Die Einsamkeit des Weltbürgers

Vor 50 Jahren, am 18. September 1961, starb UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld bei einem bis heute nicht einwandfrei geklärten Flugzeugabsturz. Der damalige US-Präsident John F. Kennedy nannte ihn "den größten Staatsmann des Jahrhunderts". Oliver Kohler legt nun eine Tagebuchauswahl des außergewöhnlichen Politikers vor.
Von PRO

Nicht alle weltpolitischen Gestalter gehen als schillernde Persönlichkeit in das kollektive Gedächtnis der Menschheit ein. Umso wertvoller sind Bücher, die an Männer von entscheidendem Einfluss, aber geringem Bekanntheitsgrad erinnern. Oliver Kohler möchte in diesem Sinne mit einer Auswahl von Tagebucheinträgen auf Dag Hammarskjöld aufmerksam machen, der die Vereinten Nationen von 1953 bis zu seinem Tod 1961 geleitet hatte.

Die Einträge konzentrieren sich auf die letzten Tage Hammarskjölds vor seinem tragischen Flug, der ihn während der Kongo-Krise zu komplizierten Waffenstillstandsverhandlungen bringen sollte. Ergänzt werden sie durch Einträge aus früheren Jahren, außerdem finden sich im hinteren Teil des Buches Bilder des Künstlers Uwe Appold zu einzelnen Texten Hammarskjölds.

Bevor Hammarskjöld selbst zu Wort kommt, klärt Oliver Kohler in einem Essay den Werdegang und die historische Bedeutung des schwedischen Diplomaten adliger Herkunft. Als zweiter Generalsekretär der UN war es vor allem sein Verdienst, die damals noch junge Organisation handlungsfähiger und unabhängiger von nationalen Eigeninteressen zu machen. Auch die Entsendung von Friedenstruppen ("Blauhelme") als politisches Instrument der aktiven Krisenbewältigung hat er entscheidend gefördert.

Verbindung von Weltethos und Politik

Für Kohler zeigt sich die eigentliche Bedeutung Hammarskjölds jedoch nicht so sehr in den politischen Leistungen selbst. Vielmehr möchte er Hammarskjöld als Person vorstellen, die es verstand, die alltägliche Politik mit einem bestimmten Weltethos zu verknüpfen. Die Vision einer geeinten Menschheit war es, die ihn zu seinem Engagement für den Weltfrieden inspirierte.

Es ist allerdings fraglich, ob das Buch seiner Intention gerecht wird. Hammarskjöld wird dem Leser zwar als "Alternative" empfohlen, die es verstand, die politische Sphäre mit einer mystischen Dimension zu verknüpfen. Doch in den Tagebüchern finden sich bestenfalls Andeutungen über die Beschaffenheit dieser Verbindung. Auch in dem Essay erfahren wir nichts darüber, warum eine solche Verknüpfung angemessen ist.

Es wäre außerdem ein Missverständnis, in der Religiosität Hammarskjölds einen Glauben spezifisch christlichen Zuschnitts zu finden. Seine spirituelle Linie folgt vielmehr einer mystischen Tradition, die ein vages Gottesbild bereithält, in der Gott also alles und nichts sein kann. Auch daher wird man keinen Aufschluss über das ansonsten spannende Verhältnis von christlichen Werten und Weltpolitik erwarten dürfen. Dieser Aspekt wird in dem Buch etwas verschleiert, zumal mit dem Geleitwort des EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider ein christlicher Bezug suggeriert wird.

Zeugnis eines armseligen Lebens

Weitaus deutlicher werden die Tagebucheinträge aber in einer anderen Hinsicht: Aus ihnen spricht weniger ein inspirierendes Weltethos als vielmehr die Zerrissenheit eines Mannes, der bis zuletzt unter der Armseligkeit seines Lebens gelitten hat: "Alt werden. Wenig geliebt haben. Lieben. (…) Die sich liebten, haben mir die Liebe nicht beigebracht. (…) Deinen Mangel stillt niemand."

Die selbst eingestandene Unfähigkeit zu konkreten, dauerhaften Beziehungen passt zu dem Leben als UN-Generalsekretär, das sich immer im Vagen hielt, da es sich zwischen zwei Extrempolen bewegte: Einerseits die abstrakte Beziehung zur Welt der Diplomatie und der Öffentlichkeit, andererseits die Einsamkeit der New Yorker Wohnung oder der Landschaft Schwedens, in die er sich immer wieder zurückzog. Sein Fazit dazu: "Eine Spaltung zwischen dem Maskenhaften und der eigenen Verlorenheit, sie ist kaum auszuhalten." Das Tagebuch stellt den Versuch dar, nach dem Ursprung dieser Zerrissenheit zu fragen, sie ein Stück weit zu kitten.

Keine Alternative

Ob die Person Hammarskjölds also, wie es am Anfang des Buches heißt, als "Begleiter in den Umbrüchen und Aufbrüchen dieser Jahre" empfohlen werden kann, ist mehr als fraglich. Bemerkenswert sind die Einträge jedoch, da sie intime Einblicke in die Gedankengänge eines Politikers von Weltrang gewähren. Das Tagebuch belegt außerdem, dass sich Hammarskjöld trotz der Strapazen der Reise ein Auge für die unscheinbaren Details bewahrte, die ihn auf seinen letzten Reisestationen in Afrika begegneten. Diese verknüpfte er mit schriftstellerischem Können mit tiefsinnigen Reflexionen, und dieser künstlerische Anspruch findet in der ästhetisch ansprechenden Gestaltung des Buches seine Entsprechung. (pro)

Oliver Kohler: "Dag Hammerskjöld. Die längste Reise ist die Reise nach innen. Eine biografische Skizze mit Tagebuchauszügen. Bilder von Uwe Appold."
Adeo-Verlag
170 Seiten, 19,99 Euro
ISBN 978-3942208505

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