Der Papst als Kirchengegner

Erneut hat Papst Franziskus einem Journalisten ein ausführliches Interview gegeben. Gegenüber dem italienischen Starjournalisten und Agnostiker Eugenio Scalfari sagte das katholische Kirchenoberhaupt, auch er werde manchmal zum Kirchengegner.
Von PRO
Erst vor zwei Wochen veröffentlichten die Zeitungen der Jesuiten ein Interview, das der Jesuit Antonio Spadaro im August mit Papst Franziskus in Kolumbien gemacht hatte. Es gilt als das erste längere Zeitungsinterview, das der Nachfolger von Papst Benedikt XVI. gab. Nun entstand aus einem offenen Brief des Chefredakteurs von „La Repubblica“ erneut ein Interview mit dem Papst.

Eugenio Scalfari gründete 1976 das linksliberale Blatt „La Repubblica“ und ist einer der bekanntesten Journalisten Italiens. Er bezeichnet sich selbst als Agnostiker, ist aber kein Feind der Kirche. Der Chefredakteur schrieb dem neuen Papst einen offenen Brief, den er in seiner Zeitung abdruckte. „Für den Autor ganz überraschend antwortete der Papst“, schreibt die Tageszeitung Die Welt, die das daraus entstandene Interview auf Deutsch übersetzt am heutigen Samstag abdruckte.

Papst Franziskus findet darin auch selbstkritische Worte: „Die Kirchenführer sind häufig Narzissten gewesen. Sie waren geschmeichelt und in schlechter Weise freudig erregt über ihre Höflinge. Der Hof ist die Lepra des Pontifikats.“ Die Kurie leide unter einer Schwäche, so Fanziskus. „Sie ist zu sehr auf den Vatikan fokussiert. Sie achtet und vertritt die Interessen des Vatikans. Die sind meistens von begrenzter Dauer. Diese Vatikan-zentrierte Sicht teile ich nicht. Ich werde alles tun, um sie zu ändern.“ Die Kirche solle vielmehr wieder „die Gemeinschaft des Gottesvolks sein“.

Eine Lehrerin habe ihm einst den Kommunismus nähergebracht, erzählt der Papst. Das habe sich für ihn als „nützlich“ erwiesen: „Ich habe einen Aspekt des Sozialen verstanden, der sich auch in der Soziallehre der Kirche wiederfindet.“ Doch der Materialismus des Kommunismus habe ihn abgeschreckt.

Der Journalist Scalfari erklärt, er sei zwar katholisch erzogen worden, doch habe er sich vom Glauben abgewendet. Er sei kein Kirchengegner, „aber ich werde einer, wenn ich einem Kleriker über den Weg laufe“, so der Journalist. Papst Franziskus erwidert: „Das passiert mir auch. Ich werde auch ein entschiedener Kirchengegner, wenn ich einem Kleriker gegenüberstehe. Der Klerikalismus dürfte mit dem Christentum nichts zu tun haben. Paulus war der erste, der das die Adligen, die Heiden, die Anhänger anderer Religionen gelehrt hat.“

„Ohne Paulus kann man kein bewusster Christ sein“

Auf die Frage, welcher Heilige ihn am meisten geprägt habe, antwortet der Papst: „Ohne Paulus kann man kein bewusster Christ sein. Er hat den Predigten Jesu eine doktrinäre Struktur gegeben, die angereichert mit den Aktualisierungen einer immensen Anzahl von Denkern, Theologen und Pastoren, 2000 Jahre später immer noch Bestand hat.“

Über den Moment, als er zum Papst gewählt wurde, sagt Franziskus: „Bevor ich die Wahl annahm, bat ich darum, mich für einige Minuten in den Raum neben dem Balkon, der auf den Petersplatz hinausführt, zurückziehen zu dürfen. Mein Kopf war komplett leer, mich hatte eine große Angst erfasst. Um sie vorbeiziehen zu lassen und mich zu beruhigen, schloss ich die Augen. Jeder Gedanke verschwand, auch derjenige, mich zu weigern, das Amt anzunehmen. Dann durchdrang mich auf einmal ein helles Licht. Es dauerte nur einen Augenblick, aber mir erschien es unendlich lange. Dann erlosch das Licht, ich erhob mich und ging in das Zimmer, in dem die Kardinäle auf mich warteten. Ich unterschrieb, der Kardinal Camerlengo zeichnete gegen. Und auf dem Balkon erschallte ‚Habemus Papam‘.“

Vor einigen Tagen rief der Papst die Katholiken auf, sich politisch und in der Zivilgesellschaft zu engagieren. Darauf angesprochen erwidert er: „Ich glaube, dass die Katholiken, die sich politisch engagieren, die Werte des Glaubens in sich tragen. Ich glaube, dass sie über das reife Bewusstsein und die Fähigkeit verfügen, ihnen zu folgen. Die Kirche wird niemals mehr tun, als ihre Werte auszudrücken und zu verbreiten. Das wird zumindest solange so sein, wie ich im Amt bin.“

Außerdem glaube er, „dass die ungezähmte freie Wirtschaft nichts anderes bewirkt, als die Stärkeren stärker, die Schwächeren schwächer und die Ausgeschlossenen noch ausgeschlossener zu machen“. Es brauche „große Freiheit, keine Diskriminierung, keine Demagogie und viel Liebe. Es braucht Verhaltensregeln und auch, wo es nötig wird, Eingriffe des Staates, um nicht hinnehmbare Ungleichheiten zu beseitigen“.

Als der Journalist Scalfari erklärt: „Einige meiner Freunde glauben, dass Sie mich zum katholischen Glauben bekehren wollen“, antwortet Papst Franziskus: „Proselytentum ist eine Riesendummheit, es hat gar keinen Sinn. Man muss sich kennenlernen, sich zuhören und das Wissen um die Welt, das uns umgibt, vermehren.“ (pro)
http://www.welt.de/politik/ausland/article120650427/Dann-durchdrang-mich-auf-einmal-ein-helles-Licht.html
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