Die Heimatlosen

Am Freitag soll die ganze Welt anlässlich des Weltflüchtlingstages dem Schicksal jener gedenken, die ihre Heimat gegen ihren Willen verlassen mussten. pro hat in Berlin Menschen getroffen, die auf einen Neuanfang in Deutschland hoffen.
Von PRO
Ein Flüchtlingsheim in Brandenburg: Asylsuchende leben hier auf engstem Raum
Tobias, Arian und Emmanuel hatten einmal eine Heimat. Nun suchen sie nach einer neuen. Auf unterschiedlichsten Wegen sind die drei Männer nach Deutschland gekommen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie zu Hause um Leib und Leben fürchten mussten. pro haben sie ihre Geschichten erzählt. Tobias war einst Lastwagenfahrer. Er lebte in Teheran, gemeinsam mit seiner Familie. Kürzlich hat er sich in einer Neuköllner Gemeinde taufen lassen. Mit dem Bekenntnis zum Christentum kam der neue Name. Seinen iranischen hat er abgelegt. Er führt nun ein neues Leben. Für pro berichtet er aus seinem früheren. Im Jahr 2009 wählt die Bevölkerung im Iran Mahmud Ahmadinedschad erneut zum Präsidenten. Kurz darauf brechen Proteste los, der Verdacht auf Wahlfälschung kursiert. Die Demonstrationen und Zusammenstöße bezeichnen die Medien später als Grüne Revolution. Grün ist die Farbe der Opposition. Via YouTube und Twitter posten die Demonstranten Bilder und Videos von Polizeigewalt, sogar von Hinrichtungen. Inmitten dieser Unruhen macht Tobias auf dem Heimweg ein Handyfoto von einer Brücke in Teheran. Kontrolleure greifen ihn auf, er muss 18 Tage ins Gefängnis. Wegen eines einzigen Fotos. Seitdem steht er auf der Schwarzen Liste des Regimes. Insgesamt vier Mal landet er im Knast. Dann entschließt er sich zur Flucht. Er nimmt die Route, die mittlerweile typisch geworden ist für Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten rund um sein Heimatland. Er überquert die Grenze zur Türkei, von da geht es illegal mit dem Boot weiter nach Griechenland. Dort wird Tobias festgenommen. Vier Monate lang sitzt er in einem Flüchtlingslager nahe der türkischen Grenze ein. Einrichtungen wie diese sind berüchtigt. 2011 reiste eine Gruppe deutscher Innenpolitiker nach Griechenland. Die Parlamentarier berichteten von menschenunwürdigen Zuständen, mehr als 40 Menschen würden in einem Raum zusammengedrängt, es stinke nach Urin. „Sehr schlimm”, sagt auch Tobias. Griechenland nimmt ihn nicht auf. Das Land wird zur Zeit seiner Ankunft von Flüchtlingen überschwemmt – 55.000 Menschen kommen allein im Jahr 2011 illegal über die türkisch-griechische Grenze in die EU, das griechische Asylsystem gilt als chaotisch. Zur Abschiebung wird Tobias zunächst freigelassen und in die Hafenstadt Patras gebracht. Von irgendwoher beschafft er sich einen bulgarischen Ausweis. Mit einem Touristendampfer reist er nach Italien und weiter quer durch Europa. Im Waggon eines Güterzuges gelangt er schließlich nach Aachen. Das ist nun zwei Jahre her. In Deutschland stellt er einen Asylantrag, wird nach Berlin verlegt und lebt heute in einem Heim in Schöneberg. Weil er aus einem sicheren Drittstaat kommt, hat er bisher kein Asyl erhalten, stattdessen kämpft er wie so viele andere gerichtlich für seine Anerkennung. Er darf nicht arbeiten, nicht studieren und Berlin nur auf Antrag verlassen. Seine Familie hat er seit seiner Flucht nicht gesehen. Was er an Deutschland mag? „Die Freiheit”, sagt er.

