Die bedrohliche Macht von Facebook und Co.

Wer online unterwegs ist, kommt an Google, Microsoft und sozialen Netzwerken wie Facebook kaum vorbei. Die großen Internetkonzerne bestimmen, was im Netz läuft und welche Informationen dort wie zu finden sind. Das ist eine Gefahr für die Demokratie, meint der Medienwissenschaftler Stephan Russ-Mohl und erklärt, was Mediennutzer deswegen unbedingt lernen sollten. Die Fragen stellte Jonathan Steinert
Von Jonathan Steinert
In Sozialen Medien bestimmen Algorithmen und Programme, welche Informationen die Nutzer zu sehen bekommen. Wie das genau geschieht, verraten die Internetkonzerne nicht.

pro: Sie sehen in der Digitalisierung eine Gefahr für die Demokratie. Dabei erscheint das Internet als das demokratischste Medium überhaupt: Jeder kann Inhalte produzieren und alle verfügbaren Inhalte nutzen. Worin liegt die Gefahr?

Stephan Russ-Mohl: Natürlich bietet uns das Internet unzählige neue Möglichkeiten für die Kommunikation und auch für die Recherche. Wenn man es richtig nutzt, erweitert es vielfältig unseren Horizont. Für hochproblematisch halte ich die Rolle einiger IT-Giganten. Facebook, Twitter und Google etwa entscheiden in sehr undurchsichtiger Weise darüber, was wir über ihre Plattformen und Suchmaschinen zu sehen und zu lesen bekommen. Noch dazu sind sie anfällig für Manipulation: Für bestimmte Akteure lohnt es sich wirtschaftlich, im Netz Fake News, also bewusste Falschnachrichten, und Verschwörungstheorien zu streuen. Sie bekommen dafür besonders viel Aufmerksamkeit. Es fehlen dort die klassischen Gatekeeper, sprich: Journalisten, die Informationen prüfen und filtern. Wenn wir nicht aufpassen, schlittern wir in eine Desinformationsgesellschaft hinein.

Sie zitieren in Ihrem Buch „Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde“ einen Forscher mit der Formulierung, die gesellschaftlichen Kommunikationsströme würden von einer Art Black Box gelenkt. Das klingt nach Verschwörungstheorie …

Ist es aber nicht. Zum Geschäftsmodell von Facebook und Co. gehört, dass sie sich nicht in die Karten schauen lassen, wie sie ihre Algorithmen einsetzen. Wenn Facebook zum Beispiel seinen Newsfeed ändert, hat das riesige Auswirkungen auf die Chance etablierter Medien, über diese Plattform an die Publika heranzukommen. Aber sie haben keinen Einfluss darauf, dass Sie und ich bestimmte Artikel sehen oder nicht.

Journalisten wählen auch aus, über welche Informationen sie berichten und welche sie nicht bringen. Es gibt Nutzer, die diese Entscheidungen nicht angemessen finden oder sich bevormundet fühlen. Warum nicht den etablierten Medien „Adé“ sagen, sich im Netz informieren und selbst entscheiden, was ich für wichtig halte?

Kritik müssen sich Journalisten auch gefallen lassen. Aber das ist ein hochprofessioneller Beruf, so wie Arzt und Rechtsanwalt auch. Der Journalist als Filter in der Informationsflut ist hilfreich und nützlich, solange wir Medienvielfalt haben und in verschiedenen Medien auch verschiedene ideologische Ausrichtungen vorkommen. Er trägt auch dazu bei, dass sich Meinungsvielfalt nicht in die Richtung „alles geht“ entwickelt, ohne dass sich jemand dafür interessiert, ob etwas wahr ist. Wir brauchen eher mehr funktionierenden Journalismus als weniger. Da aber kaum jemand bereit ist, mehr dafür zu bezahlen, wird das schwieriger.

Ein Problem sehen Sie auch in der wachsenden PR-Branche. Warum?

Es gibt seit Jahrzehnten eine Machtverschiebung von Journalismus hin zur PR. In Amerika kommen inzwischen auf einen Journalisten etwa fünf PR-Profis, die im Interesse ihrer Auftraggeber – eines Politikers, einer Partei, einer Organisation, eines Unternehmens – Informationen in den öffentlichen Raum einspeisen. Journalisten sollten dafür sorgen, dass die fehlende Information ergänzt wird, dass die inhaltlichen Gewichte stimmen, dass die Positionen ausbalanciert sind und auch Stimmen zu Wort kommen, die nicht das Geld haben, sich PR zu kaufen. Das scheint mir massiv gefährdet.

