„Der Westen hat die Wahrheit verloren“

Der christliche Westen schafft sich ab, weil er nicht mehr nach der Wahrheit sucht. Das sagt der indische Philosoph und Christ Vishal Mangalwadi. Die Demokratie sei deswegen in Gefahr.
Von PRO
Das Christentum in Europa ist am Ende, wenn es nicht zur Wahrheit zurückfindet, sagt der indische Philosoph Vishal Mangalwadi
Was ist Wahrheit? Danach zu fragen und Antworten zu suchen ist eine Geisteshaltung, die der Protestantismus geprägt hat. Das war der Zweck von Universitäten, auch säkulare Humanisten und Atheisten wollten erkennen, was wahr und gut ist. Diese Zeiten sind vorbei. Das ist die Kernthese des indischen Intellektuellen Vishal Mangalwadi. In einem Vortrag in Marburg erklärte er am Mittwoch: „Heute sagt an den Universitäten niemand mehr, dass es die Wahrheit gibt oder dass sie erkennbar ist. Jeder, der behauptet, es gebe eine Wahrheit oder er kenne sie, gilt als Fundamentalist.“ Diese Haltung hält Mangalwadi für die größte Bedrohung der christlich geprägten Zivilisation. „Der Islam ist nicht euer Problem: Ihr habt die Wahrheit verloren, deshalb werdet ihr die Freiheit verlieren“, sagte er. Das beobachtet Mangalwadi bereits. Echte Freiheit im Denken und Reden gebe es in der westlichen Welt nicht mehr. So könne ein Uniprofessor heute nicht mehr sagen, die Homo-Ehe sei verkehrt, denn dann würde er seine Anstellung riskieren. Ähnlich sei es, wenn jemand öffentlich behauptet, dass angesichts des Klimawandels kein Grund zu Alarmismus bestehe, oder wenn Evolution als Theorie statt als Tatsache behandelt würde. Selbst in evangelischen Gemeinden der USA spreche heute kaum noch ein Prediger über die Wahrheit des Evangeliums, nur von Geschichten aus der Bibel.

Die Demokratie ist in Gefahr

Demokratie beruhe darauf, dass Menschen mit Hilfe ihres Verstandes Debatten führen und Beweise suchen, um zu erkennen, „was gut, wahr und richtig ist“. Menschen sollten damit auch die Freiheit haben, etwas zu sagen, was nicht wahr ist – weil man dann darüber debattieren könne. Gehe man aber davon aus, dass der menschliche Geist die Wahrheit gar nicht finden kann, sei das das Ende der Demokratie, sagte Mangalwadi. Ohne eine Wahrheit würden auch Meinungen und Werte beliebig. „Wenn die Zeit der freien Debatte vorbei ist, werden diejenigen, die Macht haben, über andere bestimmen.“ Das könne im schlimmsten Fall auch mit Waffen geschehen. Jesus selbst sei es um Wahrheit gegangen, nicht in erster Linie um Glaube, führte Mangalwadi aus. Jesus sagte von sich selbst, er sei die Wahrheit. Seine Wunder und auch die prophetischen Texte der Juden bestätigten das. Seine Jünger sollten später bezeugen, was sie von ihm gesehen und gehört hatten. So sei die Suche nach Wahrheit ein zentrales christliches Motiv. Dabei sollten die Menschen auch ihren Verstand bemühen.

Zurück zur Wahrheit?

Die Lehren des postmodernen Christentums führt Mangalwadi auf den deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche zurück. „Europa und der Westen fallen auseinander, weil sie ihr christliches Markenzeichen, die Kategorie der Wahrheit verloren haben. Es wird heidnisch, weil es um Geschichten und Mythen geht. Es geht um Meinungen, um eigene Überzeugungen.“ Der Westen müsse sich entscheiden, ob er wieder zu seinen christlichen Wurzeln zurückkehrt oder heidnischen Traditionen folgt. Das Christentum brauche eine neue Reformation. Mangalwadi äußerte sich gegenüber pro zuversichtlich, dass dies möglich ist, auch wenn Europa gerade eine „schlechte Zeit“ durchmache. „Reformen beginnen mit einer Person, die etwas verstanden hat und dafür gerade steht“, sagte er. Sowohl Mose als auch Luther seien Einzelkämpfer gewesen. Seine Diagnose über das westliche Christentum und die Bedeutung der Bibel für die Entwicklung des Westens hat Mangalwadi ausführlich in seinem Buch „Das Buch der Mitte“ entfaltet, das im vergangenen Jahr bei fontis erschienen ist. (pro)
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