Meinung

Der kosmische Elefant im Raum

Viele naturwissenschaftliche Bücher belächeln theologische Fragen. Andere ignorieren sie vollständig. Die Astrophysiker Erik Bertram und Dominika Wylezalek gehen einen neuen Weg: Sie stellen die Fragen zwar, beantworten sie aber beharrlich nicht.
Von Jörn Schumacher
Alles Zufall im All?

Das Versprechen des Kosmos-Verlages, eine „leicht verständliche, kurzweilige Lektüre für Astro-Interessierte“, haben die Autoren Erik Bertram und Dominika Wylezalek erfüllt. Ihr Buch, das in dem angesehenen Verlag aus Stuttgart erschienen ist, ist eine gut lesbare und trotz der nur 224 Seiten eine umfassende Einführung in die großen Fragen der Kosmologie und den aktuellen Stand der Forschung. Bei Kosmos erscheinen traditionell großartige Bücher vor allem für Kinder und Jugendliche zu den Themen Natur, Garten, Astronomie und Gesundheit.

Wäre da nur nicht der leicht irreführende Titel des Buches. „Alles Zufall im All?“ steht da in großen Buchstaben auf dem Cover. Und klein darunter: „Das geheime Rezept des Universums“. Der Verlag kündigt „astronomische Antworten auf die großen Fragen der Menschheit“ an. Ob das Universum Zufall oder geplant ist, diese Frage stellen die Autoren tatsächlich immer wieder, indes interessieren sie sich im weiteren Verlauf dann nie wieder dafür. Der Untertitel des Buches wirft am Ende mehr Fragen auf, als im Buch beantwortet werden. Was ist „geheim“ an diesem „Rezept“? Was beinhaltet dieses Rezept? Von wem ist es? Wer kocht danach?

„Gab es eine Welt vor unserer?“

Erik Bertram arbeitet seit mehr als 15 Jahren als theoretischer Astrophysiker. Dominika Wylezalek ist vielfach ausgezeichnete Astrophysikerin am Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg. Beide studierten an der Universität Heidelberg, wo sie sich kennen lernten.

Die beiden Autoren führen den Leser gut verständlich durch die Wunder der Astronomie, erklären die wichtigsten Fragestellungen und wie man diese erforscht. Wie ein Teleskop funktioniert, steht dabei ebenso auf dem Programm wie die Beschaffenheit von Sternen, der Milchstraße oder wie man das elektromagnetische Spektrum nutzt, um die viele Lichtjahre entfernten Sterne zu untersuchen.

Philosophische oder theologische Fragen streifen sie dabei, ohne sie jemals wirklich ernsthaft anzugehen. Das wäre für ein naturwissenschaftliches Buch okay, würde es diese nicht immer wieder, wie der Titel nahelegt, aufgreifen. „Was vor dem Urknall war, ist wissenschaftlich nicht greifbar“, schreiben sie. „Gab es eine Welt vor unserer? Und wenn ja, wie hat sie sich von unserem Universum unterschieden? Fragen, die nicht nur für die Physik, sondern auch für die Philosophie und Theologie von fundamentaler Bedeutung sind“, verfolgen wolle man diese Fragen aber nicht, heißt es gleich danach. „Im letzten Kapitel werden wir darüber sinnieren, wie unglaublich fein abgestimmt das All wohl sein muss, damit biologisches Leben gedeihen kann“, lautet dann das Versprechen. Tatsächlich führen die Autoren in jenem Kapitel in die berühmte „Feinabstimmung“ ein, bei der viele Komponenten im Universum geradezu „wie gemacht“ für das Leben zu sein scheinen. Leider gehen sie nicht tiefer auf das Thema ein oder verknüpfen es mit den damit verbundenen Fragestellungen.

