Der Zwischenfall von Cannes

Die von Journalisten zufällig mitgehörten Lästereien von Barack Obama und Nicolas Sarkozy über Israels Premierminister Benjamin Netanjahu am Rande des G20-Gipfels zeigen: Zu viele westliche Politiker betrachten Israel als Teil des Problems.
Von PRO

Wir Journalisten sind manchmal Gewissenskonflikten ausgesetzt. So ging es auch einigen Kollegen, die vergangene Woche über den G20-Gipfel in Cannes berichtet haben: Mit Hilfe der Kopfhörer, die für die Simultanübersetzung einer Pressekonferenz verteilt worden waren, konnten sie unabsichtlich eine private Unterhaltung zwischen US-Präsident Barack Obama und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy mithören. Aufgrund der politischen Brisanz entschieden sich die Reporter einem Bericht der Deutschen Presseagentur zufolge dafür, darüber Stillschweigen zu bewahren. Der französische Medienjournalist Daniel Schneidermann sah das anders – er machte die Konversation einige Tage später öffentlich. In dem Dialog sprechen die Staatschefs über den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu. "Ich kann ihn nicht mehr sehen, er ist ein Lügner", sagte Sarkozy demnach zu Obama. Der höhnte: "Du bist ihn leid – ich habe jeden Tag mit ihm zu tun!"

Nun überrascht es nicht, dass sich Politiker unter vier Augen anders unterhalten, als im Rampenlicht einer Pressekonferenz. Auch Präsidenten dürfen mal Dampf ablassen und abseits des diplomatischen Parketts Klartext sprechen. Für Journalisten gehört es zum Alltag, sich an Absprachen mit Politikern zu halten und vertrauliche Hintergrundgespräche nicht an die Öffentlichkeit weiterzugeben. Beim vorliegenden Fall handelt es sich aber weder um ein vertrauliches Pressegespräch, noch um, wie etwa bei "WikiLeaks", mit kriminellen Handlungen erworbenes Wissen. Es war schlicht ein "Unfall". Kein Wunder, dass der ans Tageslicht kam.

Politiker offenbaren erschreckendes Weltbild

Das eigentlich Erschreckende an diesem "Unfall" ist das geoffenbarte Weltbild von Barack Obama und Nicolas Sarkozy – oder vielmehr die Bestätigung dessen, was man über dieses Weltbild bereits vorher zu wissen glaubte. Während Israel von Frankreich sowieso keinen großen Beistand erwartet, sind die USA immer der wichtigste Verbündete des jüdischen Staates gewesen. Barack Obama ist von dieser Politik abgerückt und gilt deshalb vielen als der israelkritischste US-Präsident seit Jimmy Carter 1977. Der Zwischenfall von Cannes zeigt, dass diese Haltung für Obama kein diplomatischer Schachzug gegenüber der islamischen Welt oder zur Förderung des Nahost-Friedensprozesses ist, sondern seine tiefe innere Überzeugung.

Der iranische Präsident, der Israel mehrfach die Vernichtung angedroht hat, bastelt an einer Atombombe. Die beim Gefangenenaustausch für Gilad Schalit von Israel freigelassenen Mörder und Terroristen werden im Gazastreifen mit Geschenken überhäuft und als Vorbilder für die Kinder gefeiert. Politiker sollten Israel nicht als Teil des Problems betrachten, sondern Israel bei der Lösung seiner Probleme helfen. Vom jetzigen US-Präsidenten ist das nicht zu erwarten. (pro)

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