„Die Hardliner des Herrn“: Angst statt Hoffnung

Die ARD hatte sich hohe Ziele gesetzt: Dem "christlichen Fundamentalismus" in Deutschland wollte der Film "Die Hardliner des Herrn" nachgehen. Filmautor Tilman Jens hatte schon vor der Ausstrahlung angekündigt: "Der Film will nicht skandalisieren." Nur darstellen also, was ist. Jedoch: Was war eigentlich die Botschaft des Films? Nicht klar wurde, wer denn nun wirklich die Evangelikalen sind – und was sie glauben.
Von PRO

In Hessenhöfe, einem Ortsteil in Blaubeuren, hat die christliche Gemeinschaft „Das Leben“ ihren Sitz. Frauen und junge Mädchen erscheinen zu den Gottesdiensten bedeckt mit Kopftuch. Der Prediger brüllt auf der Kanzel, Gemeindemitglieder bekennen vor der Gemeinde in Ekstase, allem Weltlichen abzuschwören, sie weinen dabei und sprechen so schnell, dass es kaum einer versteht. Die Gemeinde sei eine „Trutzburg gegen den Satan“, heißt es im Film, und die Frauen einer „christlichen Zwangsverschleierung“ unterworfen.

In Bautzen unterrichtet eine Familie ihre Kinder zu Hause. Die Kleinen gehen nicht zur Schule, und das aus bestimmten Gründen: Die Eltern wollen nicht, dass ihre Kinder in der Schule Sexualkunde oder die Evolutionslehre im Biologieunterricht lernen. Unliebsame Passagen aus Unterrichtsbüchern werden herausgerissen, bevor die Kinder die Materialien zu lesen bekommen, sagt der Vater. „Werden die Kinder hier unter- oder abgerichtet?“, fragt der Filmautor. Und meint im Blick auf die Bilder aus Blaubeuren und Bautzen: „Blinder Gehorsam der Kinder gegenüber den Eltern und später blinder Gehorsam der Frau gegenüber ihrem Mann? Derlei Lehre kann Leben verhageln.“ Zwei Drittel der Menschen in den USA denken bereits so wie die Schulverweigerer aus Sachsen, hieß es. Und weiter: „Wer Kinder wegsperrt, der wird sich schwerlich auf die Bibel berufen können.“

„Sind alle Evangelikalen so?“

Das ist die eine Seite der „christlichen Fundamentalisten“, deren Meinung durchaus nicht alle Evangelikalen teilen. Die Mehrheit der Gottesdienste von Freien Gemeinden oder Baptisten läuft anders ab als etwa die Versammlung in Blaubeuren. Die wenigsten Frauen tragen hier Kopftücher im Gottesdienst und überdies ist ein Großteil der Evangelikalen in der Landeskirche engagiert. Längst sind sich viele Vertreter der Kirchen einig, dass die Evangelikalen eine Bereicherung sein können, dass sie aufgrund ihrer Glaubensüberzeugungen eben keine Bedrohung darstellen, die es zu bekämpfen gilt.

Viele Fragen bleiben offen

Dennoch, auch um die Bedrohung durch Kreationisten ging es, die „längst auf dem Vormarsch“ seien und in den Schulen die Evolutionslehre durch die Schöpfungslehre ersetzen oder zumindest ergänzt sehen wollten. Die hessische Kultusministerin Karin Wolff wiederholt vor der Kamera ihre Position, wonach im Biologieunterricht mit den Schülern durchaus auch alternative Modelle der Entstehung der Welt diskutiert werden könnten. Wolff sagt genau das, was schon im Lehrplan des Kultusministeriums steht. Dagegen wenden sich die bekannten Kritiker, der Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera und der Politikwissenschaftler Claus Leggewie: Unglaublich, man habe dem Ziel der Kreationisten bereits nachgegeben, lasse sich auf Diskussionen mit ihnen ein. „Unterricht darf aber nur auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und nicht auf der Irrlehre der Kreationisten“, so Leggewie. Dass überzeugte Christen natürlich an die Schöpfung glauben, aber immer wieder betonen, dass sie im Biologieunterreicht keine Schöpfungslehre verankern wollen, kommt nicht zur Sprache.

