Die „friedliche Religion“, die vielen Angst macht

B e r l i n (PRO) - Die Inszenierung einer harmlosen Oper aus dem 18. Jahrhundert wird in Berlin abgesagt, weil Moslems sich beleidigt fühlen könnten; eine Ausgabe der F.A.Z. wird in Ägypten verboten, weil darin ein islam-kritischer Artikel enthalten war; und Muslime fordern einen eigenen Feiertag in Deutschland sowie ein "Wort zum Freitag" im Fernsehen. Warum bestimmen Muslime immer mehr die Medienaufmerksamkeit?
Von PRO

Die Türkische Gemeinde in Deutschland legte am Montag einen Plan mit 14 Forderungen vor, die einem „besseren Miteinander von Christen und Muslimen“ dienlich sein sollen. Anlass ist die Islam-Konferenz, zu der am Mittwoch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble eingeladen hat.

Die selbst ernannte Vertretung der etwa 2,3 Millionen Türken in Deutschland fordert unter anderem ein „Wort zum Freitag“, in Anlehnung an das „Wort zum Sonntag“, das seit über 50 Jahren im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wird. Statt evangelischen und katholischen Theologen oder Pfarrern sollen hier Muslime ihren Glauben darstellen dürfen. Von den knapp 83 Millionen Einwohnern der Bundesrepublik gehören etwa 3,5 Millionen Menschen dem muslimischen Glauben an. Auch einen „Tag des Dialogs der Religionen“ schlugen die Deutsch-Türken in ihrem Papier vor, damit der Islam mehr zur Geltung komme.

Ein weiterer Punkt im Forderungskatalog war die Bildung eines „Rates für islamische Angelegenheiten“. Darin sollten Islamwissenschaftler und andere Persönlichkeiten aus Deutschland sowie Theologen aus den Herkunftsländern der Muslime zusammenkommen. Sie sollen über religiösen Fragen diskutieren und die Bundes- und Landesregierungen beraten. Auch wünschen sich die Muslime die Anbindung an eine noch zu gründende Theologische Fakultät.

Islam-Unterricht an den Schulen

Die Türkische Gemeinde wünscht sich außerdem Islamkunde als ordentliches Wahlfach in der Schule. Der Unterricht solle eigens für die in Deutschland lebenden Schüler entwickelt werden. In Nordrhein-Westfalen hat bereits ein Modellprojekt begonnen. Gleichzeitig fordern die Türken, dass jegliche religiösen Symbole aus der Schule ferngehalten werden sollten; dass sich Schülerinnen vom Sport-, Biologie- oder Sexualkundeunterricht abmeldeten, sei falsch, und sie betonen die hier geltende Schulpflicht.

Als verfassungswidrig strikt abgelehnt wird von der Türkischen Gemeinde die Forderung, das Freitagsgebet in Moscheen in deutscher Sprache abzuhalten: „Es ist nicht von der Regierung zu bestimmen, in welcher Sprache die Religionsausübung zu erfolgen hat.“ Dies hatten Politik und Verbände, darunter auch der Zentralrat der Muslime, immer wieder verlangt.

Jeder Zweite in Deutschland (56 Prozent) ist der Meinung, dass das Zusammenleben von Christen und Moslems nur unzureichend funktioniert. Dies zeigt eine aktuelle Umfrage, die Forsa im Auftrag von RTL durchführte. 40 Prozent der Befragten gaben an, dass das Zusammenleben „weniger gut“ gelinge. 16 Prozent meinten sogar, es gelinge schlecht. Nur zwei Prozent bezeichneten das Zusammenleben als „sehr gut“, 37 Prozent als „gut“.

