Di Lorenzo: „Vor dem Essen wird gebetet“

"Kirche ist von meinem Leben nicht zu trennen", schreibt "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo im jüngst erschienenen Buch "Wofür stehst Du?". Das autobiografische Werk soll ein "Plädoyer gegen die Gleichgültigkeit" sein – und zeigt einen der bekanntesten Journalisten Deutschlands von einer ungewohnt privaten Seite.

Von PRO

Wer hätte das gedacht? Giovanni di Lorenzo macht gerne Urlaub im Kloster. Das Beten vor dem Essen bezeichnet er als "schönsten Moment des Tages" und als Papst Johannes Paul 2005 im Sterben lag, verkroch sich der Chef der "Zeit"-Redaktion stundenlang in seinem Bett und trauerte, als sei er dabei, einen seiner liebsten Angehörigen zu verlieren. Di Lorenzo gibt in der Öffentlichkeit selten Privates preis. Das Buch "Wofür stehst Du?", das er gemeinsam mit dem Schriftsteller und Journalisten Axel Hacke verfasst hat, will zeigen, "was in unserem Leben wichtig ist". Für di Lorenzo gehören dazu der Glaube, die Familie und die Erinnerung an das Scheitern.

Gegen das Establishment

So richtig zu Hause hat sich di Lorenzo in Deutschland lange nicht gefühlt. Als er elf Jahre alt war, zerbrach die Ehe seiner Eltern. Er zog mit seiner Mutter von Italien nach Hannover. "Mein stärkstes Gefühl jener Jahre war: nicht dazuzugehören", erinnert er sich. Seine Einsamkeit brach sich im Aufbegehren gegen das Establishment Bahn: "In meinem Fall war da auch die Verzweiflung, in einem Land zu leben, das mir fremd war, mit einer Familie, die kaputtgegangen war, unter Lehrern, von denen ich mich fast nie anerkannt fühlte. Was für eine beglückende Vorstellung ‚das System‘ so verändern zu können, dass man darin endlich glücklich ist!" So gehörten ein mit einem Peace-Zeichen verzierter Armeebeutel und ein rotes Halstuch mit Hammer und Sichel zu den Kleidungs-Accessoires des Teenagers. Kurz vor seinem Abitur ging der erste Artikel di Lorenzos in den Druck. Er erschien bei der "Hannoverschen Neuen Presse". "Meine Mutter und mein Bruder gingen zurück nach Italien. Ich blieb. Denn ich hatte endlich eine Heimat gefunden: die Sprache. Es war ein schönes Gefühl." Di Lorenzo leitet mittlerweile nicht nur die "Zeit"-Redaktion, sondern ist auch Moderator der "Radio Bremen"-Sendung "3 nach 9".

Heute ist die Heimat des 51-Jährigen seine Familie. Er könne es nicht verstehen, dass Zwanzig- bis Dreißigjährige belächelt würden, wenn sie die Familie als wichtigsten Wert im Leben sähen. Dabei kommt er selbst aus zerrütteten Verhältnissen. Nicht nur die Ehe seiner Eltern zerbrach, auch zwei seiner Onkel und eine Tante sind geschieden. Ein weiterer Bruder seines Vaters beging nach Verwerfungen mit di Lorenzos Großvater Selbstmord. "Es war unausweichlich, dass ich anfing, meinen Eltern Vorhaltungen zu machen: Was für eine Bürde habt ihr uns fürs Leben mitgegeben! Diese Angst, all jene Fehler zu wiederholen, die wir vorgelebt bekommen hatten", schreibt di Lorenzo. Dennoch heiratete er 2005. Heute ist der Journalist Vater einer 2-jährigen Tochter.

"Wer einmal Katholik war…"

Und obwohl der Glaube für ihn "eine besonders private Privatsache" ist, widmet er diesem Thema das letzte Kapitel seines Buchs. "Ich bin davon überzeugt, dass Gesellschaften (und auch Kirchen) sich dann am freiesten entfalten können, wenn keiner mehr den anderen missionieren möchte", schreibt er. Er habe Angst davor, dass ein religiöses Bekenntnis als aufdringlich empfunden werden könnte. "Aber Kirche ist von meinem Leben nicht zu trennen, zu stark ist seine christliche Prägung gewesen." Daher halte er sich an ein Wort von Heinrich Böll: "Wer einmal Katholik war und wer einmal Kommunist war, der wird das nie wieder los." Dennoch habe er immer wieder gegen die Kirche aufbegehrt, etwa wenn ein Priester behauptet habe, Katholiken seien die einzig wahren Christen, oder wenn er sich über die Verfehlungen der Amtskirche ärgerte. "Aber es hinderte mich keinesfalls daran, gerade in jenen Jahren immer wieder in einem Kloster von Benediktinerinnen Urlaub zu machen", schreibt di Lorenzo.

Es sei ihm nie in den Sinn gekommen, aus der Kirche auszutreten. Als Papst Johannes Paul im Sterben lag, habe er zutiefst mitgetrauert. "Wenige Stunden vor seinem Tod machte ich mich mit meiner späteren Frau auf den Weg zur St. Hedwigs-Kathedrale in der Nähe des Berliner Gendarmenmarkts. Es war schon spät, und in der Kirche waren viele junge Leute, die nicht so aussahen, als seien sie geübte Besucher von Gottesdiensten. Wir zündeten Kerzen an und verharrten in Andacht. In diesem Moment fühlte ich mich ganz und gar eins mit meiner Kirche." Seit einigen Jahren habe er zu Hause etwas lange Vergessenes wieder aufleben lassen: "Vor dem Essen wird still gebetet, auch wenn Gäste da sind. Sehr oft ist das der schönste Moment des Tages."

Sein Glaube mag di Lorenzo auch in den schwersten Momenten seines Lebens begleitet haben, etwa als er längere Zeit mit einer Frau ausging, die schwerst depressiv war. Erst Jahre später erfuhr er, dass sie kurz davor gewesen war, sich das Leben zu nehmen. Und dann ist da noch die Geschichte mit seiner Freundin Birgit. Ungewollt schwanger suchte diese den Rat ihres Vertrauten di Lorenzo. Zwar habe er ihr nie zu einer Abtreibung geraten, er habe sie aber auch nicht darin bestärkt, das Kind auf die Welt zu bringen, schreibt er. Birgit entschied sich gegen das Kind, trennte sich von ihrem Liebhaber und heiratete Jahre später einen anderen Mann. Di Lorenzo schreibt: "Aber Birgit wurde nicht schwanger, obgleich sie es, wie ich über ihre Freundin erfuhr, Monat für Monat versuchte. Weil es aber partout nicht klappte, begann sie, ihre Unfruchtbarkeit als Strafe für ihre Abtreibung zu sehen. Als sie mir einmal davon erzählte, versuchte ich es ihr auszureden. Aber eigentlich fühlte ich mich so, als ob mein früheres Verhalten Teil der Schuld sei, die Birgit nun abtragen musste." Die Schuldgefühle hat di Lorenzo nie abgelegt: "Als meine Tochter zur Welt kam, schickte Birgit mir einen liebevollen Brief und einen Stoffhasen. Ich habe mich bis heute nicht getraut, ihr mein Kind zu zeigen." (pro)

Axel Hacke, Giovanni di Lorenzo: Wofür stehst Du? Was in unserem Leben wichtig ist – Eine Suche, Kiepenheuer&Witsch, 240 Seiten, 18,95 Euro, ISBN: 978-3-462-04241-2

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