Noch keine neuen Gesetze für Flüchtlinge

Recht auf Asyl haben in der Bundesrepublik Menschen, die aufgrund ihrer politischen oder religiösen Überzeugung durch den Staat in ihren Rechten eingeschränkt werden. Armut, Bürgerkriege oder Naturkatastrophen sind zunächst kein Grund dafür, den Betroffenen Asyl zu gewähren. Wer über einen sicheren Drittstaat wie Griechenland nach Deutschland kommt, hat ebenfalls kein Recht auf Asyl. Reist ein Flüchtling illegal aus Afrika in die EU ein, wird sein Asylverfahren dort bearbeitet, wo er zuerst seinen Fuß auf europäischen Boden gesetzt hat, es sei denn, er hat zum Beispiel Familienangehörige in Deutschland. Etwas vereinfacht bedeutet das: Wer in Deutschland angenommen werden will, sollte besser mit dem Flugzeug anreisen. Eine Duldung in der Bundesrepublik ist darüber hinaus nur dann möglich, wenn der Flüchtling zum Beispiel nachweist, dass er in seinem Heimatland in Lebensgefahr wäre. Wer in Deutschland Asyl beantragt, erhält zunächst eine Aufenthaltsgestattung. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lädt Asylbewerber zu Anhörungen, in denen sie, wenn möglich, Beweise für ihre Verfolgung vorlegen. Wer abgelehnt wird, kann klagen. Prozesse um Aufenthaltsrechte dauern oft Jahre. Arbeiten dürfen Asylsuchende und Geduldete in den ersten neun Monaten nicht. Danach dürfen Arbeitgeber sie anstellen. Aber nur dann, wenn sie sich die Mühe machen, zu belegen, dass sie keinen Bewerber finden konnten, der aus Deutschland oder der EU kommt, oder wenigstens als anerkannter Flüchtling in Deutschland lebt. Nach vier Jahren können Geduldete eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis erhalten. Obwohl die schwarz-rote Bundesregierung im Koalitionsvertrag weitgehende Verbesserungen der Lage von Flüchtlingen versprochen hat, ist bisher kein neues Gesetz in Kraft getreten. Vor der Sommerpause des Parlaments ist dies wohl auch nicht zu erwarten.

Flüchtlingsheime: Zu dritt auf engstem Raum

Wie Tobias kämpft der Iraner Arian zusammen mit einem Anwalt gegen seine Ausweisung und für das Recht auf Arbeit. Seit 15 Jahren hat er sein Heimatland nicht mehr gesehen. Er werde politisch verfolgt, es habe nach Zeitungsberichten über ihn schon Anschläge auf seine Familie gegeben, begründet er sein Schweigen zur Frage, was genau ihm das Regime denn vorwerfe. Er bittet darum, seinen echten Namen nicht abzudrucken. Der über 30-Jährige lebt in Brandenburg. Seit drei Jahren teilt er sich ein Zimmer mit zwei anderen Männern. Wer seine Wohnung, einen etwa 25 Quadratmeter kleinen Raum, betritt, muss die Schuhe ausziehen. Arian will es so, er legt Wert auf Sauberkeit, so ist er es von zu Hause gewohnt. Im Iran lebte er in einer Wohnung, die rund acht Mal so groß war wie sein jetziges Zuhause. Arian serviert Tee. „Nur ein Löffel”, sagt er entschuldigend. Er hat so viel Besteck, wie er selbst braucht – mehr nicht. Der kleine Wohnbereich mit der braunen, fleckigen Couchgarnitur ist durch eine alte Schrankwand vom Schlafbereich getrennt. Jenseits des Raumteilers stehen drei Betten, dazwischen ist jeweils etwa ein Meter Platz. In insgesamt zwei dreistöckigen Blöcken leben in dem ehemaligen Kasernengebäude hundert bis zweihundert Menschen: Familien mit Kleinkindern, aber auch Alleinstehende und jene, die von ihren Familien getrennt wurden. Sie kommen aus Afrika, Osteuropa, den palästinensischen Gebieten, dem Irak, Marokko oder Afghanistan. Sie alle haben unterschiedliche Vorstellungen von Sauberkeit, verschiedene Bräuche und Sitten. Gemeinschafts-Toiletten und -Duschen befinden sich auf dem Gang. Eines der drei Waschbecken in der Herrentoilette ist voller schwarzer Haare, jemand hat sich dort offenbar den Bart geschnitten. Eine der Kloschüsseln wurde von einem Bewohner als Aschenbecher benutzt. Zigarettenkippen liegen überall verteilt, die leere Packung gleich daneben. Zwei Türen weiter befindet sich die Küche. Drei Backöfen mit Herd stehen dort an einer gelblich gestrichenen, kahlen Wand. Zwischen den Kochplatten haben sich breite braune Flecken ausgebreitet. Die Scheibe des rechten Ofens ist dick mit schwarzem Ruß verkrustet. „Der ist kaputt”, sagt Arian. Auch die anderen Geräte funktionierten nur teilweise. Zurück im Flur fällt der Blick auf eine gesprungene Fensterscheibe. „Das waren Faschisten”, sagt Arian. Bereits vor einigen Monaten hatte das Heim, in dem der Iraner lebt, für Schlagzeilen in der lokalen Presse gesorgt. Unbekannte hatten Steine und Farbbeutel geworfen und Hakenkreuze an die Fassade gesprüht. Zwei Kinderwagen wurden in Brand gesetzt. Hellersdorf ist auch in Brandenburg. Arian kämpft schon lange um eine Verlegung. Bisher erfolglos.

