Deutsche Richter zeigten in ihren Urteilen viel Toleranz bei Angeklagten, wenn sie aus anderen Kulturkreisen als dem deutschen stammten, so die Berliner Anwältin türkischer Herkunft. Dabei seien die Juristen sehr von ihrem eigenen Umfeld, persönlichen Gefühlen und von „geschlechtsspezifischen Mustern“ beeinflusst. Sie nutzten die Möglichkeiten des Gesetzes nicht ausreichend, kritisierte Ateş.
Die 1963 in Istanbul geborene Seyran Ateş arbeitete von 1997 bis 2006 als Rechtsanwältin. Nach ständigen Bedrohungen und einem tätlichen Angriff auf sie schloss sie jedoch ihre Kanzlei. Sie gab ihre Anwaltszulassung zurück. Für ihr Engagement für Menschenrechte erhielt sie mehrere Auszeichnungen. Der Kongress „Wert Urteile – Judging Values“ fand vom 9. bis 11. Mai in Karlsruhe statt. Thema des Kongresses, den die Kulturstiftung des Bundes und die Stadt Karlsruhe initiiert hatten, war „Kulturelle Symbole, Religionsausübung – Die Grenzen der Toleranz“. Eingeladen waren 49 Experten für Recht, Soziologie und Religionswissenschaft.
Richter reagierten auf Fälle von „traditionsbedingter Gewalt“ oft „hilflos oder gar angespannt“ und achteten zu sehr auf die religiöse Motivation der Täter, sagte Ateş. Bei Mord aus Gründen der „Familienehre“ einer muslimischen Familie tendierten die Richter dahin, eher von einem Totschlag auszugehen als von einem Mord. Für Ateş ist dies eine „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates“. Der „Multi-Kulti-Irrtum“ habe sich längst auch in der deutschen Rechtsprechung verbreitet.
In Bezug auf das Urteil einer Frankfurter Richterin, die in ihrer Urteilsbegründung aus dem Koran zitierte, sagte Ateş, die Gerichte müssten sich auf die Rechtsprechung der Bundesrepublik stützen, nicht auf die Tradition des Täters. „Ja, wir haben eine schleichende Einführung der Scharia“, so Ateş. Viele Richter bestraften Täter auch deswegen zu milde, weil sie sich zu wenig mit der Thematik auskennten. Außerdem wies Ateş darauf hin, dass viele Taten gar nicht an die Öffentlichkeit kommen, weil die Opfer keine Anzeige erstatten. Der Frankfurter Richterin sei sie geradezu dankbar für ihre Begründung, da hier endlich offenbar werde, was seit langem Praxis sei. „Dass man sich auf den Koran bezieht, kommt ja nicht von ungefähr!“
Die Anwältin forderte, dass man Menschen, die nach Deutschland kommen, mit dem hier geltenden Wertekanon bekannt machen müsse. Dies könne in Integrationskursen geschehen. Zudem sei es wichtig, unter den Einwanderern die deutsche Sprache zu fördern. „Sprache ist der Zugang. Das ist für mich effektiver Opferschutz.“ Sie fügte hinzu: „So wie sich das Christentum in eine Rechtsordnung integriert hat, so verlange ich das auch vom Islam.“
Ateş kündigte an, das Preisgeld des Margherita-von-Brentano-Preises, den sie im Winter erhielt, für eine Rechtsprechungsanalyse verwenden zu wollen. Die 11.000 Euro des höchstdotierten Frauenpreises in Deutschland sollen dabei helfen, eine europaweite Untersuchung durchzuführen, die sich mit den Urteilen zu traditionsbedingter Gewalt beschäftigt.
Gewalt gegen Familienmitglieder
Sybille Schreiber von der Frauenrechtsorganisation „Terre des Femmes“ sagte auf dem Kongress, an ihre Organisation hätten sich 364 Mädchen und Frauen gewandt, weil sie traditionsbedingte Gewalt erlebt hätten. Von ihnen berichteten 160 von Morddrohungen gegen sie. „Eine Familie beschließt, ein Mitglied der Familie zu töten“, so Schreiber. „Es sind auch Männer betroffen, aber meistens Frauen.“ Gründe dafür könnten sein, dass eine Frau ihren Mann betrügt oder verlassen will. Häufig werden die so genannten „Ehrenmorde“ dabei als Selbstmord getarnt, oder die Opfer werden zum Selbstmord gezwungen.
Jährlich gibt es weltweit etwa 5.000 Fälle von „Ehrenmorden“. Darauf wies die Islamwissenschaftlerin Sylvia Tellenbach vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Recht hin. Betroffen seien 14 Länder, darunter Türkei, Jordanien, Syrien, Irak, Pakistan. In Deutschland würden diese Taten von Richtern meistens als „Totschlag“ angesehen, obwohl dafür Kriterien erfüllt sein müssten, die oft nicht gegeben seien: „heimtückisch“ etwa sei ein typischer Ehrenmord nicht, da die Opfer sich der Gefahr, in der sie schwebten, durchaus bewusst waren. Ehrenmorde würden aufgrund eines Beschlusses der gesamten Familie vollzogen, so die Rechtsexpertin. Deutsche Richter sahen jedoch oft eine „spontane Tat“, weil der Täter durch irgendetwas provoziert worden sei und im Affekt gehandelt habe.
Die ehemalige österreichische Bundesministerin und Mitglied im Nationalrat, Maria Rauch-Kallat, wies darauf hin, dass der Begriff „traditionsbedingte Gewalt“ nicht nur Mord, sondern auch Verstümmelung, Steinigung, Salzsäureattacken und Zwangsverheiratungen umfasse. Es gebe in 18 afrikanischen Ländern und im Nahen Osten die Praxis der Genitalverstümmelung, etwa in Nigeria, Ägypten, Sudan und Nigeria. Jährlich erlitten etwa 150 Millionen Mädchen diese schmerzhafte Prozedur. Aber auch in Europa sei das Problem wegen der aus diesen Ländern Immigrierten bekannt, so Rauch-Kallat. Die meisten Genitalverstümmelungen fänden bei einem Aufenthalt in den Herkunftsländern statt. Bei Steinigungen würden Männer nur bis zur Hüfte im Boden eingegraben, Frauen hingegen bis zur Schulter; daher könnten Männer dieser Strafe öfter entkommen als Frauen.
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