PRO: Herr Peters, wie blicken Sie als Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft der evangelischen Jugend (aej) auf die anhaltende Debatte um den Wehrdienst?
Peters: Ich kenne die Debatte um Ersatz- und Wehrdienst schon aus meiner Jugend. Nach meiner Verweigerung musste ich eine Gewissensprüfung absolvieren. Vor 45 Jahren hat jeder gedacht, dass er vermutlich nie zur Waffe greifen muss, weil wir alles im Griff haben. Wenn ich heute die vielen Autokraten weltweit sehe, beschleicht mich Angst. Mich irritiert aber auch, wie in vorauseilenden Gehorsam Kriegsmaßnahmen ergriffen wurden. Es befremdet mich, wie die Medien über einen drohenden Angriff Russlands schreiben. Trotzdem bin ich nicht so naiv, dass ich sage, dass wir keine Verteidigung brauchen.
Wie hätte aus Ihrer Sicht die Debatte zur Wehrpflicht laufen sollen?
Wir sind mit der steilen These eingestiegen, dass es eine unmittelbare Bedrohung gibt. Dabei sind wir aus meiner Sicht den Drohgebärden russischer Politiker auf den Leim gegangen. Ich hätte mir an dieser Stelle etwas mehr Reflexion der Politik gewünscht. Jetzt geht es darum, dass eine junge Generation die Fehler meiner Generation ausbügeln muss. Täglich werden neue Ideen präsentiert, ohne mit den jungen Menschen zu reden. Die Jugendlichen sind in erster Linie verunsichert und fühlen sich instrumentalisiert. Da muss man doch den Dialog suchen.
Wie zufrieden sind Sie mit dem Ergebnis, das es jetzt gibt?
Der Deutsche Bundesjugendring beteiligt sich produktiv am politischen Diskurs. Wenn ich mir die Debatten der letzten Tage anschaue, dann gibt es jetzt einen Kompromiss der Koalitionäre, den ich als Weg des geringsten Widerstandes bezeichnen würde. Ansonsten bleiben viele Fragen offen. Erledigen die Jugendlichen ihre Aufgabe freiwillig, hat es keine weiteren Konsequenzen. Ansonsten müssen wir auslosen, wen es trifft. Aber aus meiner Sicht kann sich keiner darauf verlassen, ob die Lösung Bestand hat. Das ist ein ungedeckter Scheck.
Sind Sie für einen freiwilligen oder verpflichtenden Ansatz?
Deutschland fühlt sich von Russland bedroht und muss deswegen die Bundeswehr so ausstatten, um dieser Bedrohung zu begegnen. Dabei nur auf Freiwilligkeit zu setzen, wäre naiv. Die Jugendlichen sollte ihre Entscheidung aber freiwillig und ohne Einmischung des Staates treffen dürfen. Natürlich muss man nachjustieren, wenn keine andere Lösung möglich ist. Jeder sollte auf Grundlage seines Gewissens entscheiden. Egal, ob er aus christlichen oder humanistischen Gründen. Und das sollte dann auch respektiert werden. Das ist meine minimale Forderung.
Was ärgert die junge Generation in der Debatte am meisten?
Die junge Generation ist total verunsichert. Der Wehrdienst ist ein Bruch im Lebenslauf. Der Staat fordert einen auf, den eigenen Lebensplan zu unterbrechen. Das ist für Viele eine Anfechtung. Ich bin überrascht, dass das bei vielen Menschen gar kein Thema ist, weil sie es nicht auf dem Schirm haben. Als aej sollten wir unsere Mitglieder dazu auffordern, junge Menschen zu befähigen, die für ihr Leben richtige Entscheidung zu treffen. Dabei wollen wir sie in ihrem ethischen Handlungsrahmen und in ihrem Glauben begleiten.
Wie können Sie als Verband die jungen Menschen unterstützen?
Viele junge Menschen sind von den aktuellen politischen Krisen überfordert. Da ist es wichtig, in den Verbänden ein Sprachrohr für die Interessen der jungen Menschen haben. Die neue EKD-Denkschrift zum Frieden bietet den jungen Menschen ja auch Positionen an, an denen sie sich orientieren können.
Wie kann aus Ihrer Sicht eine befriedigende Lösung aussehen?
Wir müssen glaubwürdig beantworten, wessen Interessen eigentlich zielführend sind. Viele Debatten mit direkten Auswirkungen für die junge Generation werden in der Regel von älteren Menschen also nicht in Einbeziehung junger Menschen geführt. Wir müssen uns fragen, wie wir Interessen aushandeln, die für die gesamte Gesellschaft zielführend sind. Dafür müssen wir wieder lernen, anders und mit genügend Vorlauf miteinander zu diskutieren. Politik und ihre Beschlüsse werden allzu oft von Gedanken an eine Wiederwahl beeinflusst. Davon müssen wir uns verabschieden. Ansonsten bekommen wir eine immer größere Gruppe der Unzufriedenen – und das ist schädlich für das gesellschaftliche Miteinander und bedroht die Demokratie unmittelbar.
Vielen Dank für das Gespräch.
Michael Peters, Diakon und Sozialarbeitswissenschaftler, ist als junger Mensch sozialisiert in der evangelischen Jugend als Ehrenamtlicher, war dann Gemeindediakon und auf Funktionärsebene tätig. In den vergangenen fünf Jahren war er aej-Generalsekretär.