„Orgie der Entrüstung“

Zuletzt haben die Proteste in der islamischen Welt gegen die Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI. erneut gezeigt, dass die Ansichten über freie Religionsausübung, Toleranz und Meinungsfreiheit zwischen Westen und Osten, Christen und Moslems auseinandergehen. Und die Kluft scheint zu wachsen. Die Wutausbrüche in der arabischen Welt werden größer, die Anlässe kleiner. Der Schriftsteller Henryk M. Broder beschrieb die Situation unter der Überschrift „Eine Orgie der Entrüstung“ im „Tagesspiegel“ so: „Die wellenartig verlaufenden Empörungsausbrüche geben die Gemütslage der Empörten wie eine Fieberkurve wieder. Die Abstände zwischen den Ausbrüchen werden immer kürzer.“

Bekommen wir auch in Deutschland ein Problem mit den hier lebenden Moslems? Um den Dialog mit den muslimischen Mitbürgern zu fördern und um ihre Bedürfnisse zu beachten, initiierte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble die Islam-Konferenz, die am Mittwoch beginnt. Es sind Vertreter des Islam in Deutschland von fünf Verbänden eingeladen: die Türkisch-Islamische Union (DITIB), der Islamrat, der Zentralrat der Muslime, der Verband der Islamischen Kulturzentren und die Alevitische Gemeinde Deutschland. Das Bundesinnenministerium schätzt die Zahl der Aleviten hierzulande auf rund 500.000, organisiert ist aber nur ein Teil von ihnen.

Unterstützung für ihre Forderungen finden die Moslems vor allem bei Bündnis 90/Die Grünen. Sie setzen sich für eine rechtliche Gleichstellung des Islam mit den christlichen Kirchen ein. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck, forderte eine „Roadmap“ für die Gleichstellung des Islam mit Christentum und Judentum. Eine repräsentative muslimische Vertretung sei notwendig, welche auch für die 85 Prozent der Muslime sprechen könne, die nicht organisiert seien.

Der Politikwissenschaftler Bassam Tibi hingegen bezeichnete die Konferenz schon vorher als gescheitert. Wie die Berliner „tageszeitung“ berichtet, sagte der in Syrien geborene Tibi, der Bundesregierung gehe es um den Kampf gegen den Terror, den muslimischen Verbänden jedoch um Machtpolitik. Keinen von beiden gehe es jedoch um Integration.

Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, warnte vor zu hohen Erwartungen an die Islam-Konferenz. Die möglichen Fortschritte müsse man „nüchtern“ beurteilen, sagte er dem „Tagesspiegel“. Huber wies darauf hin, dass die EKD bereits seit zwei Jahren einen Dialog mit islamischen Verbänden führe.

F.A.Z. in Ägypten verboten

Anfang dieser Woche stoppte Ägypten die Auslieferung einer Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Der Grund: ein Artikel eines Geschichtsprofessors, der vom „Märchen der islamischen Toleranz“ spricht. „Der Islam will die Welteroberung“ lautet die Überschrift des Textes von Egon Flaig, Professor für Geschichte an der Universität Greifswald. In der F.A.Z. vom 16. September antwortete er auf die umstrittene Regensburger Rede des Papstes. Die Religion der Muslime habe als erste Weltreligion eine Apartheid geschaffen und die christlichen oder parsischen Mehrheiten kolonisiert und islamisiert. „Wer weiterhin das Märchen von der islamischen Toleranz verbreitet, behindert jene muslimischen Intellektuellen, die ernsthaft an jener Reform des Islam arbeiten, die im neunzehnten Jahrhundert so Erfolg versprechend begann“, heißt es darin weiter.

Der Religionsstifter Mohammed sei zugleich ein erfolgreicher Heerführer gewesen, so Flaig, und die kriegerischen Züge seien im Islam erhalten geblieben. Er wies dies unter anderem anhand der Suren 8,39 und 9,41 nach. Denen zufolge herrscht für die streng gläubigen Muslime Krieg, so lange in einem Land nicht der Islam herrscht. Daher sei der Islam eine genuin „kämpferische“ Religion. Sure 9,29 fordere den „Dschihad“, den Kampf für den Glauben. Der Historiker rief zur „radikalen“ Entpolitisierung des Islam auf – zu dessen eigenem Nutzen. Dann bliebe eine faszinierende Religion übrig, die Hegel die „Religion der Erhabenheit“ genannt habe.

