„Deutschland bleibt sitzen“

Die Mehrzahl der Deutschen lebt zu ungesund – und die Medien sind mit schuld. Denn: Langes Sitzen macht krank. Das sind Ergebnisse des am Montag vorgestellten Gesundheitsreports der Deutschen Krankenversicherung (DKV).
Von PRO
Dauersitzen macht krank. Bei Kindern vor allem in Verbindung mit zu hohem Medienkonsum
Nur etwa jeder zehnte der mehr als 3.000 Teilnehmer an der DKV-Studie „Wie gesund lebt Deutschland?“ 2015 erfüllt die Mindestempfehlung in allen fünf untersuchten Gesundheitsbereichen: Bewegung, Ernährung, Rauchen, Alkohol und Umgang mit Stress. Bereits zum dritten Mal haben die DKV und das Zentrum für Gesundheit (ZfG) durch Bewegung und Sport der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) das Gesundheitsverhalten der Deutschen untersucht. Zum ersten Mal untersuchten die Wissenschaftler des ZfG das Sitzverhalten differenziert als eigenständigen Risikofaktor. Dazu erfassten sie die durchschnittliche Sitzzeit der Befragten in den einzelnen Lebensbereichen pro Werktag und Wochenendtag. Rund siebeneinhalb Stunden pro Tag sitzen die Deutschen im Schnitt unter der Woche. Nur etwa ein Viertel der Zeit (24 Prozent) tun sie dies bei der Arbeit, am längsten sitzen sie vor dem Fernseher. Am Wochenende verbringt die Hälfte der Menschen sogar mehr als zweieinhalb Stunden vor dem Fernseher. Fazit der Studie: Dauersitzen ist neben dem allgemeinen Bewegungsmangel eine unterschätzte Gesundheitsgefahr für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. „Wir sind ein Volk der Sitzenbleiber geworden. Das dauerhafte Sitzen hat weitreichende Folgen für den Fett- und Blutzuckerstoffwechsel und macht die Menschen krank“, warnt Clemens Muth, Vorstandsvorsitzender der DKV. Zwar fühlten sich 61 Prozenten der Befragten unwohl, wenn sie länger sitzen müssten, und ein Drittel würde am Arbeitsplatz lieber weniger sitzen, aber nur knapp jeder Zweite erreiche die Mindestempfehlung für körperliche Aktivität. Gegenüber dem letzten Report 2012 ist dieser Wert unverändert geblieben. Allerdings ernährten sich die Menschen nun etwas ungesünder.

Kinder zu lange vor Bildschirmen

In die von dem Meinungsforschungsinstitut GfK Nürnberg durchgeführte Umfrage war erstmals eine gesonderte Eltern-Kind-Befragung integriert, die Aufschluss über die Mediennutzung und das Gesundheitsverhalten von 6- bis 12-jährigen Kindern gibt. Dreiviertel der Kinder im Grundschulalter sitzen demnach länger vor dem Bildschirm als gut für sie ist: mehr als eine Stunde. Gleichzeitig erreicht nicht einmal jedes zweite Kind die Empfehlung für körperliche Aktivität. „Überlange Mediennutzung ist nicht nur eine Reizüberflutung für die Kinder. Sie sorgt auch meistens dafür, dass die Kinder viel zu lange stillsitzen“, erklärte Ingo Froböse, Professor an der DSHS und wissenschaftlicher Leiter des DKV-Reports. Nach der Schule sitzen Kinder durchschnittlich vier Stunden – bei Hausaufgaben, während der Fahrt mit Bus oder Auto, am Computer oder bei anderen Freizeitbeschäftigungen. Der wichtigste Grund sei aber wie bei den Erwachsenen das Fernsehen, so die Studie. „Kinder wachsen praktisch im Sitzen auf und kopieren den ungesunden Lebensstil ihrer Eltern“, sagte der DKV-Vorsitzende Muth. Eine Stunde und mehr sehen die Kinder im Schnitt wochentags fern. Am Wochenende sogar mehr als zwei Stunden. 72 Prozent der Grundschulkinder hätten einen eigenen Fernseher im Kinderzimmer, die Hälfte von ihnen verfüge über einen Internetzugang.

Reizüberflutung als Ursache von ADHS?

In Deutschland gelten bereits 15 Prozent der Kinder als übergewichtig, jedes 17. Kind gar als adipös. Gleichzeitig sagt die Hälfte der Mütter: „Fernsehwerbung hat Einfluss darauf, was meine Kinder essen wollen.“ Bewegungsmangel und eine schlechte Ernährung sind jedoch nicht die einzigen Folgen des zu hohen Medienkonsums: Immer mehr Kinder sind als Folge der Reizüberflutung krankhaft hyperaktiv. Immer häufiger werde die Diagnose Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) gestellt. ADHS sei jedoch „keine Modekrankheit“, so der leitende Arzt der DKV, Wolfgang Reuter. Er fürchtet aber, dass es es gelegentlich zu Fehldiagnosen kommt, weil Mediennutzung und Bewegungsmangel als mögliche Ursachen für die Hyperaktivität nicht ausreichend betrachtet würden. Die Verfasser des Gesundheitsreports werben für einen aktiveren Lebensstil und sehen Eltern, Politik, Ärzte und Arbeitgeber gleichermaßen in der Verantwortung. Da das lange Sitzen privat sowie auch beruflich bei den meisten Menschen schnell zur Gewohnheit werden könne, „sollten stabile Rahmenbedingungen geschaffen werden, um Bewegungsanlässe (als einfache Wahl) in den Alltag zu integrieren“. (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/paedagogik/detailansicht/aktuell/mehrheit-der-jugendlichen-verbringe-zu-viel-zeit-mit-handy-90293/
https://www.pro-medienmagazin.de/medien/internet/detailansicht/aktuell/welt-internet-tag-kinder-im-netz-schuetzen-89905/
https://www.pro-medienmagazin.de/paedagogik/detailansicht/aktuell/aok-studie-eltern-regeln-medienkonsum-87584/
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