pro: Wie hat die Bahnhofsmission geholfen, nachdem der Junge und seine Mutter vor den Zug gestoßen worden waren?
Carsten Baumann: Wir haben, kurz nachdem die Tat geschehen ist, einen Anruf durch die Deutsche Bahn erhalten, ob jemand von uns kommen kann. Ich bin dann direkt ans Gleis gegangen. Wir haben dann miteinander verabredet, was die Bahnhofsmission unterstützend tun kann. Wir haben unsere Räumlichkeiten für die direkt Betroffenen zur Verfügung gestellt. Die komplette Einsatzkoordination von Polizei und Rettungskräften hat dann in den Räumlichkeiten der Bahnhofsmission stattgefunden. Auch die dazugerufenen Notfallseelsorger haben die Menschen bei uns betreut.
Haben Mitarbeiter der Bahnhofsmission auch selbst mit den Betroffenen, die das gesehen haben, gesprochen?
Ich war mit in die Gespräche involviert, die Vielzahl davon haben aber die Notfallseelsorger übernommen. Die anderen Mitarbeiter der Bahnhofsmission haben dann dafür gesorgt, dass ein bisschen Ambiente da ist, dass Essen, Kaffee, Wasser da sind und die Versorgung der Helfer stimmt. Wir haben uns etwas abgeschirmt und die Bahnhofsmission in der Zeit geschlossen, damit für die Einsatzkräfte gutes Arbeiten möglich wurde.
Was kann man in so einer Situation den Menschen sagen, die davon betroffen sind? Gibt’s da eine Art Trost, den man spenden kann?
Das kann ich nur für mich beantworten: Einen direkten Trost können Sie in dem Moment nicht spenden. Der Trost liegt vielleicht darin, dass Sie Ihre Anwesenheit anbieten, dass die Menschen erzählen können, was sie jetzt gerade bewegt und was sie durchgemacht haben, welche Bilder im Kopf sind, um sie dann ein bisschen zu beruhigen – wenn das überhaupt geht.
Wie nehmen Sie jetzt, drei Tage nach der Tat, die Stimmung am Hauptbahnhof wahr?
Es immer noch eine große Fassungslosigkeit und ein Entsetzen über die Tat da. Immer noch stehen Menschen fassungslos am Gleis 7, legen Blumen ab, blicken auf das Blumenmeer, werden still. Man merkt einfach: Die Betroffenheit hält an.
Kommen noch Menschen auf Sie und andere Mitarbeiter der Bahnhofsmission zu, um darüber zu sprechen?
Wir haben im Rahmen der gestalteten Andacht am Dienstag angeboten, dass Menschen den Raum der Stille der Bahnhofsmission aufsuchen können. Da liegt das Kondolenzbuch aus, was wir bei der Andacht schon ausgelegt hatten, um die Gefühle einfach ein Stück zu kanalisieren. Und wenn Menschen dann Gespräche brauchen, sind wir dafür da.
Frankfurt ist eine sehr internationale Stadt, man sieht das auch auf dem Hauptbahnhof. Der mutmaßliche Täter ist aus Eritrea. Haben Sie Sorge, dass sich die Tat auch auf das Miteinander auswirken könnte?
Wir haben in der Andacht versucht, einen Bezug herzustellen zu dem, was in den sozialen Netzwerken schon passiert ist. Dort wurde ja heftigst diskutiert. Ich habe selbst gesagt: Da versuchen einige mit dieser Tat die gesellschaftliche Spaltung voranzutreiben, die wir in den letzten Jahren durch die Zuwanderung spüren. In meinen Augen ist das völlig deplatziert. Es geht um das Kind, es geht um die Mutter und den Vater, es geht um dieses schreckliche Ereignis.
Haben Sie einen Ratschlag wie man solchen Äußerungen entgegentreten kann?
Ich glaube, dafür braucht es ein gewisses Standing, um dem wirklich entzutreten. Man sollte bei der Faktenlage bleiben und nicht herumspekulieren, was die Motive waren, die bisher nach meiner Kenntnis ungeklärt sind. Das ist alles nicht hilfreich. Das Kind ist tot und für die Eltern ist das einfach eine Katastrophe. Ich glaube, wir müssen darauf achten, dass diese Gesellschaft zusammenbleibt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Jonathan Steinert