Dr. Stephan Russ-Mohl, geboren 1950, ist Professor für Journalistik und Medienmanagement an der Università della Svizzera italiana in Lugano. Zudem ist er Direktor des Europäischen Journalismus-Observatoriums. Foto: privat
Dr. Stephan Russ-Mohl, geboren 1950, ist Professor für Journalistik und Medienmanagement an der Università della Svizzera italiana in Lugano. Zudem ist er Direktor des Europäischen Journalismus-Observatoriums.

Seit Januar greift das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das die Plattformbetreiber in die Pflicht nimmt: Hass und Fake News müssen innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden. Was halten Sie davon?

Ich bin hin- und hergerissen. Das Gesetz ist sicherlich ein erster Schritt – wahrscheinlich in die richtige Richtung, nämlich dass man der Verbreitung von Fake News und Hass entgegenwirken muss. Andererseits ist es noch eine Fehlkonstruktion. Denn es bewirkt bei den Plattformen Zensur, wenn sie nicht hohe Strafen zahlen wollen – statt ihnen die redaktionelle Verantwortung aufzuerlegen, die jedes Medienunternehmen hat. Das ist für die öffentliche Diskussion sehr schädlich.

Inwiefern haben sich Nachrichtenmedien den Funktionslogiken der Sozialen Medien angepasst?

Sie müssen sich anpassen, wenn sie in den Netzwerken und Suchmaschinen vorkommen wollen. Ein Stichwort ist zum Beispiel „Clickbaiting“: Man bereitet Informationen so auf, dass sie möglichst viele Klicks auf die Seite bringen, etwa durch Überschriften, die mehr versprechen, als der Inhalt hält. Außerdem haben IT-Giganten wie Facebook und Google Kooperationen mit Medienhäusern geschlossen und wollen mit speziellen Programmen – sogenannten Instant Articles bei Facebook zum Beispiel – dafür sorgen, dass ihre Nutzer gar keine anderen Nachrichtenseiten mehr aufsuchen müssen. Ich habe die Sorge, dass diese Unternehmen die herkömmlichen Medien vereinnahmen und in ihre Abhängigkeit bringen. Dann ist auch absehbar, dass diese die Internetriesen nicht mehr öffentlich angreifen.

Gleichzeitig profitiert der Qualitätsjournalismus aber auch davon, dass er durch die sozialen Netzwerke eine höhere Reichweite bekommt.

Im Internet herrscht die Erwartung, dass alles gratis ist. Und wenn Sie online alles gratis anbieten müssen, sind Sie umso mehr auf Werbeerlöse angewiesen – und die bekommen Sie nur mit hohen Reichweiten. Der Löwenanteil der online erzielten Werbeerlöse geht aber an Google und Facebook. Sie ermöglichen es den Werbetreibenden, zielgruppengenau und billiger Anzeigen zu schalten, als das traditionelle Medienunternehmen können. So verschiebt sich dieses Geschäft weg von klassischen Medienunternehmen, die Redaktionen finanzieren, hin zu Plattformen, die keine Redaktionen, keinen Journalismus finanzieren und die genauso mit Fake News wie mit zutreffenden Informationen Geld verdienen.

Um der Desinformation vorzubeugen, appellieren Sie auch an die Eigenverantwortung jedes Mediennutzers. Was kann der Einzelne tun?

Wir wissen, dass sich Fake News im Netz viel schneller verbreiten als Nachrichten, die sich mit der Wirklichkeit befassen. Die Hauptaufgabe für uns als Nutzer sehe ich deshalb darin, dass wir vorsichtiger sind beim Teilen, Liken und Weiterverbreiten von Informationen, die möglicherweise nicht stimmen.

Sie kritisieren eine mangelnde Medien- und Nachrichtenkompetenz, auch in der Schulbildung. Was müssten Mediennutzer im Umgang mit Journalismus und digitalen Medien vor allem lernen?

Zum einen sollten sie lernen, Informationen richtig einzuschätzen und mit ihnen umzugehen. Etwa: Was ist der Unterschied, wenn mich auf Facebook eine Nachricht des Propaganda-senders Russia Today erreicht oder wenn sie von der Süddeutschen Zeitung kommt; oder wie kann ich überprüfen, ob eine Nachricht stimmt? Also eine Grundskepsis gegenüber Nachrichten in Sozialen Medien, die Fähigkeit, bis zu einem gewissen Grad Quellenkritik zu betreiben und über Wikipedia und die ersten drei Treffer von Google hinaus zu recherchieren. Gleichzeitig sollten wir auch ein Grundvertrauen glaubwürdigen Journalisten gegenüber vermitteln, ein Verständnis dafür, warum Journalismus gerade unter dieser Lawine von Fake News und Desinformation wichtiger ist denn je – und warum ich bereit sein muss, etwas dafür zu bezahlen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Seit Januar greift das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das die Plattformbetreiber in die Pflicht nimmt: Hass und Fake News müssen innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden. Was halten Sie davon?

