Die Muslimbruderschaft: Wiege des Islamismus

Die derzeit größte Sorge vieler Christen in Ägypten hat einen Namen: Die Muslimbruderschaft. Was aber ist das für eine Bewegung, die sich derzeit als stärkste Kraft der Opposition etabliert, als radikal-islamisch gilt, aber von sich selbst behauptet, keinen Gottesstaat aufbauen zu wollen?
Von PRO

Eines zumindest haben Christen und Muslimbrüder in Ägypten gemeinsam: Sie werden verfolgt. Ebenso wie Muslime, die zum Christentum konvertieren, landeten Mitglieder der Muslimbrüder unter dem am Freitag zurückgetretenen ägyptischen Präsidenten Mubarak im Gefängnis. Doch die Organisation hat Rückhalt in der Bevölkerung. Innerhalb der Oppositionsbewegung haben sie Schätzungen zufolge 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung hinter sich. Bei einer ersten Pressekonferenz erklärte die Bewegung in dieser Woche, keinen islamistischen Staat anzustreben. Das verwundert, gelten die Muslimbrüder doch als eine der einflussreichsten islamistischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts.

Die Gruppe wurde 1928 von dem Volksschullehrer Hassan al-Banna in Ägypten gegründet. Al-Banna gilt unter anderem als Befürworter eines bewaffneten Dschihad. Ziel seiner Muslimbrüder war es laut dem Islamexperten Peter Heinen, "allgemeine Gerechtigkeit" auf Basis ihrer Religion zu schaffen. Staat und Gesellschaft sollten unter die Kontrolle ihres Gottes gestellt werden. Den Sozialismus lehnten die Fundamentalisten ebenso ab, wie den Materialismus und den Imperialismus Europas. "Weder Osten noch Westen" wurde deshalb zu ihrem Motto. Grundsätzlich waren die Muslimbrüder der Auffassung, Europa korrumpiere die islamische Welt von innen heraus. Eine neue Ordnung auf Basis des Islam sei daher notwendig.

Die grundlegenden Regeln dieser Ordnung fasste die Bewegung in vier Punkten zusammen. Erstens: Basis der neuen Ordnung ist der Glaube an Allah und die Offenbarung seines Willens. Zweitens: Jeder Gläubige hat rituelle Pflichten zu erfüllen, etwa die Pflicht des Almosengebens, des Gemeinschaftsgebets am Freitag und des Fastens im Ramadan. Drittens: Das Zusammenleben der Muslime muss auf Basis des Glaubens geschehen, religiöse Pflichten werden somit zur allgemeingültigen gesellschaftlichen Praxis. Viertens: Die Gesetzgebung erfolgt im Rahmen des islamischen Rechts. Gerade der letzte Punkt umfasst theoretisch auch drakonische Strafen wie Steinigung bei Ehebruch oder die Amputation der Hand bei Diebstahl.

Zwischen Scharia und sozialem Engagement

Doch die Ideen der Muslimbrüder beinhalteten auch soziales Engagement. Nach ihrer Gründung wuchs die Bewegung rasch an. Bis 1935 hatten die Muslimbrüder Schulen in über 50 Dörfern und Kleinstädten in Ägypten eröffnet. Nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkte sich ihr Engagement noch. Soziale Institutionen für Bedürftige, Krankenhäuser und Bildungseinrichtungen wurden gegründet und verschafften den Islamisten weiterhin enormen Zulauf, sodass ihre aktiven Mitglieder Mitte des 20. Jahrhunderts auf eine halbe Million geschätzt wurden.

Diese Masse fundamentalistischer Muslime beunruhigte die ägyptische Führung zunehmend. Die Modernisierung hielt mehr und mehr Einzug im Land, was die Muslimbrüder dazu veranlasste, verstärkt politisch aktiv zu werden. So unterstützte die Gruppe in den späten vierziger Jahren etwa die Palästinenser in ihrem Kampf gegen Israel. Eine zunehmende politische Ächtung im eigenen Land war die Folge. Schließlich wurden führende Köpfe der Muslimbrüder gar inhaftiert. Die Islamisten antworteten militant. Ihr Vorgehen gipfelte im erfolglosen Mordanschlag auf den ägyptischen Präsidenten Nasser im Jahr 1954. Die Regierung ordnete folglich die konsequente Unterdrückung der Bruderschaft an und ließ zahlreiche ihrer Anführer inhaftieren.

Mutter der Hamas

Gerade die Muslimbrüder förderten auch die Entwicklung anderer religiös-politischer und militanter Gruppen. Ayman al-Zawahiri etwa, einer der führenden Köpfe Al-Qaidas, ist im Ägypten der 50er Jahre aufgewachsen, hat die Radikalisierung der Muslimbruderschaft also miterlebt und ist von dieser beeinflusst. Auch innerhalb der ägyptischen Landesgrenzen entstanden zahlreiche Ableger der Muslimbrüder, etwa die "Al-Takfir wa-Hidjra" oder die "Al-Qutbiyyn". Die Hamas ist eine weitere Tochterorganisation. Die Muslimbrüder selbst heißen Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele aktuell offiziell nicht für gut. Zu Israel erklärten sie im Jahr 2005: "Wir erkennen Israel nicht an, aber werden nicht gegen es kämpfen. Wir werden alle Verträge respektieren."

Die Meinungen zur aktuellen Ausrichtung sind geteilt. So erklärte etwa der Nordafrika-Experte der Bertelsmann-Stiftung, Hauke Hartmann, jüngst in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa), die Muslimbruderschaft sei in erster Linie eine religiöse Organisation mit sozialen Zielen und habe der Gewalt längst abgeschworen. "Die Muslimbruderschaft wird die politische Ebene dazu nutzen wollen, Korruption zu bekämpfen und Bildungsmöglichkeiten auszubauen", sagte Hartmann weiter.

Juden und Christen in Sorge

Nach Ansicht des Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland könnte die Gruppierung die Nahost-Friedensgespräche gefährden. "Wenn ich Stimmen der Muslimbruderschaft höre, dann habe ich die Sorge, dass das passiert, was im Iran passiert ist, dass ein Diktator gewichen und eine erheblich problematischere Diktatur gefolgt ist", sagte Josef Schuster in der vergangenen Woche in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Der koptische Menschenrechtler Naguib Gobraiel erklärte am Donnerstag im Gespräch mit dem "Tagesspiegel": "Wir Christen haben Angst vor den Brüdern. Sie haben eine lange Geschichte. Und sie treiben in unseren Augen Spielchen. Ihr eigentliches Ziel ist es, an die Macht zu kommen. Sie geben sich zunächst ganz harmlos, dann aber werden sie sich auf die Macht stürzen wie die Wölfe."

Etwas abgeschwächt bestätigte das der Leiter der Organisation "Evangeliumsgemeinschaft Mittlerer Osten", Dr. Reinhold Strähler, gegenüber pro: "Natürlich will die Muslimbruderschaft sich in positiver Weise einsetzen. Das hat sie schon in den vergangenen Jahren getan. Aber wir dürfen die wahre Intention dieser Bewegung nicht verharmlosen. Vergessen wir nicht: Ihr vorrangiges Ziel ist es nicht, armen und unterdrückten Menschen zu helfen, sondern den Staat stärker islamisch zu prägen." In der momentanen Oppositionsbewegung in Ägypten sei sie die wahrscheinlich stärkste Kraft. (pro)

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