Der Zufall in Gefahr

Der angesehene amerikanische Philosoph Thomas Nagel ist Atheist, und doch sieht er zahlreiche Probleme bei einer rein neodarwinistischen Weltsicht. Mit seinem neuen Buch „Geist und Kosmos“, das jetzt bei Suhrkamp auf Deutsch erschienen ist, sorgte der 75-Jährige für einigen Wirbel, weil er sich erdreistet, sogar Vertreter des „Intelligent Design“ zu zitieren. Eine Rezension von Jörn Schumacher
Von Jörn Schumacher

Thomas Nagel hat in Oxford und Harvard studiert, lange Jahre in Princeton unterrichtet und lehrt seit mehr als dreißig Jahren an der New York University. Er ist ein Schüler des angesehenen Harvard-Professors John Rawls. Bekannt wurde Nagel durch seinen wissenschaftskritischen Aufsatz „Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?“ Darin stellt er fest, dass uns die Wissenschaft viel, aber nicht alles sagen kann. Selbst wenn wir das Gehirn einer Fledermaus vollständig beschreiben könnten, wüssten wir dadurch immer noch nicht, wie es sich anfühlt, eine Fledermaus zu sein.

Auch in seinem Buch „Geist und Kosmos“ geht es um die Grenzen von Naturwissenschaft. Nagel findet es rätselhaft, wie Leben aus toter Materie entstanden sein soll und hält die gängige Theorie vom Darwinismus für fehlerhaft. Ein „reduktionistischer Materialismus“, nachdem alles in der Welt auf die Beschaffenheit der Atome zurückzuführen ist, ist für Nagel nicht mehr überzeugend. Der wissenschaftliche Naturalismus, der „stark auf spekulative darwinistische Erklärungen“ angewiesen sei, sei „bis an die Zähne“ gegen Angriffe von religiöser Seite bewaffnet. Worte, die sich wohl nur ein Forscher am Ende seiner Karriere leisten kann. Jungen Wissenschaftlern, die öffentlich Zweifel an der Evolutionstheorie äußern, ergeht es nicht gut.

Die größte Sprengkraft von Nagels Buch besitzt das erste Kapitel. Darin gibt der Philosoph zu verstehen, dass die naturalistische Weltanschauung nun einmal nach wie vor spekulativ sei. Je mehr Einzelheiten wir über die Vertracktheit des genetischen Codes erfahren, desto unglaubwürdiger werde die gängige Erklärung der Evolutionsanhänger, schreibt Nagel. Es sei höchst unplausibel, dass das Leben das Ergebnis einer Reihe von Zufällen sein soll. Eine Sensation: Nagel schreckt nicht einmal davor zurück, bekannte Anhänger des Intelligent Design zu zitieren: etwa Michael Behe, Stephen C. Meyer oder David Berlinski. Der ausdrücklich nicht-gläubige Nagel findet: Auch wenn diese Autoren ihre Motivation zumindest teilweise aus ihren religiösen Überzeugungen bezögen, verdienten sie den Spott, mit dem man ihnen gewöhnlich begegnet, nicht.

Teleologie zurück in die Wissenschaft!

Nagels Lösungsansatz: Der Geist müsse zusammen mit der physikalischen Gesetzmäßigkeit als ein fundamentales Prinzip der Natur anerkannt werden. Er schlägt einen „psychophysischen Monismus“ vor, bei dem bestimmte physische Zustände des Gehirns notwendigerweise auch Zustände des Bewusstseins sind. Erstaunlicherweise sind die Ideen, die Nagel hier (leider nur andeutungsweise) anbietet, nicht neu: der große deutsche Aufklärer Gottfried Wilhelm Leibniz fasste sie bereits 1714 in seinem Werk „Monadologie“ zusammen. Doch Nagel geht auf Leibniz mit keinem Wort ein.

Der Autor fordert, der Teleologie im modernen Denken wieder einen Platz zuzugestehen. Diese Weltsicht, nach der etwas einem bestimmten Ziel gemäß passiert oder gestaltet wurde, wurde eigentlich von den modernen Naturwissenschaftlern verabschiedet. Denn die Gefahr ist zu groß, überall dort, wo sie nicht weiterkommen, einen Gott als „Lückenbüßer“ einzusetzen. Fast entschuldigend schreibt Nagel: „Der Ursprung und die Evolution des Lebens sind nicht allein mit Physik erklärbar. Man wird eine erweiterte, aber dennoch einheitliche Form der Erklärung brauchen, und ich vermute, sie wird teleologische Elemente beinhalten müssen.“

Nagels Buch hat für Furore gesorgt und ist insofern für jeden, der sich mit dem Streit zwischen Naturwissenschaft und Glaube, Schöpfung und Evolution befasst, von großem Interesse. Es ist trotz der schwierigen Materie gut verständlich. (pro)

Thomas Nagel: „Geist und Kosmos: Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist“. Suhrkamp Verlag, 187 Seiten, 24,95 Euro, ISBN-13: 978-3518586013

Lesen Sie eine ausführliche Rezension des Buches „Geist und Kosmos“ in der kommenden Ausgabe 6/2013 des Christlichen Medienmagazins pro, die im Dezember erscheint.

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