Bei Katharine Hayhoe kommt manches zusammen, was für viele Menschen nicht ins Schema passt: Sie ist Kanadierin, wohnt aber in Texas. Sie ist eine von wenigen Frauen in ihrem Berufszweig. Sie ist eine enorm erfolgreiche Klimaforscherin. Und evangelikale Christin. Damit gehört sie, zumindest in den USA, einer Minderheit an. Nur 28 Prozent der weißen Evangelikalen sind der Meinung, es gebe einen menschengemachten Klimawandel. Hayhoes Botschaft ist: Klimaschutz ist nicht sozialistisch, sondern biblisch.
Glaube und Wissenschaft waren für Hayhoe nie ein Widerspruch. Sie kommt aus einer gläubigen Familie. Ihr Vater war Lehrer für Naturwissenschaften. „Wissenschaft war für mich schon als Kind das Aufregendste überhaupt. Es war eine Möglichkeit, herauszufinden, was Gott sich bei der Erschaffung dieses wunderbaren Universums gedacht hat.“ Mit Mitte 20 studierte sie Astrophysik und belegte einen Kurs zum Klimawandel. „Erst da habe ich festgestellt, dass Klimawandel ein riesiges Thema ist, das alle anderen Umweltthemen berührt.“ Durch ihr Physikstudium hatte sie alle Werkzeuge erlernt, um Klimamodelle zu entwickeln. Von Anfang an war ihr klar, dass ihre Forschung zu einem tatsächlichen Nutzen führen sollte. An möglichst vielen akademischen Veröffentlichungen, die keiner liest, war sie nicht interessiert. Mittlerweile ist sie in den USA mit die bekannteste Klimaforscherin. Das Time Magazine zählte sie 2014 zu den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt.
Viele Forscher sind gläubig
In einem ihrer Vorträge versucht sie zu erklären, woher die Klimaskepsis vieler US-Evangelikaler kommt. „Seit Galileo wurde uns erzählt, Glaube und Wissenschaft stünden im Konflikt miteinander“, beginnt Hayhoe. Dabei sei dies schon damals falsch gewesen. Wenn es zwischen Glaube und Wissenschaft Widersprüche gebe, heiße das nicht, dass die Bibel, „Gottes geschriebenes Wort“, falsch sei. Stattdessen liege es oft daran, dass wissenschaftlich noch nicht genügend Erkenntnisse vorliegen oder dass die Bibel nicht richtig interpretiert würde. Das sei etwas anderes, als in der Bibel oder in der Wissenschaft „Fehler“ nachzuweisen. Auch radikale Atheisten wie der Biologe Richard Dawkins hätten zu einer Spaltung zwischen Wissenschaft und Glaube beigetragen. Nach Dawkins stünden auf der einen Seite die Forscher, die nach strengen Kriterien und mit scharfem Verstand die Welt untersuchen. Demgegenüber stünden dumme Gläubige, die ihre unaufgeklärte Weltsicht mit einer antiken Wüstenreligion begründen. Dawkins versuche so, einen Keil zwischen Gläubige und Wissenschaft zu treiben.
Diese Spaltung gibt es aber gar nicht, sagt Hayhoe. Sie untermauert das mit erstaunlichen Zahlen. Die Soziologin Elaine Ecklund habe den Glauben von Naturwissenschaftlern im akademischen Kontext untersucht. Etwa 50 Prozent von ihnen bezeichneten sich selbst mit einem religiösen Etikett: Christ, Jude, Muslim. Bei denen, die in sonstigen naturwissenschaftlichen Berufen arbeiten, zum Beispiel die Ingenieure, sind es ganze 76 Prozent. Die Erzählung von den atheistischen Naturwissenschaftlern ist ein Märchen.
Trotzdem gibt es seitens der US-Christen erhebliche Vorbehalte. Umgekehrt sei dies nicht der Fall: Hayhoe nimmt von ihren Kollegen in der Wissenschaft so gut wie keine Ablehnung gegen den Glauben wahr. Unter ihren Glaubensgeschwistern stellt sie hingegen umso mehr Skepsis gegen die Klimaforscher fest. Sie spricht von einem Verhältnis von 999:1.
Wie kann das sein? Laut Hayhoe liegt das an einem geschickten Schachzug politisch motivierter Gegner der Klimaforschung: Sie machten sie verächtlich, indem sie die Klimawissenschaft selbst als „Religion“ darstellen. Forscher wie Hayhoe würden als „climate scientologists“ dargestellt, als ob es sich bei ihrem Wissenschaftszweig um eine Sekte handle. Anderswo, auch in Deutschland, ist von „Klimareligion“ die Rede. Das stelle die Christen vermeintlich vor eine Wahl, welchem Glauben sie anhängen sollten: Dem Christentum oder der „Klimareligion“. Interessanterweise sind andere Gläubige nicht so skeptisch wie die weißen US-Evangelikalen. Während nach einer Studie des Pew-Institutes von letzteren nur 28 Prozent an menschengemachten Klimawandel glauben, sind es unter schwarzen Protestanten 56 Prozent, unter weißen Katholiken 45 Prozent und unter katholischen Hispano-Amerikanern ganze 77 Prozent.
