Der steinige Weg der Deutschland-Missionare

Gebt dem amerikanischen Dokumentarfilmer Michael Moore eine Kamera und lasst ihn einen Film über evangelikale Christen machen. Es würde wahrscheinlich ein Werk entstehen, das in seiner ätzenden Polemik seines Gleichen suchte. Vier deutsche Regisseure haben hingegen mit "Jesus liebt Dich" einen Film über Christen gedreht, der so harmlos ist wie ein Urlaubsvideo. Das liegt daran, dass sie nichts weiter getan haben, als eine Handvoll Christen dabei zu beobachten, wie sie versuchen, den vom Fußballfieber gepackten Deutschen des Sommers 2006 von Jesus zu erzählen.
Von PRO

Dass es bei einem solchen Film, der vor kurzem auf der Berlinale präsentiert wurde, zu witzigen und vor allem für Nichtchristen erstaunlich wirkenden Situationen kommt, ist zu erwarten. Wenn Tilman Pforr von „Jugend mit einer Mission“ inmitten tobender Fußball-Zuschauer einen Fan fragt, was er über den Glauben denkt, und der antwortet: „Ich glaube an Deutschland“, ist das genauso lustig wie vorhersehbar. Als Tilman dann sagt: „Ich würd noch gerne für Dich beten“, sagt der: „Können wir grad noch die Nationalhymnen abwarten?“ Zwei Angetrunkene antworten auf die Versuche zweier anderer Christen, ihnen von Gott zu erzählen: „Mein größter Gott ist Alkohol“. Wenn zwei Teenager-Mädchen Gershom Sikaala aus Sambia zunächst gespannt zuhören, dann jedoch genervt die Hände hochreißen, sobald dieser mit dem Namen Jesus rausrückt, ist das nur eine typische Reaktion, wie sie die Christen im fußballfiebrigen Deutschland im Jahr 2006 mehrfach erleben.

In der Armee Gottes, dem guten König

Mehrere Wochen begleiteten die Filmautoren Lilian Franck, Matthias Luthardt, Michaela Kirst und Robert Cibis die Mitarbeiter des evangelikalen Missionswerkes „Jugend mit einer Mission“ bei ihrem Einsatz im wenig evangelikalen Deutschland. „Die WM ist eine Jahrhundert-Chance. Wenn wir nichts machen, verpassen wir was“, feuert Tilman Pforr die freiwilligen Helfer in der Vorbereitungszeit im bayerischen Hurlach an. Pforr ist leitender Mitarbeiter von „Jugend mit einer Mission“ in Deutschland und Organisator der WM-Aktion. In einem Gottesdienst macht der junge Pforr den angereisten Helfern aus aller Welt klar, worum es geht: „Gott hat mich gefragt: ‚Willst Du in meine Armee eintreten? Ich wusste: Es gehört schon einiges dazu, in eine Armee einzutreten. Da gibt es keine Demokratie mehr. Das ist ein Befehl. Aber er ist ein guter König. Ich habe gespürt, wie der König sagte: ‚Ich stehe da draußen mit meiner Armee.‘ Auch euch fragt der Herr heute: ‚willst Du in meine Armee eintreten?“

Wenn einer so eine feurige Rede hält und davon spricht, in eine „Armee“ einzutreten, und die Menge jubelt daraufhin begeistert und beginnt zu tanzen, kann das bei so manchem Unbehagen auslösen, dem der biblische Sinn dahinter fremd ist. Das „in Gottes Armee eintreten“ und „da gibt’s keine Demokratie mehr“, was Missionsleiter Pforr selbstverständlich geistlich gemeint hat, haben die nichtchristlichen Filmautoren auf die Titelseite des Presseheftes gesetzt. „Religion. Viele Menschen verbinden mit diesem Wort Krieg und Terror“, heißt es dann auch in dessen Einführung. Sodann wird islamistischer Terror mit „fundamentalistischen Strömungen im Christentum“ auf eine Ebene gehoben. „Ihre Waffe ist nicht Sprengstoff, sondern Mission.“

Film beobachtet, statt zu urteilen

Sehr effektiv scheint diese Waffe nicht zu sein, kann nur das Resümee eines unvoreingenommenen Zuschauers des Films „Jesus liebt Dich“ lauten. Sprengstoff setzen jedoch auch die Filmemacher nicht ein. Eher neutral bleibt die Kamera 80 Minuten ständiger Begleiter von überzeugten Christen, die von einer Mission getrieben sind und Gutes nach Deutschland bringen wollen: nämlich Jesus.

Dabei hätten die Autoren ausreichend Gelegenheit gehabt, den Film zu einer Waffe gegen die porträtierten Christen einzusetzen und sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Offen ausgebreitet lagen sie da. Wenn ein jugendlicher Prediger mit langen Haaren und Spitzbart, sich von einer angespornten Menge feiern lässt, mehrfach zum Spenden aufruft und anschließend lachend und mit beiden Händen zahlreiche Geldscheine aus den Eimern schöpft, hätte manch ein böswilliger Filmemacher der Versuchung nicht standhalten können und die Szene bitterböse ausgenutzt und gegen „raffgierige Christen“ angewendet.