So bleibt auch hier ein fahler Beigeschmack und viele Fragen offen: Befürworten alle Evangelikalen, dass Frauen in Gottesdiensten ein Kopftuch tragen? Werden alle Pastoren bei ihren Predigten laut und schreien ihre Gemeinde an? Gibt es bald auf öffentlichen Schulen keine Kinder aus evangelikalen Familien mehr?  Und, ja, die bekannte, beängstigende Frage wird auch nicht beantwortet: Ist der Einfluss christlicher Fundamentalisten in den Schulen denn so groß, dass bald die Schöpfungslehre im Biologieunterricht gelehrt wird? Ist das überhaupt deren Ziel?

Angst vor Sodom und Gomorrha?

Auf alle diese Fragen lautet die Antwort: Nein. Im Gegenteil, es ist genau dies das Dilemma der Dokumentation, die fehlenden Antworten. Zurück bleiben bei den Zuschauern die offenen Fragen und Fehlurteile, die über so manchen interviewten Evangelikalen gefällt wurden. Wie über Hartmut Steeb, Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz. Er wurde gefragt nach geschiedenen Pfarrerinnen und Pfarrern, die seiner Meinung nach keine Leitungsfunktion mehr innehaben sollten. Und in seiner Position vom Sächsischen Landesbischof Jochen Bohl unterstützt wird. Oder nach Homosexuellen, deren Lebenspraxis aus Sicht der Evangelikalen nicht mit dem Christsein vereinbar ist. „Da ist sie wieder, die Bibel, die zum Maßstab und Richter wird, vorneweg über Homosexualität und Scheidung“, lautete der Kommentar im Film. Oder: „Tief sitzt unter Evangelikalen die Angst vor Sodom und Gomorrha.“

Andere Interviewte wollten sich bei einigen kritischen Fragen nicht festlegen lassen. Anders der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber. „Ich halte es für nicht angemessen, christliche Fundamentalisten mit islamischen Fundamentalisten zu vergleichen“, sagte Huber und stellte damit klar, dass selbst Bewegungen am Rand des christlichen Spektrums jegliche Gewalt und sonstigen Terror ablehnen.

Hoffnung statt Angst

Dennoch, auf anderen Ebenen hat der Film durchaus Angst geschürt, obwohl er das nicht nötig hätte. Angst deshalb, weil nicht alle Szenen, die gezeigt wurden, die evangelikale Bewegung abbilden. Solche Bilder tragen nicht dazu bei, ein ausgewogenes Gesamtbild zu liefern. Und auch die Szenen zwischen den Sequenzen waren nicht nur unsachlich, sondern provozierend: Eine brennende Bibel sollte die Zuschauer immer wieder daran erinnern, dass die Evangelikalen tagein, tagaus das Höllenfeuer predigen. Alle Meinungen, die angeblich nicht ihrer Ansicht entsprechen, werden gleichsam vom Feuer der Bibel geschluckt. Mit ihnen ist also nicht zu reden, weil sie nur drohen.

Nur bei einer Szene im Film kam Hoffnung auf, sie war ein Lichtblick. Ein Jugendgottesdienst in Stuttgart wurde gezeigt, veranstaltet von der Evangelischen Allianz. Hunderte junger Leute singen, beten und freuen sich ihres Glaubens. Keiner der Teilnehmer hatte ein Kopftuch auf, wetterte lautstark oder skandierte Parolen. Es waren Aufnahmen eines Gottesdienstes, wie er an jedem Sonntag in vielen evangelikalen Gemeinden im ganzen Land stattfindet. Einer der Leiter des Gottesdienstes, der Theologe Steffen Kern, sagte: „Wir wollen den Menschen  Mut machen zum Glauben.“ Das war vielleicht die einzige Aussage im Film, die treffend auf den Punkt bringt, wer die Evangelikalen tatsächlich sind.

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