„Deutsche Imame sollten im eigenen Land ausgebildet werden“

Über die Kooperation im Sicherheitsbereich und in der Terror-Prävention sind sich Deutschland und Ägypten auch bei der Förderung religiöser Toleranz nähergekommen. Dennoch sollten deutsche Imame nicht im muslimisch geprägten Ausland ausgebildet werden, erklärt der islamische Theologe Mouhanad Khorchide gegenüber pro.
Von Jörn Schumacher
Mouhanad Khorchide ist Soziologe, Islamwissenschaftler und Religionspädagoge und Professor für islamische Religionspädagogik am Centrum für Religiöse Studien (CRS) an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster

Mit religiöser Toleranz werbe die Kairoer Al-Azhar-Universität neuerdings verstärkt, schreibt der Autor Joseph Croitoru in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), unter der Überschrift „Al-Azhar statt Ditib?“. Diese Botschaft verbreite die Universität, die sich seit jeher als die höchste Autorität der sunnitischen Welt begreift, auch im Ausland. Der FAZ-Autor fragt sich, inwiefern deutsche Imame an der Al-Azhar-Universität in Kairo ausgebildet werden sollten.

Mouhanad Khorchide, Professor am Zentrum für Islamische Theologie an der Universität Münster, sagte auf Anfrage von pro: „Wir Muslime in Europa brauchen dringend einen europäisch geprägten Islam, der mit der Lebenswirklichkeit der Muslime in Europa korrespondiert und ihre Belange ernst nimmt. Weder ein Islamverständnis aus der Türkei noch aus Ägypten würde uns wirklich weiterhelfen. Denn der Islam ist das, was Muslime daraus machen.“

Muslime durch den Kontext geprägt

Muslime seien aber immer durch die Kontexte geprägt, in denen sie leben. „Dies gilt auch für die Gelehrten.“ Ein Gelehrter in Ägypten sehe und bewerte manche gesellschaftliche Belange anders als ein Gelehrter in Deutschland, sagte Khorchide. Daher plädiert er dafür, dass die Imame in Deutschland nach einer für den deutschen Kontext etablierten Theologie ausgebildet werden. „Viele junge Muslime türkischer Abstammung fühlen sich von türkischen Imamen nicht angesprochen, sie finden in den Moscheegemeinden keine spirituelle Beheimatung.“

Nur 23 Prozent der Angehörigen der zweiten und dritten Generation türkischstämmiger Muslime gehe mindestens einmal der Woche in eine Moschee, erklärte der Islamwissenschaftler. „Warum sollten sie diese Beheimatung bei durch den ägyptischen Kontext geprägten Imamen und Moscheen finden?“ Khorchide fügte hinzu: „Wir verlieren immer mehr den Lebensbezug der Religion. Die Missachtung von Menschenrechten, von Meinungsfreiheit, von dem Recht auf Selbstbestimmung in religiöser Hinsicht und so weiter in vielen islamischen Ländern ist außerdem mehr als alarmierend. Viele religiöse Institutionen unterstützen allerdings diese Repressionen im Namen des Islams. Auf solche Verhältnisse können wir hier in Deutschland getrost verzichten.“

De Maizière verzichtet auf Statements

Das Oberhaupt der Universität, Scheich Ahmad al Tayyeb, war im Frühjahr 2016 nach Deutschland gekommen. Eingeladen hatte ihn die Universität Münster auf Initiative des Leiters des dortigen Zentrums für Islamische Theologie, Khorchide, der zuvor selbst die Al-Azhar-Universität besucht hatte. Al Tayyeb sprach vor Bundestagsabgeordneten im Großen Protokollsaal des Reichstagsgebäudes. Zwei Wochen nach Al Tayyebs Besuch reiste Bundesinnenminister Thomas de Maizière nach Kairo. In seiner Rede an der ägyptischen Universität über „religiöse Toleranz“ sagte der Innenminister: „Wir zeigen Respekt. Aber wir fordern auch Respekt ein.“ Zu den Errungenschaften in Deutschland gehöre neben der Einführung des islamischen Religionsunterrichts auch die Einrichtung von Lehrstühlen für islamische Theologie.

Gleiches unterstrich er im September bei der Feier zum zehnjährigen Bestehen der Islamkonferenz in Berlin. Der FAZ-Autor bemerkt: Beim Vergleich der beiden Reden falle auf, dass de Maizière an der Al-Azhar auf zwei wichtige Statements verzichtete: „Die Bemerkung, dass im Laufe des innerdeutschen Dialogs ,das eine oder andere unnötige Tabu gebrochen wurde‘, fehlte ebenso wie der Passus ,Politische Einflussnahme aus dem Ausland auf Deutschland unter Berufung auf Religion können wir nicht akzeptieren, insbesondere wenn sie gegen die freiheitlich-demokratische Ordnung wirkt.‘“

Rücksicht auf islamische Institution

Warum man gegenüber der Kairoer Universität so viel Rücksicht genommen habe, werde „neuerdings etwas klarer“, schreibt die FAZ. Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer besuchte vor kurzem Ägypten und twitterte am 21. Februar: „Ausführliche Begegnung mit dem Großscheich der Al-Aksa Universität in Kairo: Zusammenarbeit bei der Ausbildung von deutschen Imamen“. Fünf Tage später, im Vorfeld des Kairoer Besuchs der Bundeskanzlerin, twitterte er: „Merkelreise nach Ägypten richtig, Kooperations Angebot Al Assar Univ. für Ausbildung von Imamen in Deutschland sinnvoller als durch Ditib“. Dies begründete Singhammer in einem Interview mit Welt damit, dass „uns die Ditib … zunehmend wegbricht“.

Die Bundeskanzlerin traf sich unter anderem mit Scheich Tayyeb. Bei dem Gespräch ging es auch um das Thema Fortbildung deutscher Imame durch die Al-Azhar. Die FAZ stellt fest: „Mit Tabus zu brechen gehört nicht zur Stärke dieser sunnitischen Institution. Gerade hat ihre Leitung die mündliche Verstoßung der Ehefrau durch den Mann als unantastbare Grundlage für eine islamische Scheidung verteidigt – gegen den Reformplan al Sisis. Politisch lässt sich die Al-Azhar dagegen vom repressiven Militärregime lenken. Dass sie nun deutsche Imame fortbilden könnte, müsste Innenminister de Maizière eigentlich missfallen.“ (pro)

Von: js

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