„Sein oder nicht sein“ interessiert die Astronomen nicht

Wenn William Shakespeare „Sein oder nicht sein, das ist hier die Frage“ behauptet, dann behandele er „die grundlegenden Fragen der Welt“, schreiben Bertram und Wylezalek, nämlich „die, die sich mit dem Leben und Tod auseinandersetzen, mit dem Sein oder Nichtsein.“ Und weiter verkünden sie: „Möglicherweise kann also sogar die moderne Kosmologie von jenem weltberühmten Monolog etwas über uns und unser Universum lernen. Erlauben wir uns diesen kleinen Ausflug
in die Welt der Philosophie.“ Es kommt aber auch leider hier: Keine Philosophie, sondern nur Naturwissenschaft. Wir alle müssen unsere Existenz offenbar einem bloßen Zufall verdanken: Beim Urknall entstand nicht, anders als es hätte sein sollen, exakt so viel Materie wie Antimaterie, sondern es blieben „ein paar Baryonen“ übrig, und aus denen bestehen heute sämtliche Galaxien, Sterne und Planeten. Was genau ist daran jetzt philosophisch, und wie könnte man die Fragen dazu angehen?

Im Kapitel über das „kosmische Finetuning“ sprechen die Autoren von „einem der größten ungelösten Rätsel der Physik“, nennen aber nicht einmal einen Bruchteil der Finetuning-Komponenten. Allein die Tatsache, dass das Universum nachgewiesenermaßen einen Anfang hatte, wirft große philosophische Fragen auf, die wie ein Elefant im Raum stehen, etwa die, ob alles von einem intelligenten Überwesen für das (menschliche) Leben erschaffen wurde („anthropisches Prinzip“), doch Bertram und Wylezalek umgehen sie und beschränken sich auf den Schluss: „Alles in allem scheint es, als würde eine Mehrheit der Kosmologen das anthropische Prinzip zwar als charmanten philosophischen Gedanken erachten, der jedoch in der Praxis nicht als mögliches Vorhersagewerkzeug überzeugen mag.“

Der britische Mathematiker und Apologet John Lennox hat jüngst in seinem Buch „Kosmos ohne Gott“ umfangreich naturwissenschaftliche Forschung mit der Gottesfrage in Zusammenhang gebracht. Er kommt zu dem Schluss, dass gerade die Wissenschaft Indizien aufzeigt, dass das Universum geradezu zweckmäßig – förmlich zielgerichtet – erschaffen wurde. Das Finetuning sieht dabei gerade nicht nach einem blinden Uhrmacher aus, sondern eher nach einem vorausschauenden Steuermann. Schade, dass Bertram und Wylezalek es nicht schaffen, diese Indizien anzusprechen, besonders, weil sie es an vielen Stellen versprechen.

Mit der Frage „Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?“ führen die Autoren ein Kapitel ein, sprechen dann aber nie wieder darüber. „Ein Universum, das so unwirklich und zufällig erscheint, dass man über seine Herkunft und seinen Sinn schnell ins Grübeln gerät“, bewundern sie an anderer Stelle, woanders stellen sie fest: „Es scheint auf den ersten Blick, als sei das Universum für unser Dasein wie geschaffen“. Doch am Ende wird dieser Gedanke nicht weiter verfolgt. Immer wieder sitzen die Autoren in einer Bar (es muss eine Bar sein) und philosophieren bierselig über das Universum, das Leben und den ganzen Rest. Nicht nur, dass sich die Autoren hier irgendwie unsympathisch an den Leser heranmachen (Astronomen können offenbar auch mal einen heben) – immer wenn es um philosophische Fragen geht, muss man offenbar leicht beduselt sein? Ernsthaft und wissenschaftlich kann man diese Fragen offensichtlich nicht behandeln, soll wohl die Marschrichtung sein.

Es bleibt – immerhin – eine gut verständliche Einführung in die Astronomie. Dass hier philosophische Fragen nur angetäuscht, aber nicht behandelt werden, wirft am Ende ein schlechtes Licht auf diese Disziplin. So als bestünde, gemäß einem alten Vorurteil, die Hauptaufgabe der Geisteswissenschaften darin, unbeantwortbare Fragen zu stellen, diese am Ende aber noch undurchsichtiger zu machen, als sie es schon waren, damit man sich dann, wieder nüchtern, der „eigentlichen“ Wissenschaft zuwenden kann.

Dominika Wylezalek, Erik Bertram: „Alles Zufall im All? Das geheime Rezept des Universums“, Kosmos-Verlag, 224 Seiten, 18 Euro, ISBN: 978-3440177907

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