Die Pfarrerin und das todsichere Hobby

Angela Rinn ist evangelische Pfarrerin in Mainz-Gonsenheim. Ihre Freizeit nutzt die Theologin, um unter dem Pseudonym Vera Bleibtreu Krimis zu schreiben. Da stirbt auch schon mal jemand in der Kirche. Von ihrer Kreativität als Autorin kann sie in ihrem Pfarrberuf profitieren.
Von PRO
Genau wie Angela Rinn ist auch die Hauptfigur ihrer Krimis – Susanne Hertz – Pfarrerin. Deren Freundin Tanja Schmidt ermittelt in den Mordfällen.
Die Leiche liegt gut versteckt hinter der Orgel auf der Empore. Als der Küster die Kirche herrichtet, entdeckt er das Opfer. Es ist ein perfider Mord im kirchlichen Umfeld, der die Gemeinde erschüttert. War der Täter sogar ein aktives Gemeindemitglied? Kommissarin Tanja Schmidt ermittelt. Sie ist die beste Freundin von Susanne Hertz, der Pfarrerin der Gemeinde – und die Hauptfigur in den Büchern von Angela Rinn. Manchmal fährt Rinn bereits morgens um vier Uhr den Rechner hoch. In dieser Zeit kann die Pfarrerin bei einer Tasse Tee am besten schreiben. Noch vor ihrer morgendlichen Jogging-Runde arbeitet sie nicht nur an ihren Predigten, sondern frönt auch ihrem Hobby: Die Theologin schreibt unter dem Pseudonym Vera Bleibtreu Krimis. Drei Bücher, die alle in ihrer Wahlheimat Mainz spielen, hat sie bereits veröffentlicht. Gelesen hat Rinn schon als Kind gerne und viel. Dann hat sie sich in den Keller geschlichen, wo ihre Mutter die Krimis vor der Tochter verstecken wollte. Dem Mädchen war das egal. Das Hobby hat sie während des leseintensiven Theologiestudiums bis heute beibehalten. Die ersten Schritte als Krimi-Autorin machte sie 2005, als sie schon mehrere Jahre Pfarrerin war. Sie hatte gemeinsam mit dem Theologen Hans Küng ein Buch veröffentlicht. Dem Verleger gefiel ihr Schreibstil und er fragte sie, ob sie sich vorstellen könne, Krimis zu schreiben. Am 27. Oktober erscheint ihr viertes Werk – nach fast zweijähriger Arbeit.

Eine gute Beobachterin

Die Autorin fühlt sich beim kleinen, familiären Leinpfad-Verlag in Ingelheim am Rhein gut aufgehoben. Im Programm der großen Verlage würde ihre Arbeit untergehen, vermutet sie. Vom Roman „Schneezeit“ wurden knapp 4.000 Exemplare verkauft, von der nachfolgenden Geschichte „Die letzten Tage der Wespen“, die 2014 erschien, bisher 2.000. Ein Pseudonym erschien Rinn sinnvoll: „Ich wollte in Ruhe morden, ohne dass mir die Gemeinde reinredet“, sagt sie und schmunzelt. An ihrem Namen als Autorin hat sie mit dem Verlag lange gefeilt: „Erst sollte ich Lea Mangold heißen, aber das hörte sich zu sehr nach Gemüse an.“ Ihre Anonymität hat sie mittlerweile eingebüßt. Die Krimis sind weit über die Stadtgrenzen von Mainz hinaus bekannt. Das Echo in der Kirchengemeinde war überwiegend positiv: „Einige Gemeindeglieder vermuten allerdings immer mal wieder, dass sich hinter den Personen meiner Geschichten echte Charaktere der Gemeinde verbergen.“ Das schließt sie definitiv aus. Um ihre Charaktere zu entwickeln, stellt sich die Autorin häufig vor, wie sie mit ihren Hauptprotagonisten Tanja Schmidt und Susanne Hertz an einem Tisch sitzt. Dabei kommen ihr die besten Ideen, welche Spleens, Sorgen und Nöte die fiktive Pfarrerin und ihre beste Freundin haben und was sie im privaten Umfeld beschäftigt. Zu einem ihrer Krimis kam Rinn der erste Impuls auf dem Weg zu einem Trauerbesuch durch die verschneiten Mainzer Straßen: „Da wusste ich, dass der nächste Krimi genau so anfangen muss.“ Das Opfer des Falls „Schneezeit“, ein angesehener Professor, sitzt in einer kühlen Winternacht tot auf einer Bank auf seinem eigenen Anwesen. Die Geschichte führt Tanja Schmidt in die Abgründe der Medizin und das universitäre Umfeld. Um die kriminelle Fantasie zu entwickeln, brauche man eigentlich nur eine gute Beobachtungsgabe, sagt Rinn. „Natürlich haben auch Christen Aggressionen. In Mainz konnte ich das Gespräch eines älteren Ehepaars verfolgen. Ständig hat der Mann geredet. Auf einmal fiel wie aus dem Nichts der Satz: ‚In dem schwarzen Kleid siehst du noch dicker aus als normal.‘ Sie lächelte nur verlegen. Es sind doch gerade die kleinen Bosheiten der Menschen, die später eskalieren. Schon die ersten Seiten der Bibel sind voll von Mord und Totschlag“, ergänzt die Theologin.