Flüchtlinge erster Klasse

Nicht jeder Flüchtling in Deutschland muss beengt hausen und erlebt Rassismus. Der Kongolese Emmanuel fühlt sich wohl. Der Afrikaner lebt zusammen mit einem Freund in einem Appartement in Berlin-Marienfelde. Das Notaufnahmelager wurde 1953 gebaut und diente einst dazu, Flüchtlinge aus der DDR zu beherbergen. Heute wohnen hier 650 Menschen aus etwa zehn verschiedenen Ländern, hauptsächlich Familien. Im Innenhof gibt es Grünanlagen und Tischtennisplatten, die Appartements haben mehrere Zimmer, eine eigene Küche und ein Bad. „Hier zu leben, bedeutet für mich Hoffnung”, sagt Emmanuel. 2007 verlässt der Vater von sechs Kindern seine Heimat. Er gehört zum Stamm der Tutsi, lebte an der Grenze zu Ruanda. Ausgelöst durch den Völkermord an den Tutsi im Jahr 1994 brach einst auch im Kongo ein Konflikt zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen aus, der bis heute nicht vollständig beigelegt ist. Emmanuel verliert seine Frau im Krieg. Die sechs Kinder überleben, er lässt sie in der Obhut seines Bruders – und flieht. Auf der Suche nach einem besseren Leben und in der Hoffnung, seine Kinder irgendwann nachholen zu können, stolpert er gemeinsam mit tausend anderen durch die Wälder im Grenzbereich des kongolesischen Nordens in den Sudan. Für einige Tage kommt er in einem Camp der UN unter, doch lange hält er es nicht aus. Die Flüchtlinge schlafen auf dem Boden und ohne Dach über dem Kopf, es gibt keinen Strom, kein fließendes Wasser, keine medizinische Versorgung. Der gläubige Christ kommt stattdessen in einer Kirchengemeinde unter. Er bleibt drei Jahre im Sudan. Als der ständig schwelende Darfur-Konflikt sich nicht beruhigt, fürchtet Emmanuel erneut um seine Sicherheit. Ohne Arbeit und als Illegaler sieht er keine Hoffnung auf ein neues Leben. Er flieht wieder. Den Weg, den er dieses Mal nimmt, überleben viele nicht. Er besteigt gemeinsam mit 17 anderen einen Truck und durchquert mit Hilfe eines Schleppers die Sahara. Sein Ziel: Libyen. Wer in der Wüste die Orientierung verliert oder sich mit dem Benzin verkalkuliert, stirbt. „Und nur, wenn du Glück hast, wirst du nicht von den patrouillierenden Soldaten erwischt”, sagt er. Nach sieben Tagen und sieben Nächten erreicht Emmanuel Libyen. Das ist im Jahr 2010. Nur kurz nach seiner Ankunft bricht der arabische Frühling aus und Diktator Muammar al-Gaddafi geht hart gegen die Aufständischen im eigenen Land vor. Ein Bürgerkrieg beginnt – Emmanuel flüchtet. Ein Jahr und sechs Monate verbringt er in einem tunesischen Lager. Dann bringen ihn die UN im Rahmen eines Resettlement-Programms nach Deutschland. Die Chance zu einer dauerhaften Neuansiedlung erhalten Menschen, die langfristig nicht in ihre Heimat zurückkehren können, und auch in dem Staat, in dem sie gestrandet sind, keine Perspektive auf ein sicheres Leben haben. Emmanuel darf nun in Deutschland bleiben und wird bei der Integration unterstützt. Er muss nicht einmal Asyl beantragen. Sobald er gut genug Deutsch spricht, kann er arbeiten. Wenn er sich eine Wohnung leisten kann, auch umziehen. Dass er diese Chance bekommt, ähnelt einem Lottogewinn – von 44 Millionen Flüchtlingen weltweit erhalten sie nur 80.000. Nach Deutschland kommen im Rahmen des Ressetlement-Programms seit 2012 jährlich 300 Menschen in Not. Die tageszeitung (taz) bezeichnete sie einst als „Flüchtlinge erster Klasse”. Emmanuel weiß seine Chance zu schätzen. Dennoch hat er einen Wunsch, den ihm die Behörden bisher nicht erfüllt haben: „Ich möchte eines Tages meine Kinder hierher holen.” Das darf er erst, wenn sein Geld reicht, um zumindest die vier Minderjährigen zu versorgen.Emmanuel, Tobias und Arian haben den Krieg in ihrer Heimat überlebt. Sie haben mit tausend anderen in griechischen oder afrikanischen Lagern gehaust. Sie haben ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um das Meer zu über- oder die Wüste zu durchqueren. Emmanuel ist angekommen und auf dem Weg in ein neues Leben. Tobias und Arian kämpfen weiter. Gegen die Rechten und für ihr Recht auf Asyl. (pro) Dieser Text ist leicht verändert in der Ausgabe 5|2013 des Christlichen Medienmagazins pro erschienen. Bestellen Sie pro kostenlos und unverbindlich unter der Telefonnummer 06441/915 151, via E-Mail an info@pro-medienmagazin.de oder online
https://www.pro-medienmagazin.de/politik/detailansicht/aktuell/koalition-schutz-fuer-fluechtlinge-christen-prostituierte-86884/
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/maria-und-josef-waren-auch-fluechtlinge-79596/
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