„Deutscher Staat geht vor Kirchen auf die Knie“

Der Journalist Tilman Jens beklagt in seinem aktuellen Buch einen „Krieg gegen den Rechtsstaat“ von Juden, Christen und Muslimen in Deutschland. Seine teilweise beleidigenden Ausführungen sind sogar zu platt, um die Bezeichnung „Polemik“ zu verdienen. Eine Rezension von Moritz Breckner
Von PRO
Der Journalist und Autor Tilman Jens befasst sich regelmäßig mit der Rolle von Kirchen und Glaubensgemeinschaften in Deutschland
Jens‘ Buch „Der Sündenfall des Rechtsstaats“ beschäftigt sich größtenteils mit der Beschneidungsdebatte, streift aber auch die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche oder die Diskussion um die Strafbarkeit der Blasphemie. Auf 120 atemlosen Seiten redet sich der Autor in Rage über eine „Koalition der Frommen“, die das politische Geschehen in Deutschland in Geiselhaft genommen habe. „Ein fundamentaler, nicht selten fundamentalistischer Glaube, sei er nun christlich, jüdisch oder muslimisch, bestimmt zunehmen die Geschicke unserer Politik“, schreibt Jens gleich am Anfang, und offenbart damit eine rege Fantasie. Stein des Anstoßes ist wie auch für Jens‘ ARD-Reportage „Die Koalition der Frommen“ die Debatte um die Beschneidung von Jungen nach jüdischer und muslimischer Tradition, die im Dezember 2012 ausdrücklich vom Bundestag erlaubt wurde. Diese bezeichnet der Autor als „Missbrauch“ und wischt Argumente in Deutschland lebender Juden vom Tisch – den Zentralratsvorsitzenden Dieter Graumann bezeichnet er dabei gar als „beckmessernden Funktionär“. Gegnern der rituellen Beschneidung drohe in Deutschland der „leichtfertige Dauereinsatz der Antisemitismuskeule“, klagt Jens, um noch auf der gleichen Seite mit Jakob Augstein und Günter Grass ausgerechnet solche Zeitgenossen zu verteidigen, die sich den Vorwurf des Antisemitismus redlich verdient haben.

Lob für Pussy Riot, Schelte für Schorlemmer

Wer nun annimmt, der Frankfurter Journalist könne nur schimpfen und nörgeln, irrt: Schließlich findet im Buch auch Pussy Riot Erwähnung, jene russische Punkgruppe, die im Februar 2012 in den Altarraum einer Moskauer Kathedrale eindrang und dort obszöne Verse schrie. Jens scheint es als persönlichen Affront zu nehmen, dass den deswegen zu Haft verurteilten Damen der Zivilcourage-Preis „Das unerschrockene Wort“ der deutschen Lutherstädte verwehrt wurde. Sein Ungemach darüber ergießt er über den DDR-Bürgerrechtler und Theologen Friedrich Schorlemmer, der die Eignung der Russinnen für den Luther-Preis in Frage gestellt hatte. Schorlemmer sei „beim Altern augenscheinlich in Linientreue erstarrt“, schreibt Jens und bezeichnet den herbeifantasierten „Absturz des Friedrich Schorlemmer“ als exemplarisch für den Zustand der Kirche, die nicht mehr ein Ort der Veränderung, sondern des stummen Gehorsams sei.

Absurde Beleidigungen statt gelungener Polemik

Von einer gelungenen Polemik gegen Glaubensgemeinschaften können die christlichen Kirchen und andere Religionsgemeinschaften profitieren, auch dann, wenn sie dabei die ein oder andere bittere Pille schlucken müssen. Jens‘ Buch kommt jedoch zu platt und aufgeregt daher, um als solche Polemik gewürdigt zu werden. Ja, der Papstbesuch kostete den Steuerzahler Millionen. Ja, die Katholische Kirche hat sich bei der Aufklärung der Missbrauchsfälle nicht mit Ruhm bekleckert. Ja, das Arbeitsrecht ist bei kirchlichen Werken anders gestaltet als „in der Welt“. Wenn Tilman Jens aber der katholischen Kirche („Wandlern und Weihrauchschwenkern“) den Verfassungsschutz an den Hals wünscht, einen muslimischen Schriftsteller aus Kiel wegen dessen Ansichten zur Beschneidungstradition als „Hassprediger“ bezeichnet, oder absurde alttestamentarische Gesetze in die Moderne überträgt, um zu zeigen, wie dumm biblische Traditionen seien, macht er sich lächerlich. Was Jens in seinem Buch schreibt ist nicht neu, nicht hilfreich, und alles andere als intellektuell. (pro) Tilman Jens: „Der Sündenfall des Rechtsstaats. Eine Streitschrift zum neuen Religionskampf“, Gütersloher Verlagshaus, 122 Seiten, 14,99 Euro, ISBN 9783579066325
https://www.pro-medienmagazin.de/fernsehen/detailansicht/aktuell/ard-doku-emhaben-christen-zu-viel-einflussem/
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