Die gottlose Gemeinde

Atheisten in London veranstalten seit einigen Monaten Gottesdienste, die garantiert religionsfrei sein sollen. Nun haben sie angekündigt, weltweit expandieren zu wollen. Schon jetzt besuchen Hunderte ihre Veranstaltungen. Der Experte für Neuen Atheismus der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW), Reinhard Hempelmann, rät den Kirchen dennoch zu Gelassenheit.

Von PRO

Auf den ersten Blick wirkt es wie ein normaler Gottesdienst: Menschen kommen am Sonntag in einem Kirchengebäude zusammen, hören eine Lesung, eine Ansprache, singen gemeinsam – nur mit Gott hat das Ganze wenig zu tun. An den glauben die meisten der Besucher der sogenannten „Sunday Assembly” (Sonntags-Gruppe) nämlich nicht. Seit Januar treffen sich Atheisten in London einmal im Monat zu einer „gottlosen Versammlung”, wie es auf der Webseite der Gruppe heißt. „Wir dachten, es wäre eine Schande, wenn wir nicht die guten Dinge genießen würden, die mit Religion zu tun haben – etwa den Gemeinschaftssinn – nur aus Gründen der theologischen Meinungsverschiedenheit”, erklärt einer der Erfinder, der Comedian Sanderson Jones, laut der Zeitung Christian Post. Gemeinsam mit seiner Kollegin Pippa Evans begrüßt Jones derzeit rund 300 Menschen zu den Sonntags-Veranstaltungen unter dem Motto: „Lebe besser, hilf oft und denke mehr nach.” Statt Lobpreis-Liedern singen sie Stücke von Queen oder Oasis, statt einer Predigt über biblische Inhalte, drehen sich die Reden der Sprecher um Fragen nach dem Sinn des Lebens im Allgemeinen.

Nun hat „Sunday Assembly” bekannt gegeben, das Projekt auch in anderen Ländern auf den Weg bringen zu wollen. In einem Video auf der Webseite der Gruppe erklären Jones und Evans, sie hätten von mehr als 200 weiteren Menschen gehört, die ebenfalls atheistische Gottesdienste starten wollen. Für April haben sie deshalb eine Spendensammelaktion angekündigt. Mit dem Geld wollen die Atheisten Sprecher engagieren und Filmmaterial von deren Reden erstellen. Zudem haben die Initiatoren Richtlinien für Gemeinde-Ableger erstellt. Diese regeln die Abfolge des Gottesdienstes, beinhalten aber auch die Klausel, dass zehn Prozent der sonntags in den neuen Gemeinden eingesammelten Spenden an die Ursprungsgemeinde in London gehen sollen. Anfang April soll es im Rahmen der monatlichen Treffen der „Sunday Assembly” einen Ostergottesdienst für Atheisten geben.

„Atheisten brauchen keine Tempel”

„Ganz neu sind solche Versuche nicht”, sagt der Theologe Reinhard Hempelmann auf Anfrage von pro zu den gottlosen Gottesdiensten. Der Mensch sei unabhängig vom Vollzug seiner Religiosität ritualbedürftig. Deshalb gebe es auch Beerdigungs- und Heiratszeremonien, die kirchlichen Veranstaltungen zwar ähnelten, mit dem Glauben an Gott aber wenig zu tun hätten. Ebenso suchten auch die Atheisten in London nach Gemeinschaft und nach Antworten auf Sinnfragen. Ob ein solches Projekt weltweit erfolgreich sein kann, bezweifelt der Experte der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen: „In Gesellschaften, in denen Religion eine fundamentale Bedeutung hat, dürfte die Idee keine Chance haben – denn da gibt es schon religiöse Angebote und die Menschen leben bereits in festen Gemeinschaften.”

Unabhängig davon rät er den Kirchen zu einem gelassenen Umgang mit dem neuen Angebot der Atheisten. „Das ist auch eine Chance, zu begreifen, worin der eigene Glaube überhaupt besteht”, sagt er. Ohnehin sei bisher nicht klar, um welches Zentrum sich die Atheisten mit ihrem Angebot sammeln wollten. Und eines sei sicher: Auch innerhalb der Gruppe der Nichtgläubigen gebe es jene, die Gottesdienste rundweg ablehnten. Zu ihnen zählt der Begründer des Neuen Atheismus, Richard Dawkins. „Atheisten brauchen keine Tempel”, sagte dieser einst. „Uns muss klar sein, dass die atheistische Bewegung nicht einheitlich ist”, erklärt Hempelmann. Da gebe es Agnostiker, Religionsfeinde, Zweifler, spirituell Suchende oder schlicht Religionsdistanzierte. Zu welchem Typ die „Sunday Assembly” gehöre, müsse sich noch zeigen. (pro)

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