Ich bin hin- und hergerissen. Das Gesetz ist sicherlich ein erster Schritt – wahrscheinlich in die richtige Richtung, nämlich dass man der Verbreitung von Fake News und Hass entgegenwirken muss. Andererseits ist es noch eine Fehlkonstruktion. Denn es bewirkt bei den Plattformen Zensur, wenn sie nicht hohe Strafen zahlen wollen – statt ihnen die redaktionelle Verantwortung aufzuerlegen, die jedes Medienunternehmen hat. Das ist für die öffentliche Diskussion sehr schädlich.

Inwiefern haben sich Nachrichtenmedien den Funktionslogiken der Sozialen Medien angepasst?

Sie müssen sich anpassen, wenn sie in den Netzwerken und Suchmaschinen vorkommen wollen. Ein Stichwort ist zum Beispiel „Clickbaiting“: Man bereitet Informationen so auf, dass sie möglichst viele Klicks auf die Seite bringen, etwa durch Überschriften, die mehr versprechen, als der Inhalt hält. Außerdem haben IT-Giganten wie Facebook und Google Kooperationen mit Medienhäusern geschlossen und wollen mit speziellen Programmen – sogenannten Instant Articles bei Facebook zum Beispiel – dafür sorgen, dass ihre Nutzer gar keine anderen Nachrichtenseiten mehr aufsuchen müssen. Ich habe die Sorge, dass diese Unternehmen die herkömmlichen Medien vereinnahmen und in ihre Abhängigkeit bringen. Dann ist auch absehbar, dass diese die Internetriesen nicht mehr öffentlich angreifen.

Gleichzeitig profitiert der Qualitätsjournalismus aber auch davon, dass er durch die sozialen Netzwerke eine höhere Reichweite bekommt.

Im Internet herrscht die Erwartung, dass alles gratis ist. Und wenn Sie online alles gratis anbieten müssen, sind Sie umso mehr auf Werbeerlöse angewiesen – und die bekommen Sie nur mit hohen Reichweiten. Der Löwenanteil der online erzielten Werbeerlöse geht aber an Google und Facebook. Sie ermöglichen es den Werbetreibenden, zielgruppengenau und billiger Anzeigen zu schalten, als das traditionelle Medienunternehmen können. So verschiebt sich dieses Geschäft weg von klassischen Medienunternehmen, die Redaktionen finanzieren, hin zu Plattformen, die keine Redaktionen, keinen Journalismus finanzieren und die genauso mit Fake News wie mit zutreffenden Informationen Geld verdienen.

Um der Desinformation vorzubeugen, appellieren Sie auch an die Eigenverantwortung jedes Mediennutzers. Was kann der Einzelne tun?

Wir wissen, dass sich Fake News im Netz viel schneller verbreiten als Nachrichten, die sich mit der Wirklichkeit befassen. Die Hauptaufgabe für uns als Nutzer sehe ich deshalb darin, dass wir vorsichtiger sind beim Teilen, Liken und Weiterverbreiten von Informationen, die möglicherweise nicht stimmen.

Sie kritisieren eine mangelnde Medien- und Nachrichtenkompetenz, auch in der Schulbildung. Was müssten Mediennutzer im Umgang mit Journalismus und digitalen Medien vor allem lernen?

Zum einen sollten sie lernen, Informationen richtig einzuschätzen und mit ihnen umzugehen. Etwa: Was ist der Unterschied, wenn mich auf Facebook eine Nachricht des Propaganda-senders Russia Today erreicht oder wenn sie von der Süddeutschen Zeitung kommt; oder wie kann ich überprüfen, ob eine Nachricht stimmt? Also eine Grundskepsis gegenüber Nachrichten in Sozialen Medien, die Fähigkeit, bis zu einem gewissen Grad Quellenkritik zu betreiben und über Wikipedia und die ersten drei Treffer von Google hinaus zu recherchieren. Gleichzeitig sollten wir auch ein Grundvertrauen glaubwürdigen Journalisten gegenüber vermitteln, ein Verständnis dafür, warum Journalismus gerade unter dieser Lawine von Fake News und Desinformation wichtiger ist denn je – und warum ich bereit sein muss, etwas dafür zu bezahlen.

Vielen Dank für das Gespräch.

„Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde. Warum die Digitalisierung unsere Demokratie gefährdet“ erschien 2017 im Herbert von Halem Verlag, 368 Seiten, 23 Euro, ISBN 9783869622743. Foto: Herbert von Halem Verlag
„Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde. Warum die Digitalisierung unsere Demokratie gefährdet“ erschien 2017 im Herbert von Halem Verlag, 368 Seiten, 23 Euro, ISBN 9783869622743.

Von: Jonathan Steinert

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