Die Gesellschaft der Zukunft

Es geht um die Betreuung der Kinder, um Krippenplätze und Familie. Und um Geld für Eltern, die ihre Kinder bis zum 3. Lebensjahr zuhause erziehen. Die einen lehnen solche Zahlungen ab, die anderen halten sie für ein Zeichen der Gerechtigkeit. Doch in der Debatte geht es nicht nur um Geld - sondern um die Gesellschaft der Zukunft.
Von PRO

Parallel zum Ausbau der Betreuungsangebote für Kleinkinder sollen Eltern, die ihr unter dreijähriges Kind zuhause betreuen, ein monatliches Betreuungsgeld erhalten. Diese Forderung der CDU/CSU-Fraktion und deren Familienministerin Ursula von der Leyen soll ab 2013 umgesetzt werden. Eltern erhalten, so ist es zurzeit geplant, 150 Euro im Monat, wenn sie keinen Betreuungsplatz für ihr Kind in Anspruch nehmen. Diese Planungen sorgen für reichlich Kritik. Exemplarisch zu beobachten war das am Donnerstag in der Talkrunde von "Maybrit Illner" im ZDF.

Die einen, etwa die bayerische Familienministerin Christine Haderthauer (CSU), fordern ein staatliches Betreuungsgeld als Anerkennung für Eltern, die ihr Kleinkind selbst betreuen und damit dem Staat die Kosten für den Krippenplatz sparen. Die anderen, etwa Manuela Schwesig, Familienministerin in Mecklenburg-Vorpommern und stellvertretende SPD-Vorsitzende, sehen in der Einführung eines Betreuungsgeldes einen Anreiz für sozial schwache Familien, ihre Kinder nicht in die Kinderkrippe zu schicken. Schwesig hält die Diskussion um das Betreuungsgeld für "zutiefst kinderfeindlich". In einem Interview mit dem Onlineportal der Wochenzeitung "Die Zeit" begründete sie ihre Haltung: "Das Geld soll laut Union ja nur gezahlt werden, wenn das Kind nicht in eine Krippe oder Kita geht. Das schafft falsche Anreize. Die Erfahrung zeigt, dass deshalb vor allem solche Kinder von ihren Eltern aus den Einrichtungen genommen werden, die Förderung besonders nötig haben."

Ähnlich argumentierte bei "Maybrit Illner" der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD). In der Sendung mit dem provozierenden Titel "Eltern unter Verdacht – Geld für Kinder oder für Schnaps?" sagte er: "Ich verstehe nicht, warum die Bundesregierung erst den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz schafft, aber dann eine Prämie dafür aussetzt, wenn Familien diesen nicht in Anspruch nehmen." Der Berliner fand deutliche Worte: "Was wird eine Familie, in der das Geld knapp ist, tun, wenn sie die Wahl hat, Geld vom Staat für die Betreuung zu bekommen oder Geld für eine Kinderbetreuung zu zahlen? Sie wird das Geld nehmen und das Kind zuhause lassen." Buschkowsky plädiert dafür, das Betreuungsgeld zu streichen und stattdessen für kostenlose Betreuungsplätze einzusetzen.

Balance in der Familienpolitik

Die bayrische Familienministerin Haderthauer dagegen möchte "die zwei Drittel aller Eltern, die ihr Kind selbst betreuen wollen, nicht im Regen stehen lassen". Ihr geht es um die Anerkennung der Elternverantwortung. In der ZDF-Sendung wies sie auf die Gefahr hin, dass durch den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Einjährige die "subtile Botschaft entsteht, dass Kinder in der Krippe besser aufgehoben seien". Für unter Dreijährige stehe die Bindung an die Eltern an erster Stelle. Diese sei immerhin Grundlage für eine erfolgreiche Bildung in späteren Jahren.

Betreuungsgeld auch in skandinavischen Ländern

Mit der Forderung nach einem Betreuungsgeld steht die CDU in Europa nicht allein da. Auch in den skandinavischen Ländern stehen die Modelle bezahlter Elternurlaub und staatlich geförderte Kinderbetreuung nebeneinander. Der Freistaat Thüringen hatte bereits 2006 eine Betreuungsgeld für Eltern von Zweijährigen, die ihre Kinder selbst betreuen, eingeführt. Laut einer Studie des Sozialwissenschaftlers Michael Opielka habe dies nicht dazu geführt, dass  Eltern ihre Kinder aus den Kindertagesstätten abmeldeten. Laut seiner Untersuchung sei für die meisten Eltern das eigene Einkommen wichtiger als das Betreuungsgeld, sagte er in dem ZDF-Beitrag.

