Das bringt mich flugs zu Maria Jepsen, die uns immer neue originelle Aussagen beschert. „Ich habe selber mal mit Herrn Kardinal Ratzinger einen Gottesdienst gefeiert, auch mit ihm zusammen am Altar gestanden“, ließ sie uns wissen. „Da merkt man doch, dass da gewisse Abgrenzungen von ihm sind und wir als Evangelische geschätzt werden als Menschen aber nicht als richtige Amtsträger, Amtsträgerinnen.
Dies lässt sich am besten auf Sächsisch kommentieren: Nu guggema! Sie spürte also eine gewisse Distanz — sie, die für die ersatzlose Streichung des Abtreibungsparagraphen 218 eingetreten war; sie, die statt des Kreuzes – dieser erlösenden Realität im Leben des Christenmenschen – die Krippe zum zentralen Symbol unseres Glaubens erheben will. Na, so etwas! Ich hoffe nur, dass der Lutherkenner Ratzinger der Frau Jepsen beim Rendezvous am Altar diese Worte des Reformators ins Ohr geflüstert hat: „Die ganze Schrift ist nichts anderes denn ein Wort des Kreuzes, verehrte Amtsschwester.“
Pikanterweise verlautbarte die Bischöfin Jepsen fernerhin über Papst Benedikt XVI: „Er hat Ängste vor dem Zeitgeist.“ William R. Inge, der „düstere Dekan“ der Londoner St. Pauls-Kathedrale in London im Zweiten Weltkrieg, widmete diesem Thema einen seiner scharfsinnigsten Aphorismen: Wer mit dem Zeitgeist ins Bett geht, wacht bald als Witwer auf. Frau Jepsen, die in einem Hamburger Homo-Magazin gleichgeschlechtliche Liebe lobhudelte, müsste eigentlich wissen, was es kostet, wenn eine Kirche mit dem Geist der Zeit schäkert: Sie verliert im Handumdrehen ein Drittel ihrer Mitglieder.
Ich bezweifle, ob es wirklich „Ängste“ sind, von denen der Papst sich leiten lässt. Aber selbst wenn’s „Ängste“ sein sollten, so wären sie nachempfindbar: Stellen wir uns vor, Benedikt XVI verlöre, wie Jepsen in Hamburg, ein Drittel seiner weltweiten Herde. Das käme einem Verlust von fast 400 Millionen katholischen Seelen gleich. Mit einer solchen Negativbilanz möchte niemand dereinst vor seinen Richter treten.
Die Bettgemeinschaft mit dem Zeitgeist, der leider in der evangelischen Kirche besonders heftig mit dem Heiligen Geist konkurriert, hat ihr immer größere Einbrüche beschert. Die Kirche macht sich vor allem gegenüber Außenseitern unglaubwürdig, wenn ihr beispielsweise die Kraft fehlt, dem Fernsehpfarrer Jürgen Fliege – Motto: „Gott ist ein Gangster“ – die Ordinationsrechte zu entziehen. Welches Unheil Zeitgeist-Theologen anrichten, wissen wie aus dem Zweiten Weltkrieg. Damals hat diese Spezies den gesamten deutschen Protestantismus weltweit in Verruf gebracht. Dies ist zwar zutiefst unfair, denn die Hitler-freundlichen „Deutschen Christen“ machten nur ein Drittel unserer Pfarrerschaft aus. Aber wir kennen alle das Sprichwort „mitgefangen – mitgehangen“. Es gilt eben leider auch für die Kirche.
Dies ist eine furchtbare Katastrophe, denn natürlich bedarf die Weltchristenheit auch der reformatorischen Stimme. Es sind denn auch nicht die vielen bekenntnistreuen Verkünder des Wortes, die den deutschen Protestantismus zu einer internationalen Lach- und Abspecknummer reduziert haben. Nein, es sind jene, die Punkt für Punkt die Wahrheit der Schrift leugnen, dann aber jammern, wenn Rom ihnen kein eucharistisches Schmusefest — will sagen: Abendmahlsgemeinschaft — gönnt. Nur ein Beispiel: Wer soll denn, bitte, eine „Kirche“ respektieren, die allen einschlägigen Passagen im Alten und Neuen Testament zum Trotz eine Lesbierin zur stellvertretenden Präsidentin macht, nachdem deren bibelwidrige Partnerschaft mit einer anderen Frau auch noch in einem „Gotteshaus“ geistlichen Segen erhalten hatte, wie unlängst in Hessen-Nassau geschehen?
„Wir Evangelischen brauchen keinen Papst“, lautet die Mantra, mit der manche unserer Kirchenführer versuchen, dem Medienzirkus um den deutschen Pontifex entgegenzusteuern. Das ist im Prinzip richtig, weil ja der evangelische „Papst“ – also die Autorität, nach der wir uns richten sollen – allein die Heilige Schrift ist. Die Sache hat nur einen Haken: In unserem lauten Medienzeitalter werden die bescheidenen Wortverkündiger kaum wahrgenommen. Gehört (und heimlich verlacht) werden hingegen jene, die immer wieder mit ungeheuer viel Stuss die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Diese Fliegengewichte können sich aber eben mit dem soliden Theologen aus Bayern auf dem Petrusthron in Rom nie und nimmer messen.