Eine Dreiviertelmillion muslimischer Schüler lebt in Deutschland. Doch es gibt so gut wie keinen islamischen Religionsunterricht. Das soll sich ändern. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat den Mann porträtiert, der demnächst Lehrer für den Islamunterricht ausbilden soll.
Von PRO
1. September 2010
Foto: Trey Ratcliff (flickr)
Der 38 Jahre alte Mouhanad Khorchide ist seit Juli Professor für islamische Religionspädagogik am Centrum für religiöse Studien der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Ab Herbst sollen auch in Deutschland islamische Religionslehrer ausgebildet werden. Gegenüber der F.A.Z. erklärte er, weshalb seine Aufgabe so verantwortungsvoll ist.
Er müsse sich einerseits mit den muslimischen Verbänden gut stellen, schreibt die F.A.Z. Andererseits dürfe er es sich nicht mit der deutschen Politik verderben, denn die habe hohe Ansprüche an ihn. Der islamische Religionsunterricht soll zum einen dazu führen, dass sich muslimische Schüler in Deutschland besser integrieren. Außerdem soll er die Schüler immun gegen extremistisches Gedankengut machen und den Einfluss von Hasspredigern mindern.
Kinder und Jugendliche seien ideale Adressaten für eine antifundamentalistische Erziehung. "Sie sind in der Schule leicht zu erreichen, und sie machen einen großen Anteil der muslimischen Bevölkerung in Deutschland aus: Fast jeder vierte der knapp vier Millionen Muslime ist minderjährig", sagt Khorchide. Bisher hätten nur drei Prozent von ihnen islamische Religionskunde. Um den Unterricht flächendeckend einzuführen, wären allerdings mehrere tausend Lehrer nötig.
Um diese Lehrer auszubilden, sind in den letzten Jahren an mehreren Universitäten Studiengänge für islamische Religionspädagogik entstanden, die größten in Frankfurt, Osnabrück, Münster und Erlangen, berichtet die F.A.Z. Der ehemalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat im Rahmen der ersten Islamkonferenz die Errichtung von Islamischen Fakultäten zum Ziel erklärt. Deswegen stellt nun auch der Bund Mittel zur Verfügung, bisher zahlten dafür nur die Länder. Im Herbst soll Bundesbildungsministerin Annette Schavan darüber entscheiden, welche Universitäten den Zuschlag erhalten.
Ein liberaler Muslim
Khorchide stammt aus dem Libanon, aufgewachsen und zur Schule gegangen ist er im saudischen Riad. Er studierte im Libanon Islamwissenschaft und in Österreich Soziologie. Fünf Jahre predigte er als Imam in Wiener Moscheen und arbeitete selbst als Religionslehrer. Gegenüber der Wochenzeitung "Die Zeit" sagte Khorchide im Mai, von seinen Eltern habe er eine plurale Sicht der Religion mitbekommen. Er selbst sehe sich als einen "Muslim, der bemüht ist, eine starke innere Beziehung zu Gott aufzubauen und gleichzeitig allen Menschen gegenüber offen zu sein". Zum Kopftuch sagt er: "Das muss jede Frau für sich entscheiden."
Für Aufsehen sorgte 2009 seine Doktorarbeit, für die er mehr als die Hälfte der rund 350 islamischen Religionslehrer in Österreich nach ihren Einstellungen befragt hatte. Es stellte sich heraus, dass 33 Prozent rechtsstaatliche Prinzipien ablehnen. Über 20 Prozent lehnen die Demokratie ab, weil sie sich mit dem Islam nicht vereinbaren lasse, und 8,5 Prozent bezeichneten es als "verständlich, wenn Gewalt zur Verbreitung des Islam angewendet wird". 18,2 Prozent äußerten Verständnis dafür, wenn Muslime, die vom Islam abgefallen sind, mit dem Tod bestraft werden. 28,4 Prozent sehen einen Widerspruch zwischen "Muslim sein" und "Europäer sein".
Khorchide will für einen Islam mit menschlichem Antlitz werben, der mit der Demokratie vereinbar ist. "Viele verstehen den Islam immer noch als eine Gesetzesreligion, in der es vor allem darum geht, zwischen Erlaubtem und Verbotenem zu unterscheiden. Sie sehen in Allah einen zornigen Richter. Doch das Wichtigste an unserer Religion ist, dass Gott die Menschen liebt", sagt er gegenüber der F.A.Z.
Dass die meisten islamischen Länder Diktaturen sind und weder Menschenwürde noch Grundfreiheiten garantieren, sei nicht im Koran angelegt. Er ist überzeugt, dass der Anspruch der Religion begrenzt werden müsse. Wird der Islam nur als ethische und spirituelle Quelle verstanden, gebe es keinen Konflikt. Wenn es gelänge, diese Auffassung unter den Muslimen in Deutschland mehrheitsfähig zu machen, brauchte der Verfassungsschutz keine muslimischen Fundamentalisten mehr zu observieren.
Fragen wie diejenigen, ob muslimische Mädchen im Bikini mit Klassenkameraden ins Schwimmbad oder ohne Begleitung mit einem jungen Mann ausgehen dürfen, sind in Khorchides Augen pädagogische Fragen, keine theologischen. Die Eltern sollten sie mit ihren Kindern klären, "aber bitte, ohne sich auf den Koran zu berufen", denn der gebe auf derlei Fragen keine eindeutigen Antworten. (pro)
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