsweg. Doch die zweite Folge ist mindestens genauso gefährlich: Wenn das Medieninteresse abebbt, weil die Journalisten eine neue Sau durchs Dorf treiben, dann ist das ursprüngliche Problem meist noch nicht gelöst. Es war nicht so schlimm, wie im Medienhype dargestellt, aber es war und ist trotzdem da. Nur, jetzt gibt es kein mediales Interesse mehr und damit auch keinen öffentlichen Druck, das Problem zu lösen.

Wir brauchen Medien, die nicht auf jeder Themenwelle mitsurfen, die nicht jede Meldung zur Schreckensmeldung aufbauschen, nur weil die Konkurrenten das auch machen. Die Abgrenzung darf nicht durch die marktschreierischste Schlagzeile erfolgen, sondern durch die richtige Themenauswahl und Einordnung – auch gegen den Trend. Und wir brauchen Medien, die sich – auch auf den vorderen Zeitungsseiten und Sendeplätzen – um die Probleme kümmern, die noch einer Lösung bedürfen, selbst wenn die nach frischem (Themen-)Fleisch gierende Medienmeute längst weiter gezogen ist zum nächsten Braten.

Thorsten Alsleben (39) war neun Jahre lang Korrespondent für Wirtschafts- und Finanzpolitik im ZDF-Hauptstadtstudio und ist jetzt Hauptstadt-Repräsentant der Unternehmens- und Personalberatung Kienbaum. (pro)

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