„Sie ist religiös?“, fragt Anwältin Marita Blum (Julia Bremermann), als sie von ihrem neuesten Fall hört. Als Rechtsanwältin soll sie eine Mutter vertreten, die ihre Kinder aus religiöser Überzeugung zu Hause unterrichtet. „Mich macht das beklommen“, kommentiert Blum und steht dem Fall zunächst kritisch gegenüber. Trotz drohender Geld- und Haftstrafen lässt sich die Mutter, selbst ausgebildete Pädagogin, nicht von ihrer Überzeugung abbringen. „Von mir lernen meine Kinder alles, was sie wissen müssen“, erklärt Claudia Bezzel (Iris Böhm). Zu Hause, so ist sie sicher, könne sie ihren Kindern ein sichereres Lernumfeld bieten, als in der Schule, wo ihre Schützlinge mit Drogen und Waffen konfrontiert seien. Sie wolle ihre Kinder zudem im christlichen Glauben erziehen und dieser werde in der Schule nicht vermittelt.
„Braucht ein Kind einen Glauben?“
Die ARD behandelt in der zweiten Folge der Serie „Die Anwälte“ einen Konflikt, dem in den letzten Jahren viel Medienaufmerksamkeit zugekommen ist. Schöpfungslehre als Alternative zur Evolutionstheorie in Schulen? Einzelunterricht zu Hause oder Pauken in vollen Klassenzimmern? Behütung durch die Eltern oder Gefahr durch schlechte Einflüsse in der Schule? Das sind die Fragen, denen sich auch Anwältin Blum bei der Vorbereitung auf ihren Fall stellen muss. „Intoleranz“ steht auf dem Stempel, den sie ihrer Mandantin, genau wie die Staatsanwaltschaft, gleich zu Beginn auf die Stirn drückt. Im Laufe ihrer Arbeit aber erfährt sie eine Wende. Zeugen christliche Werte, die im Konflikt mit der modernen Gesellschaft stehen, tatsächlich von Intoleranz? Oder ist es vielmehr Aufgabe des Gesetzes, Minderheiten wie Eltern mit fundamentalen christlichen Überzeugungen zu schützen? „Wenn wir tolerant sein wollen, dann eben doch zu jenen, die nicht mit unseren Werten übereinstimmen“, erklärt Blum schließlich vor Gericht.
Doch der Fall Bezzel packt die Anwältin auch im Privaten. „Braucht ein Kind einen Glauben?“, fragt sich die Mutter am Bett ihres eigenen Sohnes und stellt im Gespräch mit ihrem Mann fest: „Man kann über alles besser reden als über Gott.“ Eine Erfahrung, die auch ihre Mandantin machen muss, als sie vor Gericht nach ihren Einstellungen zu Homosexualität, Scheidung oder Sex vor der Ehe befragt wird und sich eingeschüchtert auf die Basis ihres Glaubens beruft: Die Bibel. „Ist doch komisch, seit 2.000 Jahren denken Menschen wie ich. Erst seit 50 Jahren hat sich alles verändert, aber hier bin ich dennoch völlig chancenlos“, sagt sie niedergeschlagen.
Begegnung mit Christin als Augenöffner
Letztlich ist es genau dieses öffentliche Bekenntnis, dass Bezzel zum Freispruch verhilft. Weil sie es offensichtlich nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren kann, ihre vier Kinder auf eine öffentliche Schule zu schicken, spricht das Gericht sie frei. Eine Auflage allerdings bleibt: In Zukunft sollen ihre Söhne und Töchter an normalem Unterricht teilnehmen. „Stellen sie einen Antrag auf Heimunterricht“ rät Blum ihrer Mandantin, als sich ihre Wege schließlich trennen. Die Begegnung, so scheint es am Ende der Serienfolge, war für die Anwältin ein Augenöffner.
Ohne auf Klischees zurückzugreifen, thematisierte die ARD das „Homeschooling“ mit viel Verständnis für christliche Eltern in Gewissenskonflikten. Doch die Sendung zeigt noch mehr: Das eigene Kind loszulassen und einer gefährlichen Welt auszusetzen, so wird im Laufe „Der Anwälte“ klar, ist nicht nur für Gläubige ein Problem. Dass es um mehr geht als die Frage nach dem Unterrichten der Schöpfungslehre, führen Regisseur Züli Aladag und Drehbuchautor Marc Terjung anschaulich und ohne Partei zu ergreifen, vor. Die Folge „Glauben“ wurde am vergangenen Montag, 27. Oktober, ausgestrahlt, ist aber auch auf der Internetseite der ARD zu sehen. (PRO)