Miriam Gruß (FDP), stellvertretende Fraktionsvorsitzende, betonte, dass ihre Partei besonderen Wert darauf lege, dass im Koalitionsvertrag die Gutscheine verankert wurden. Sie freue sich darüber, dass nun in Deutschland eine Diskussion darüber stattfinde, wie die Gesellschaft in Zukunft aussehen solle. "Wir wollen den Eltern das Geld in der Tasche lassen und Kinder mit Gutscheinen für frühkindliche Bildung fördern", so Gruß. Sie sei zutiefst davon überzeugt, dass "jedes Kind frühkindliche Bildung braucht und zwar egal wo es wohnt und egal wo es herkommt", betonte die FDP-Politikerin.

"Mehr Geld für Eltern"

Elisabeth Bussmann, Vorsitzende des Familienbundes der Katholiken und ebenfalls Gast bei "Maybrit Illner", hält das Betreuungsgeld für zu niedrig, um Eltern eine echte Wahlmöglichkeit zu bieten. Sie fordert eine Anschlussleistung an das Elterngeld in Höhe von 300 Euro für die Eltern von Zwei- bis Dreijährigen, aber auch mehr Flexibilität von der Wirtschaft, damit sich Eltern durch Teilzeitarbeitsmodelle die Erziehung teilen können.

Unbestritten ist, dass die überwiegende Mehrheit der Eltern unabhängig von der Höhe des Einkommens gut für die Kinder sorgt. "Eine wachsende Zahl von Familien aus einem bestimmten Milieu, die in der Gesellschaft nicht zurechtkommen, sind aber nicht in der Lage, ihren Kindern zu geben, was sie brauchen", formulierte "Stern"-Redakteur Walter Wüllenweber. Diesen "Multi-Problemfamilien" könne man am nachhaltigsten mit Bildung helfen. Wüllenweber wies darauf hin, dass Deutschland seit 30 Jahren weniger Geld für Bildung ausgibt als der Durchschnitt der europäischen Nachbarstaaten. Dennoch sei Deutschland in der Bekämpfung der Chancenungerechtigkeit im Vergleich zu anderen Ländern besonders erfolglos. Sozial schwachen Familien, die oft in der Gesellschaft nicht zurechtkommen, mehr Geld in die Hand zu geben, werde seiner Ansicht nach das Problem nicht lösen, sondern es zementieren.

Soll eine staatliche Leistung also nicht gewährt werden, weil sie eventuell missbraucht werden könnte? Die Antwort darauf könnte so aussehen, wie es der "Stern"-Redakteur formulierte: In einer solidarisch und christlich geprägten Gesellschaft sollte sich das System nach den schwächsten Mitgliedern richten.

Sich an den Schwächsten orientieren

Konsequent weitergedacht bedeutet das, dass ein Teil der Gesellschaft auf einen Ausgleich oder die Anerkennung der elterlichen Erziehungsleistung verzichten müsste, zugunsten einer Förderung der Kinder, die den Schutz und die Fürsorge der Gesellschaft brauchen. Die Wahlfreiheit von Familien, welches Familienmodell sie leben und wie sie ihre Kinder betreuen möchten, berührt dies nicht. Allerdings brauchen Familien denoch eine stärkere finanzielle Entlastung. Die von der Koalition beschlossene Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages dient nur einem Teil der Gesellschaft.

Allerdings verdeckt die intensive und anhaltende Diskussion ein Thema, das weit mehr Aufmerksamkeit erfordern sollte: die Qualität der Kinderbetreuungseinrichtungen. Wie sehen Ausbildung und Personalschlüssel in Kindertagesstätten und Krippen aus? Wie steht es mit der Bezahlung der Erzieherinnen? Bereits heute besteht ein Mangel an Erzieherinnen, das könnte auch daran liegen, dass im Verhältnis zu der fünf Jahre dauernden Ausbildung  das Einkommen im Anschluss sehr niedrig ausfällt.

Wie sieht es aus mit den Gruppenstärken, aber auch den Kosten für die Kinderbetreuung?Wäre es eventuell der beste Weg, Kinder zu förden, wenn der Besuch der Kindertagesstätte, ebenso wie der Schulbesuch, kostenlos wäre?

Genau diese Rahmenbedingungen sollten stärker in den Vordergrund gerückt werden, wenn es in den Diskussionen um das Wohl der Kinder geht.

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen