Der Papst auf Luthers Spuren

Martin Luther wäre wahrscheinlich ausnahmsweise einmal sprachlos gewesen, hätte er gesehen, wer da über die Schwelle seines Klosters tritt. Und in der Tat ist wohl noch nie ein Papst dem Reformator so nahe gekommen wie Benedikt XVI. am Freitag im evangelischen Augustinerkloster in Erfurt. Aber wie steht es um die Annäherung der beiden großen Kirchen?
Von PRO

Spätestens beim ökumenischen Wortgottesdienst in der evangelischen Augustinerkirche wurde klar, dass sich die großen Hoffnungen, die im Hinblick auf die Ökumene an den Besuch Benedikts XVI. geknüpft waren, nicht erfüllen würden. "Im Vorfeld des Papstbesuchs war verschiedentlich von einem ökumenischen Gastgeschenk die Rede, das man sich von diesem Besuch erwarte", sagte der Papst in seiner Ansprache. "Dazu möchte ich sagen, dass dies ein politisches Missverständnis des Glaubens und der Ökumene darstellt." Einheit wachse nur durch tieferes Hineindenken und Hineinleben in den Glauben. Auf solche Weise sei in den letzten 50 Jahren viel Gemeinsamkeit gewachsen, für die man nur dankbar sein könne.

Dem Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Nikolaus Schneider, war zwar schon im Vorfeld des Besuchs klar, dass der Papst die Stolpersteine zwischen der evangelischen und katholischen Kirche wie etwa die Diskussion um das gemeinsame Abendmal nicht gleich aus dem Weg räumen könne. In einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa sagte er, beide Seiten müssten jedoch überlegen, "wie wir uns bewegen können". Von der katholischen Kirche erhoffte er sich praktische Regelungen für den gemeinsamen Abendmahlbesuch von Ehepaaren unterschiedlicher Konfessionen. Aber noch nicht einmal diese gab es am Freitag. So war man denn auf evangelischer Seite schon sehr dankbar dafür, dass mit dem Besuch des Papstes wenigstens der Reformator Martin Luther gewürdigt wurde.

Besuch mit Symbolkraft

Gegenüber dem Christlichen Medienmagazin pro betonte der Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD Thies Gundlach die besondere Symbolkraft des Papstbesuchs in Erfurt. In der Tat ist es erstaunlich, dass der erste deutsche Papst seit Martin Luther diesen besonderen Ort aufgesucht hat. Luther lebte von 1505 bis 1511 im Erfurter Augustinerkloster und bezeichnete diese Zeit später als seine prägendsten Jahre in seiner inneren Suche nach Gott und dem Studium der Bibel. Der Papst ist hier buchstäblich auf Luthers Spuren gewandelt. In dem Raum, in der sich die beiden jeweils 20-köpfigen Delegationen der katholischen und der evangelischen Kirche begegnet sind, liegen noch die originalen Bodenfließen, auf die bereits Luther getreten ist. Hier wurde der Reformator in den Augustinerorden aufgenommen. In der Augustinerkirche, wo der Wortgottesdienst stattfand, stand der Papst an dem Altar, an dem Luther seine erste Messe gelesen hatte. Im Augustinerkloster wurde der Keim der Reformation gelegt.

"Konzept Luthers ist so aktuell wie nie"

Auch bei den Gesprächen der beiden Delegationen im Kapitelsaal des Augustinerklosters spielte Martin Luther eine besondere Rolle. "Wenn Ihre Diagnose zutrifft", wendete sich Schneider an Benedikt XVI., "dass von der spätmittelalterlichen Theologie des Vereinzelten, tief über Gott und die Welt verunsicherten Menschen Linien in die Moderne führen, dann gilt doch auch, dass das theologische Konzept Luthers und der Reformatoren, sich von Gott Gewissheit angesichts aller solcher Verunsicherung schenken zu lassen, so aktuell ist wie nie." Das gelte für die evangelischen Kirchen. "Aber gilt das nicht auch für unsere römisch-katholische Schwesterkirche und für die ganze anders- und nichtglaubende, aber ebenfalls zutiefst verunsicherte Welt – gerade in dieser äußerst krisenhaften Zeit?"