Hayhoe macht die politische Ausrichtung weißer Evangelikaler dafür verantwortlich, die mehrheitlich den Republikanern anhängen. 2016 wählten 81 Prozent von ihnen die Republikaner und damit Donald Trump. Einen anderen Grund sieht Hayhoe in der Gemeindestruktur vieler Freikirchen: Die Katholiken hätten ihren Papst, die Anglikaner ihre Erzbischöfe, während die vielen Freikirchen oft für sich seien. Sie hätten schlicht keine Zeit, sich mit solchen Themen zu befassen. Die Folge ist laut Hayhoe, dass sie sich daher auf republikanische Politiker oder Medien verlassen, die den menschengemachten Klimawandel bestreiten. Ob jemand an den Klimawandel glaubt oder nicht, wird nach Hayhoes Auffassung somit zu einer politischen Frage.
Klimawandel trifft die Schwächsten
„Ich bin evangelikal. Also kann sich das Klima nicht ändern, denn Gott ist der Herrscher, nicht wir“, spricht eine lächelnde Katharine Hayhoe in die Kamera. „Und selbst wenn es so ist: Was soll’s? Die Welt geht sowieso ihrem Ende entgegen.“ Die gläubige Klimaforscherin betreibt auf YouTube den Kanal „Global Weirding“, ein Wortspiel aus „global warming“ (Erderwärmung) und „weird“ (komisch). Dort geht sie auf typische Argumente gegen den Klimawandel ein. Sie will damit Menschen ansprechen, die den menschengemachten Klimawandel für Spinnerei halten. Mit Animationen und ansprechend gestalteten Grafiken schafft sie es, auch komplizierte Zusammenhänge einfach zu erklären. Wenn sie über Meeresspiegel, Methan und CO2 spricht, wirkt sie eher wie eine Freundin, die auf einer Party eine Geschichte erzählt, als wie eine dröge Wissenschaftlerin.
Mit ihrem Engagement will Hayhoe die Gesellschaft zum Handeln motivieren – und zwar jetzt. Sie vergleicht das mit dem Rauchen: Wenn jemand täglich Zigaretten inhaliere, schade er sich damit. Womöglich werde er kurzatmig, bekommt einen Herzinfarkt, einen Schlaganfall oder Lungenkrebs. „Wann ist wohl der beste Zeitpunkt, um mit dem Rauchen aufzuhören?“, fragt Hayhoe. „Natürlich heute. Und wenn nicht heute, dann morgen.“ Für Hayhoe sind Glaube und Engagement für das Klima keine Widersprüche, im Gegenteil. Gott habe dem Menschen auch den Auftrag gegeben, die Schöpfung zu bewahren, auch wenn sie vergänglich ist. Klimawandel treffe vor allem die Armen, ob in Afrika oder Nordamerika. Wer sich also für Klimaschutz einsetze, übe nichts anderes als Nächstenliebe.
Diese gewinnende Art ist der Grund, warum sie auch bei Skeptikern ankommt. Bei einem hatte sie besonders viel zu tun: Ihrem eigenen Ehemann. Andrew Farley kommt aus Virginia, ging in eine sehr konservative Kirchengemeinde und kannte niemanden, der den Klimawandel für real hielt. Bei seiner Frau war es genau andersherum: Sie kannte niemanden, der den Klimawandel nicht für real hielt. Sie kommt zwar auch aus einem gläubigen Elternhaus, wuchs aber im liberaleren Kanada und in Südamerika auf, wo diese Frage weniger politisiert ist als in den Vereinigten Staaten. Die beiden lernten sich kennen, heirateten – und erst nach sechs Monaten Ehe stellten sie fest, dass sie entgegengesetzte Meinungen zum Klimawandel hatten. Am Intellekt konnte es nicht liegen, war Hayhoe überzeugt. „Ich wusste, dass mein Ehemann wirklich schlau war: Er ist promovierter Linguist, er hatte eine Stiftungsprofessur, er kannte sich mit Statistik aus, er wusste also, wie Wissenschaft funktioniert.“
Ist die NASA Teil einer Verschwörung?
