Die Angst regiert

Die Evangelische Kirche in Deutschland hat sich am Freitag dafür ausgesprochen, dass Krankenkassen Methoden bezahlen, die schon in frühen Schwangerschaftswochen herausfinden, mit welcher Wahrscheinlichkeiten ein Embryo Gendefekte hat. Damit will sie Frauen helfen. Tatsächlich setzt sie sie unter Druck. Ein Kommentar von Anna Lutz
Von PRO
Ein paar Tropfen Blut der Mutter: Mehr braucht es nicht, um die Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten des Down-Syndroms bei Ungeborenen vorauszusagen

Im kommenden Jahr wird der Deutsche Bundestag voraussichtlich darüber diskutieren, ob Methoden der pränatalen nichtinvasiven Diagnostik Kassenleistung werden. Es geht darum, ob werdende Eltern, ohne zusätzliches Geld zu zahlen, wissen dürfen, ob ihr Kind mit einer hohen Wahrscheinlichkeit das Down-Syndrom oder einen anderen Gendefekt hat. Kritiker fürchten, dass solche Tests zu mehr Abtreibungen führen. Die Evangelische Kirche in Deutschland, das wurde am Freitag bekannt, hat sich im Gegensatz zu vielen Politikern oder etwa zur Caritas, dafür ausgesprochen, dass die Bluttests künftig für Eltern kostenfrei werden, sollte es sich um Risikoschwangerschaften handeln.

Risikoschwangerschaft heißt nicht gleich riskant

Ich gebe zu, bei diesem Thema fehlt mir die Distanz. Nicht, weil ich zu den vehementen Lebensschützern innerhalb der christlichen Gemeinschaft gehöre oder weil ich wie so viele derzeit für eine „Informationsfreiheit“ schwangerer Frauen kämpfe. Sondern weil ich selbst Kinder habe. Noch dazu solche, die noch im Mutterleib als „Risikoschwangerschaft“ eingestuft wurden. Nicht, weil sie in irgendeiner Form genetisch vorbelastet gewesen wären. Oder weil es Anhaltspunkte für Krankheiten gegeben hätte. Sondern weil sie Zwillinge sind. Mehrlingsschwangerschaften gelten Ärzten ebenso als Risikoschwangerschaften wie jene von Frauen über 35. Gesunde Frauen mit sehr wahrscheinlich gesunden Heranwachsenden in ihrem Bauch bekommen heute in Deutschland den Stempel „Risiko“.

Damit einher geht bei der Mutter eine engmaschigere Überwachung des Schwangerschaftsverlaufs. Das ist langwierig und für manche Schwangere überaus anstrengend. Es setzt Frauen unter Druck, lässt sie angstbestimmt und von Untersuchung zu Untersuchung hetzend durch ihre Schwangerschaft hasten und hält sie davon ab, die Zeit bewusst zu genießen. Während eine 34-jährige Nicht-Risikoschwangere sich einfach nur an ihrem wachsenden Bauch freut, fragt sich die 35-jährige Risikoschwangere, wann denn eigentlich der nächste Untersuchungstermin ansteht und wie ernst es sein kann, wenn eine Messung zu den Hirnströmen ihres Kindes nicht ganz im Normbereich liegt. Ich schreibe aus Erfahrung.

Wahrscheinlichkeiten sind kein guter Ratgeber

Fast noch dramatischer an der Empfehlung der Evangelischen Kirche ist die Missachtung der Tatsache, dass alle Ergebnisse, die aus solcherlei Tests hervorgehen, immer nur Aussagen über Wahrscheinlichkeiten machen. Im Fall des hier umgangssprachlich Down-Syndrom-Test genannten Verfahrens wird der Schwangeren Blut abgenommen und am Ende des Prozederes erhält sie einen Zettel, der ihr Aukunft darüber gibt, ob ihr Kind mit 99 Prozent Wahrscheinlichkeit krank zur Welt kommt oder nicht. Kritiker des Tests geben an, die Fehlerquote liege weit höher. Nun sind Prozente und Eventualitäten, egal wie nah sie einem sicheren Ergebnis kommen, keine Währung, auf die sich eine werdende Mutter verlassen will und kann. Dass Eltern eine Entscheidung für oder gegen ihr Kind treffen müssen, ist schwerwiegend genug. Müssen sie damit leben, dass die – wenn auch nur geringe – Möglichkeit besteht, dass sie ein gesundes Kind abtreiben, dann ist das nichts anderes als eine schreckliche Überforderung. Auch dann, wenn der Untersuchung, wie von der Kirche gefordert, ärztliche Beratungen folgen.

Werden die entsprechenden Bluttests zur festen Kassenleistung, dann sind sie rasch ebenso normal wie etwa jetzt schon das Organscreening in der Mitte der Schwangerschaft – wer sich nicht sehr bewusst dagegen entscheidet, wird von der Frauenärztin in eine Spezialklinik überwiesen und macht den entsprechenden Ultraschall, ohne groß nach einem Veto gefragt zu werden. Oft machen sich Eltern im Vorfeld kaum Gedanken darüber, was das Ergebnis eines solchen Screenings eigentlich bedeuten kann. Dass die werdenden Eltern nämlich bei der Feststellung einer schweren Missbildung zu einer Entscheidung über Leben und Tod genötigt sind.

„Wo die Liebe regiert, hat die Angst keinen Platz. Gottes vollkommene Liebe vertreibt jede Angst“, sagt uns der Erste Johannesbrief. Der Satz „Fürchte dich nicht!“ zieht sich wie ein roter Faden durch die Bibel. Mit ihrem Ja zu Pränataltests als Kassenleistung sagt die Kirche auch Ja zur Angst, auch wenn sie eigentlich die Entscheidungsfreiheit von Eltern und vor allem Frauen fördern will. Ein eigentlich löbliches Anliegen, das aber in dieser Konsequenz auch ein Ja zur beschwerten statt unbeschwerten Schwangerschaft bedeutet. Ein Ja zur Unfreiheit, wo Freiheit und Zuversicht sein sollte.

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