Die Kehrseiten der Twitter-Revolution

Blogs, Twitter und Facebook – dass dieser Dreiklang eine wichtige Rolle bei den Revolutionen in der arabischen Welt spielt, ist wohl unbestritten. Doch Experten warnen: Es gibt auch eine Kehrseite der vermeintlich basisdemokratischen Werkzeuge. Beim "taz-Medienkongress" trafen Online-Dissidenten auf Kritiker des medialen Aufstandes.

Von PRO

Lina ben Mhenni könnte eine junge Frau sein, die gerne auf Rockkonzerte geht, in ihrem Blog über ihre Pläne für den nächsten Sommerurlaub schreibt und ab und an twittert, wie ihr der letzte Kinobesuch gefallen hat. Doch die kleine Tunesierin ist eine der wichtigsten Figuren einer Revolution, die im Internet begonnen hat. Unter echtem Namen bloggt sie über die Zustände in ihrem Land, ihre Lebensbedingungen und ihren Wunsch nach mehr Selbstbestimmung, nach Freiheit. Dafür wurde sie zwei Jahre lang von der Polizei verfolgt, bedroht, sogar misshandelt. Nur festnehmen wollte sie keiner. "Die Öffentlichkeit hat mich geschützt", sagt sie. Denn Lina ben Mhenni ist bekannt. Die Tunesier, aber auch viele ausländische Journalisten kennen ihren Namen, verlassen sich auf die Informationen, die sie über das Netz vermittelt. Wer weiß, was sonst mit ihr geschehen wäre.

Lina ben Mhenni war am Freitag eine von zahlreichen, extra aus ihren Heimatländern angereisten Bloggern, Twitterern und Journalisten, die beim Medienkongress der linkspolitischen Publikationen "Tageszeitung" (taz) und "Freitag" über die derzeitige Situation in ihren Heimatländern berichteten. Dass das Internet eine tragende Rolle für die Umbrüche in der arabischen Welt spielt, bezweifelt wohl keiner der geladenen Gäste. Dennoch gab es auch kritische Töne zur Twitter- und Blog-Revolution.

Das Internet als Propaganda-Instrument

So warnte der Medienwissenschaftler und Blogger Evgeny Morozov: Nicht nur die Bloggerszene entwickelt sich weiter – auch die Regierungen entdecken das Internet als Propaganda-Instrument für sich. Beispielhaft dafür nannte er etwa die "50-Cent-Armee" in China. 50 Cent sei die Summe, die die Regierung einem Blogger dafür zahle, wenn er einen Beitrag oder Kommentar poste, der ihre Politik in ein positives Licht rücke. Nicht selten nähmen Regierungen mittlerweile aktiv an Online-Diskussionen teil, um ihr Bild in der Öffentlichkeit zu verbessern. Die Online-Welt sei wesentlich leichter manipulierbar als Zeitungen und bei weitem "nicht so transparent, wie manche Menschen glauben", stellte Morozov fest.

Auch durch anders geartete "Cyber-Attacks" schwächten Regime die Bloggerszene. In Saudi-Arabien seien Webseiten regelmäßig nicht aufrufbar. Der Schutz ihrer Webseiten gegen solche Angriffe koste die Betreiber oft so viel, dass sie diese nicht am Laufen halten könnten. Im Sudan arbeite die Zivilpolizei mit gefälschten Accounts, etwa auf der Plattform Facebook. Wenn dort Regierungskritiker Gruppen bildeten, klinkten sich Polizisten unter falschem Namen ein, um illegale Inhalte hochzuladen, die dann zur Sperrung der Gruppen führten. Im Iran hingegen rufe eine "Cyber-Polizei" die Internet-Community dazu auf, aktiv nach Bloggern zu fahnden. Dazu veröffentliche sie online Fotos der Dissidenten.

Google, Facebook oder Twitter rundheraus gutzuheißen, sei naiv, erklärte Morozov, der auch das Buch "The Net Delusion. The Dark Side of Internet Freedom" (Die Netz-Illusion. Die dunkle Seite der Internet-Freiheit) veröffentlicht hat. "Moderne Medien können auch gegen uns genutzt werden", sagte er. Die traurige Wahrheit sei: Twitter, Blogs und Facebook seien keine reine Befreiungstechnologie. Die vermeintlich basisdemokratische Internet-Welt hat eine Kehrseite. (pro)

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