In seiner Erwiderung berief sich der Papst ebenfalls auf Luther. Für ihn als Bischof von Rom sei es ein bewegender Augenblick, im alten Augustinerkloster zu Erfurt mit Vertretern der EKD zusammenzutreffen. Was Luther umgetrieben habe, sei die Frage nach Gott gewesen. "Wie kriege ich einen gnädigen Gott?", diese Frage habe Luther ins Herz getroffen. "Dass diese Frage die bewegende Kraft seines ganzen Weges war, trifft mich immer neu", bekannte der Papst. "Die Frage: Wie steht Gott zu mir, wie stehe ich vor Gott – diese brennende Frage Martin Luthers muss wieder neu und gewiss in neuer Form auch unsere Frage werden. Ich denke, dass dies der erste Anruf ist, den wir bei der Begegnung mit Martin Luther hören sollten."

"Ökumene der Gaben"

Die Gespräche im Kapitelsaal seien von einer gegenseitigen Wertschätzung und einer guten Atmosphäre geprägt gewesen, sagte Gundlach, der zu der 20-köpfigen Delegation der EKD gehörte, gegenüber pro. Bei diesen Gesprächen betonte Schneider zwar die Gemeinsamkeiten der beiden Kirchen, brachte aber auch seine Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation der Ökumene zum Ausdruck: "Unseren Glauben leben wir in vielerlei Gestalt schon jetzt gemeinsam. Das ist ein großer Fortschritt! In getrennten Kirchen sind wir freundschaftlich verschieden – dafür sind wir dankbar. Aber damit können wir nicht zufrieden sein – nicht im Blick auf Christi Gebet um die ‚Einheit in seiner Nachfolge, damit die Welt glaube‘ und auch nicht im Blick auf die großen gemeinsamen Herausforderungen angesichts von Gott-Vergessenheit, Orientierungslosigkeit und Verunsicherung." Deswegen sei es an der Zeit für eine "Ökumene der Gaben", "in der unsere Charismen sich ergänzen und einander erhellen". Die Gabe, die die Kirchen der Reformation in einer weltweiten Christenheit einbrächten, sei die Gabe der Freiheit.

Der Papst war in dem Gespräch wiederum der Ansicht, das Notwendigste für die Ökumene sei, "dass wir nicht unter dem Säkularisierungsdruck die großen Gemeinsamkeiten fast unbemerkt verlieren, die uns überhaupt zu Christen machen und die uns als Gabe und Auftrag geblieben sind". Es sei der Fehler des konfessionellen Zeitalters, "dass wir weithin nur das Trennende gesehen und gar nicht existenziell wahrgenommen haben, was uns mit den großen Vorgaben der Heiligen Schrift und der altchristlichen Bekenntnisse gemeinsam ist." Es sei der große ökumenische Fortschritt der letzten Jahrzehnte, "dass uns diese Gemeinsamkeit bewusst geworden ist und dass wir sie im gemeinsamen Beten und Singen, im gemeinsamen Eintreten für das christliche Ethos der Welt gegenüber, im gemeinsamen Zeugnis für den Gott Jesus Christi in dieser Welt als unsere unverlierbare Grundlage erkennen."

"Beängstigende missionarische Dynamik"

Im Hinblick auf das starke Wachstum von unabhängigen christlichen Gruppen sprach Benedikt XVI. von einer tiefgehenden Veränderung der Geographie des Christentums in jüngster Zeit. "Vor einer neuen Form von Christentum, die mit einer ungeheuren und in ihren Formen manchmal beängstigenden missionarischen Dynamik sich ausbreitet, stehen die klassischen Konfessionskirchen oft ratlos da." Es sei ein Christentum mit geringer institutioneller Dichte, mit wenig rationalem und mit noch weniger dogmatischem Gepäck, auch mit geringer Stabilität. "Dieses weltweite Phänomen stellt uns alle vor die Frage: Was hat diese neue Form von Christentum uns zu sagen, positiv und negativ?"

Benedikt XVI. hat in Erfurt mehrmals deutlich gemacht, dass Ökumene für ihn nicht darin besteht, Vereinbarungen zu unterzeichnen und Verträge zu schließen. Er sieht einen anderen Weg, der insbesondere in seiner Ansprache im ökumenischen Wortgottesdienst zum Ausdruck kam. Dort bezog er sich auf Jesu Bitte um Einheit im Hohepriesterlichen Gebet. "Unser erster ökumenischer Dienst in dieser Zeit muss es sein, gemeinsam die Gegenwart des lebendigen Gottes zu bezeugen und damit der Welt die Antwort zu geben, die sie braucht. Zu diesem Grundzeugnis für Gott gehört dann natürlich ganz zentral das Zeugnis für Jesus Christus." Dies könnte Luther ähnlich gesehen haben. Anders als der EKD-Ratsvorsitzende hätte er aber den Papst wohl nicht nach dessen Ansprache umarmt. (pro)

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