„Die EU ist der Türkei beigetreten“

Ganz Deutschland diskutiert derzeit über den Fall des Satirikers Jan Böhmermann. Wie dessen Schmähkritik auf den türkischen Präsidenten in der Türkei wahrgenommen wird, darüber berichtete die Süddeutsche Zeitung in ihrer Montagsausgabe.
Von PRO
Der türkische Journalist Can Dündar kritisiert seinen Präsidenten Erdogan, aber auch das Verhalten der deutschen Kanzlerin
Das Bild zum Artikel in der Süddeutschen Zeitung (SZ) zeigt einen von einem Tintenklecks besudelten türkischen Präsidenten. Hat die Schmäh-Satire von Jan Böhmermann Recep Tayyip Erdoğan beschmutzt? Die Redakteure Tim Neshitov und Thorsten Schmitz haben türkische Komiker und Journalisten sowie türkischstämmige Deutsche befragt, wie sie die aktuelle Debatte bewerten. Für Hülya Özkan, die türkischstämmige Journalistin und Ehefrau des ZDF-Intendanten Thomas Bellut, ist die Causa Böhmermann vielschichtig und bewege viele Deutsch-Türken im Land sehr. Die Türkei sei schon lange nicht mehr das einstige „Süperland“, wie sie es in ihrem Buch „Güle Güle Süperland“ nennt. Darin beschreibt sie ihre Sicht der Dinge über die Türkei in der Vergangenheit und Moderne. Jan Böhmermann bewundere sie als Satiriker, aber mit dem jüngsten Gedicht habe er sich „verhoben“. Selbst Regisseur Fatih Akin, der den Film „The Cut“ über den türkischen Völkermord an Armeniern gedreht hat, schweigt zum aktuellen Thema.

„Strafanzeige ist Schwachsinn“

Eher diplomatisch und politisch sehr korrekt gibt sich der Grünen-Politiker mit türkischen Wurzeln: Cem Özdemir. „Ich habe mir angewöhnt, solche Sachen grundsätzlich nicht zu bewerten. Ich bin kein Kunstpolizist“, zitiert ihn die SZ. „Wenn Erdoğan empfindet, die ander Seite ist schwach und steht nicht zu ihren Grundüberzeugungen und verteidigt die eigenen Werte nicht, dann haut er noch mal drauf.“ Die türkischstämmige Satirikerin Idil Baydar, die als Komikerin als „Jilet Ayse“ auftritt, hält die Strafanzeige des Präsidenten gegen einen Kabarettisten für „Schwachsinn“. Böhmermanns Gedicht sei aber nur eine Aneinanderreihung von Klischees und habe sie nicht zum Lachen gebracht. Von Erdoğan hat sie eine eindeutige Meinung: „Er ist ein Diktator.“ Keinen Nutzen erwartet sie von Gesprächen auf politischer Ebene über dieses Thema: „Kannste vergessen. Bringt nix.“

Türkei ist „halb offene Haftanstalt“

Im Gefängnis schrieb er ein Buch, in dem er die Türkei als „halb offene Haftanstalt“ bezeichnet. Die Entscheidung von Angela Merkel – die Kanzlerin hatte am Freitag auf politischem Weg Ermittlungen gegen Jan Böhmermann zugelassen – hält er für falsch: „Wir haben gehofft, die Türkei werde der EU beitreten. Nun ist die EU der Türkei beigetreten.“ Jüngst sagte er in Istanbul: „Erdoğan ist auch bei Euch in Deutschland angekommen. Herzlichen Glückwunsch.“ Er selbst gehe weiterhin journalistisch gegen Erdoğan vor. Böhmermanns Gedicht findet er allerdings auch nicht lustig, „weil rassistisch und damit unnötig“. Auch die typischen türkischen Satirezeitschriften brächten immer zahmere Erdogan-Karikaturen, finden die SZ-Redakteure. Alle Fragen zum Thema beantwortet eine Redakteurin der Penguen-Redaktion mit den Worten: „Wir dürfen nichts sagen.“ Politische Satire gebe es noch in dem Istanbuler Theater von Müjdat Gezen. Erdoğan sei der „humorloseste türkische Präsident aller Zeiten“, findet Gezen, der schon lange politisches Kabarett macht. Eine seiner Theaterschülerinnen meint: Die Witze über die Politiker verliefen synchron mit deren Qualität: sie würden immer schlechter. Mittlerweile sehnten sich viele nach einem Staatsstreich gegen den Präsidenten. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am Freitag auf politischem Weg Ermittlungen gegen Jan Böhmermann zugelassen. Bisher hat Erdoğan in seiner Karriere gegen 1.900 Menschen ein persönliches Strafverfahren angestrengt. (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/politik/detailansicht/aktuell/bundesregierung-ermaechtigt-justiz-im-fall-boehmermann-95720/
https://www.pro-medienmagazin.de/kommentar/detailansicht/aktuell/erdogan-gedicht-so-ist-das-nun-mal-im-rechtsstaat-95627/
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