Kaum etwas davon im Film „Jesus liebt Dich“. Lediglich leise wird dem Zuschauer die Möglichkeit dargeboten, sich insgeheim seine eigenen Gedanken darüber zu machen, wer diese verrückten Typen mit dem Jesus-Zwang sein könnten. Das Presseheft ist da allerdings bissiger. Der Missionar Tilman Pforr lasse sich „wie ein zweiter Jesus“ feiern, schreibt etwa die Regisseurin Lilian Franck. Tatsächlich springt Tilman im Schwung der Freude darüber, zu „Gottes Armee“ zu gehören, wie bei einem Rockkonzert von der Bühne und lässt sich von der Lobpreis singenden Menge tragen. Früher, erzählt er im Film, hatte er sich in Drogen und Alkohol gestürzt. Bestimmt auch das eine oder andere Mal bei einem Rockkonzert in die Zuschauermenge. Doch christlich erzogen, sei er immer wieder zur Bibel zurückgekehrt, fährt er fort. „Mich haben immer wieder diese Rechtschaffenheit, Treue, Würde und Ordnung darin fasziniert. Alles Dinge, die ich nicht hatte, nach denen ich mich aber gesehnt habe.“ Zwischen den Betenden und Feierenden zeigt die Kamera kurz ein Kind. Auf der Bühne ruft Tilman die Christen im Raum dazu auf, Gottes Armee beizutreten. Dann sieht der Zuschauer, womit das Kind spielt: es sind kleine Plastik-Soldaten.

„Dann reden wir eben über Fußball“

Gershom Sikaala stammt aus Sambia, und in seinem Herzen ist der starke Wunsch, Deutschland die Botschaft von Jesus zu bringen. Und sei das Land auch gerade im sommerlichen Ausnahmezustand. Doch seine Gespräche mit den weißen Einheimischen, die Schwarz-Rot-Gold auf ihre Wangen gemalt haben, verlaufen insgesamt stockend. Von Jesus wollen sie wenig wissen. „Ok, let’s talk about football then“, gibt er resigniert auf. Schnitt.

Aus Liebe zu Jesus – oder aus Verzweiflung ? – drückt er in der U-Bahn auf den Knopf der Notrufsäule. Dem Mann am anderen Ende vermittelt er immer wieder: „Jesus loves you“. Der jedoch versteht weder Englisch noch, was er mit der Information anfangen soll. Vielleicht kam doch etwas bei ihm an? „You do a good job“, beendet Sikaala das Gespräch.

Die Szene, die dem Film seinen Namen gab, zeigt: voller Tatendrang und Phantasie und vor allem mit einer wichtigen Botschaft ist ein Haufen Christen aus den verschiedenen Ländern auf eigene Kosten nach Deutschland geflogen, doch einen sichtbaren Erfolg können sie am Ende nicht feiern. Cody Mui aus New York hat sich erst vor kurzem bekehrt, lässt sich aber überreden, beim Missionseinsatz in Deutschland mitzumachen. Entsprechend ängstlich und zurückhaltend stolpert er durch den Film und durch das unchristliche Fußball-Deutschland. Gerade die Unfähigkeit, mit ihrer Liebe die deutschen Herzen wirklich zu erreichen, macht es auch einem böswilligen Zuschauer am Ende schwierig, diese Menschen zu hassen. Nachdem die Christen im eher wenig frequentierten Potsdamer Schlosspark lange unter brennender Hitze erfolglos aber gut gelaunt versuchten, Menschen zu Jesus führen und danach in einem Mülleimer eine der verteilten Bibeln zerrissen wiederfinden, weckt sich beim ein oder anderen Zuschauer eher Mitleid. Böses haben diese Menschen jedenfalls nicht im Sinn.

Es kann sein, dass uns die Regisseure die Erfolgserlebnisse nicht zeigen und jedes wirklich gute Gespräch über Jesus herausgeschnitten haben. Bei einem Gottesdienst in der Berliner Südstern-Gemeinde, bei dem der ehemalige brasilianische Fußballstar Paulo Sergio predigt, bekehren sich immerhin ein halbes Dutzend Menschen. Gezeigt wird auch so manches Gebet, und sei es noch so persönlich. Es könnte sein, dass „Jesus liebt Dich“ der Film mit den meisten betenden Christen in der Filmgeschichte ist.

Bruder Xavier singt vom steinigen Weg

Und doch sehen die Protagonisten am Ende eher enttäuscht aus. Die italienische Mannschaft hat die Deutschen im Viertelfinale aus dem Turnier geworfen, es regnet in Strömen, und Deutschland trauert. Und mitten in Berlin führt Tilman Pforr gegen Ende des Films mit einem Mann ein Gespräch, das eher absurd als erhellend ist. Der anscheinend Betrunkene äfft schließlich christlichen Lobpreisgesang nach, den die Filmemacher in ein Konzert von Xavier Naidoo vor einer Menschenmasse übergehen lassen. „Dieser Weg wird kein leichter sein / Dieser Weg wird steinig und schwer“, sing der Barde mit pseudo-christlicher Attitüde. Und er hatte dabei sicherlich nicht den Weg christlicher Missionare im Lande Luthers vor Augen, das sich im Jahr 2006 kaum für einen anderen Gott als den Fußballgott interessiert.

Selbst wenn man nach einem von Deutschland gewonnen Finale auf einer großen Bühne auch nur wenige Sätze über Jesus gesagt hätte: „Ich glaube, wir hätten von irgendwem erzählen können“ – es wäre wahrscheinlich dasselbe Ergebnis dabei herausgekommen, resümiert ein Missionar. „Aber dafür hat ja Bruder Xavier ein Liedchen gesungen“, fügt er hinzu. Aber letztendlich kann niemand mit Sicherheit sagen, wie viele fußballverrückte Herzen die Botschaft „Jesus liebt Dich“ dann doch erreicht hat.

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