Die in der arabischen Welt einflussreiche Muslimbruderschaft, die sich in Ägypten bildete und mittlerweile Millionen Anhänger hat, fordert die planmäßige Rückeroberung einst islamischer Gebiete – also auch Südeuropas. Auf Anweisung des ägyptischen Informationsministers Anas el Fekhi wurde die Verbreitung der F.A.Z.-Ausgabe verboten.

Mozart-Opern werden abgesagt – aus Angst vor Wutausbrüchen

Wer also Kritik am Islam übt, muss mittlerweile mit vehementen Reaktionen rechnen. Die Hemmschwelle, überhaupt den Islam in irgendeinen Zusammenhang zu bringen, steigt. Selbst wer eine Oper von Wolfgang Amadeus Mozart aufführt und einen Bezug zu verschiedenen Religionen in sie aufnimmt, läuft Gefahr, es mit dem Protest von Muslimen zu tun zu bekommen. Und das selbst dann, wenn der Islam nicht alleiniges Ziel einer Kritik ist. Der Regisseur Hans Neuenfels wollte am 5. November die Mozart-Oper „Idomeneo“ an der Deutschen Oper in Berlin aufführen. Der Stoff spielt im antiken Griechenland und handelt vom König von Kreta. Vom Islam keine Spur; Neuenfels baute in das antike Drama jedoch einen Verweis auf die heutigen großen Religionen ein: König Idomeneo holt aus einem Beutel die Köpfe von Poseidon, Jesus, Buddha und Mohammed und stellt sie auf vier Stühle.

Die Uraufführung dieser Neubearbeitung fand bereits im Jahr 2003 statt. Es gab zwar Proteste, wie sonst auch bei provokativen Bühnenstücken, doch es ist kaum denkbar, dass deswegen die gesamte Aufführung aus dem Programm genommen worden wäre. Dieses Mal warnte das Landeskriminalamt Berlin die Deutsche Oper, das Mozart-Stück aufzuführen. Die Beamten vermuten, dass das die religiösen Gefühle von Moslems verletzen könnte. Wer bislang keine Vorstellung von diesen „religiösen Gefühlen“ hatte, der sollte vor wenigen Monaten eine Lektion erhalten haben: Tausende Moslems gingen in mehreren Ländern tagelang auf die Straßen, verbrannten Staatsflaggen und zündeten später auch Häuser an, und Menschen kamen zu Tode. Grund waren teilweise islam-kritische Karikaturen in Dänemark.

Kulturstaatsminister Bernd Neumann sagte zum Stopp der Opernaufführung laut „Spiegel Online“: „Wenn die Sorge vor möglichen Protesten schon zur Selbstzensur führt, dann gerät die demokratische Kultur der freien Rede in Gefahr. (…) Die Freiheit von Kunst und Kultur ist ein hohes Gut in einer demokratischen Gesellschaft. Dieses verlangt von uns allen Toleranz und Courage. Toleranz auch gegenüber unbequemen und provozierenden Darstellungen, Courage im Angesicht der Kontroverse. Probleme lassen sich nicht durch Verschweigen lösen.“ Der „Dialog der Kulturen“ werde nicht erfolgreich geführt, „wenn wir aus Angst vor Kritik und Kontroverse die Freiheit der Kunst beschneiden. Deshalb war die Entscheidung der Intendantin falsch.“

Auch dem Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach „geht das ein bisschen zu weit“. Im Radiosender 100,6 Motor FM sagte er: „Ich fürchte, wir sind dabei, uns langsam aber sicher eine Schere im Kopf zuzulegen.“ Innenminister Wolfgang Schäuble kommentierte die Vorgänge mit den Worten: „Das ist verrückt.“

Als Henryk M. Broder vor einigen Wochen schrieb: „Sollte sich ein Theaterintendant trauen, Voltaires Stück ‚Mahomet‘ aus dem Jahre 1741 aufzuführen, muss er sich der Folgen bewusst sein“, meinte er das noch halb ironisch. Doch die Reaktionen scheinbar erboster Muslime, die ihre Religion in Gefahr sehen, übersteigt selbst Satire. Selbst wenn das Wort Islam „Frieden“ hieße, wie viele meinen, kann das nicht den Friedhofsfrieden bedeuten, der entsteht, wenn alle sich selbst knebeln.

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