Die beiden setzten sich zusammen, tauschten ihre Argumente aus, drangen tief in die Materie ein. Der eifrige Farley verbrachte Stunden auf den Websites von Zweiflern des Klimawandels und sammelte Material, um in der nächsten Diskussion mit seiner Ehefrau genug „Munition“ zu haben, wie er heute sagt. „Wir gingen dabei sehr respektvoll miteinander um und wussten, dass der andere jeweils wirklich gute Gründe hatte, anders zu denken“, erinnert sich Hayhoe. Irgendwann setzten die beiden sich zusammen an den Computer und riefen die Website der NASA auf. Für Andrew ein Schlüsselerlebnis. Er lud die Daten für die globale Temperaturentwicklung herunter, fügte sie in eine Excel-Tabelle ein – und er sah, wie die Temperatur eindeutig stieg. Ihm wurde klar: Entweder war sogar die NASA, die schon Menschen auf den Mond gebracht hat, in eine weltweite Verschwörung verstrickt. Oder seine Frau Katharine hat vielleicht doch recht.
Trotz ihres Erfolges fühlt sich die lebenslustige Frau manchmal traurig und mutlos. Vor allem weil sie trotz allem viel Gegenwind erfährt. Wenn sie morgens ihre E-Mails öffnet, schlägt ihr oft Hass entgegen: „Du bist eine Idiotin“, „such dir einen Job bei McDonald’s“, „stirb einfach“.
„Es ist die Sonne!“
Die Argumente, die Hayhoe begegnen, sind immer dieselben. So wie am 27.4.2015. Der Stadtrat von Texas hat Hayhoe als Expertin geladen, die über den Klimawandel spricht. In der Anhörung geht es darum, wie die Politik auf Naturkatastrophen reagieren soll. Der Republikaner Don Zimmerman ist verärgert. Er sitzt eine Ebene höher als Hayhoe, er stellt die Fragen. „Die Wissenschaft ist sehr, sehr kompliziert.“ Die Erde sei ja „womöglich Millionen Jahre alt und wir schauen nur auf 30 Jahre an Daten“. In den 1980ern sei durch Satellitendaten nachgewiesen worden, dass sich die Atmosphäre sogar abgekühlt habe, es gebe also keine Erwärmung. Außerdem habe sich das Klima doch schon immer verändert, das zeige ein Blick in die wissenschaftlichen Daten. „Klimawandel ist normal!“ Es wäre dann doch eher ungewöhnlich, wenn jetzt die Politik versuchen sollte, das Klima auf einem bestimmten Status festzunageln. Die These des Klimawandels sei für ihn „nebulös“ und „dumm“. Und außerdem sei doch klar, dass nicht CO2 die Erde erwärme. „Sie müssen nicht einmal so schlau wie ein Fünftklässler sein, um zu wissen, dass die Sonne das Klima bestimmt. Die Sonne!“
Hayhoe hat diese Vorwürfe schon hundertfach gehört. Sie reagiert trotzdem nicht genervt, sondern verständnisvoll. „Ich schätze Ihre Ausführungen, da sind viele gute Fragen dabei“, sagt sie in das Mikrofon. Um zu Zimmerman zu sprechen, muss sie nach oben schauen. Für dessen Argumente gegen den Klimawandel empfiehlt sie die Website „skepticalscience.com“, die deutsche Entsprechung dazu ist „klimafakten.de“. Dort würden alle seine Fragen beantwortet. Trotzdem geht sie in Windeseile auf Zimmermanns Wutrede ein: Natürlich habe es immer Klimawandel gegeben, natürlich sei die Sonne für das Klima hauptverantwortlich. Doch wenn es nur nach der Sonne ginge, müsste sich die Erde eigentlich abkühlen, denn die Sonnenaktivität habe in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen.
Ja, Satellitendaten in den Achtzigern hätten eine Abkühlung gezeigt – „bis sie feststellten, dass sie ein Plus und ein Minus vertauscht hatten“. Außerdem bezögen sich Klimawissenschaftler natürlich nicht nur auf Daten in einem Zeitraum von 30 Jahren. „Stattdessen erkennen wir 26.000 Indikatoren für einen sich erwärmenden Planeten, viele davon können wir in unseren eigenen Gärten sehen.“ Dazu kämen Messungen, mit denen man Jahrmillionen erforschen könne. Vor 1.000 Jahren habe man auf steigende Temperaturen und Meeresspiegel einfach seine Sachen gepackt und sei nach Norden gezogen. „Das Problem beim Klimawandel ist: Wir können das heute nicht mehr ohne Weiteres. Wir mögen es schön beständig.“ Mit dieser Sprache trifft sie auch den Nerv der Konservativen, die das Gute bewahren wollen.
Im Oktober 2016 diskutierte sie mit dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama im Weißen Haus über Klimawandel. Hollywoodstar Leonardo DiCaprio moderierte. „Katharine ist neben ihrer Rolle als herausragende Klimawissenschaftlerin auch eine Person mit einem sehr tiefen Glauben“, sagte Obama. „Sie hat sehr viel dafür getan, ein eher ungewöhnliches Publikum zu erreichen, um eine breite Koalition in diesem Thema zu bilden.“ Drei Jahre später sind die USA weit von einem breiten Bündnis gegen den Klimawandel entfernt. Katharine Hayhoe hat noch Einiges zu tun.
Von: Nicolai Franz
Weiterführende Links
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