Was die Predigt vom Krimi lernen kann

Rinn findet, dass die Tagesschau viel brutaler ist als mancher Krimi. Krimis hätten eine viel bessere Aufklärungsquote als die tatsächlichen Verbrechen, die täglich im Fernsehen serviert würden. Einen missionarischen Anspruch für ihre Bücher erhebt die Pfarrerin nicht. Sie findet aber, dass man beide Bereiche gut miteinander verknüpfen kann. Deswegen machen sich ihre Charaktere Gedanken über lebensrelevante Fragen: Wie können Menschen glücklich sein? Warum kränken mich Eitelkeiten? Und warum ist die Wertschätzung des Einzelnen unglaublich wichtig? „Die große Stärke der Krimis ist, dass sie milieuübergreifend sind“, findet Rinn. „Wenn er gut geschrieben ist, erreicht er alle sozialen Schichten.“ Charmant, humorvoll und gut recherchiert sind die Bücher eine unterhaltsame Lektüre. Rinn möchte auch einen Spiegel vorhalten. Bei allem, was in der Gesellschaft nicht gut läuft, bleibt für sie die Hoffnung, dass Gott den Menschen und seine Taten freundlich ansieht. Das Schreiben ist für die Pfarrerin ein Ausgleich zur Gemeindearbeit. Als Pfarrerin betreut sie gemeinsam mit einem Kollegen 5.500 Protestanten in Mainz. Zusätzlich zur Pfarrstelle unterrichtet sie als Privatdozentin angehende Pfarrer in Praktischer Theologie an der Universität Heidelberg. Ehrenamtlich bringt sie sich noch in der Synode ein. Ihr Zeitplan ist eng getaktet. Die selbstgewählte Doppelbelastung empfindet die Theologin auch als positiv. Vor allem dann, wenn sie in einem Berufsfeld vom anderen profitieren kann. „Eine gute Predigt ist wie ein guter Krimi. Sie sollte klar und verständlich sein. Zehn Goethe-Zitate helfen da nicht weiter.“ An der Universität erforscht sie genau das, was eine kurze und gute Predigt ausmacht. Das zahlt sich in der Praxis aus: „Beerdigungen bei uns dürfen nicht länger als 20 Minuten dauern, wenn die Angehörigen nicht das Doppelte bezahlen sollen. Da gilt es für mich als Pfarrerin, sich auf das Wesentliche zu reduzieren, aber auch die Menschen mitzunehmen und sie zu erreichen.“

„Klappe halten und auf Gott hören“

Für ihre Sonntagspredigten müssten sich Pfarrer immer wieder bewusst machen, dass vor ihnen Menschen sitzen, die atmen, die einen Konflikt oder tolle Erfahrungen mit Freunden hinter sich haben: „Darauf muss ich als Pfarrerin in der Verkündigung eingehen. Die Predigten Jesu waren auch humorvoll und politisch.“ Die 54-Jährige wünscht sich von ihrer Kirche, dass sie wieder eine Willkommenskultur entwickelt: „Wir müssen jungen Menschen zeigen, dass sie mitmachen dürfen. Die Kirche darf nicht als Institution mit landesherrlichem Habitus erscheinen.“ Das gelte auch für den Umgang mit jungen Pfarrern. Kirche müsse ein Stachel in der Gesellschaft bleiben und die wunden Punkte ansprechen. Wenn Rinn noch Zeit hat, kümmert sie sich um den Garten des Pfarrhauses. Am besten entspannen kann sie mit ihrem Mann bei einem Glas Wein am Rheinufer. Auszeiten, gerne auch in Form von spontanen Tagesausflügen, sind ihr wichtig. Gerade ist sie von einer dreiwöchigen Reise nach Myanmar zurückgekehrt, ohne in der Zeit auch nur eine E-Mail beantwortet zu haben. „Als kreativer Mensch brauche ich diese Cuts. Ansonsten gibt es eine Tendenz zum Funktionieren.“ Einmal im Jahr besucht sie einen katholischen Mönch und macht mit ihm Exerzitien: „Es ist wertvoll, einfach mal die Klappe zu halten und auf Gott zu hören. Dabei macht man tolle Entdeckungen und wird an vielen Stellen dankbar.“ Für den nächsten Roman im Oktober muss sie noch einiges zu Papier bringen. Vielleicht findet sie ja auf dem Weg zu dem wissenschaftlichen Vortrag in Bonn, den sie am Nachmittag hält, etwas Muße, um ein paar Seiten zu schreiben. „Der Raum für die Buchvorstellung ist schon gebucht. Von daher bin ich ganz zuversichtlich, dass es auch klappt“, sagt sie und grinst. Gute Ideen für weitere Bücher hat sie jetzt schon. Der nächste Mord kommt bestimmt. (pro)

Diesen Beitrag lesen Sie auch in der Ausgabe 3/2016 des Christlichen Medienmagazins pro. Bestellen Sie pro kostenlos und unverbindlich unter Telefon 06441 915 151 oder online.

https://www.pro-medienmagazin.de/journalismus/detailansicht/aktuell/vom-streifenwagen-auf-die-kanzel-96379/
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/kirche/detailansicht/aktuell/ohne-diese-frau-gaebe-es-weniger-kirche-im-tv-96072/
https://www.pro-medienmagazin.de/fernsehen/detailansicht/aktuell/zdf-film-ueber-pfarrerin-fuenf-gruende-abzuschalten-95927/
Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen