„Der Katholizismus braucht eine echte Revolution“

In „Gelobt sei Gott“ schildert Regisseur François Ozon, wie mutige Männer gegen sexuellen Missbrauch in der Katholischen Kirche in Frankreich aufgestanden sind. Im pro-Interview erzählen er und Darsteller Melvil Poupaud von der Herausforderung, darüber einen Film zu machen. Die Fragen stellte Michael Müller
Von PRO
Der Film "Gelobt sei Gott" zeigt strukturelle Probleme innerhlab der Katholischen Kirche

pro: Herr Ozon, Ihr Film thematisiert sexuellen Missbrauch in der Katholischen Kirche. Sehen Sie strukturelle Probleme?

François Ozon: Das ist kein antikatholischer Film. Ich zeige die Kirche als Machtinstrument, das sich selbst schützt und dadurch die wahren Probleme nicht angeht. Bei dem missbrauchten Kind Alexandre, meiner späteren Hauptfigur in „Gelobt sei Gott“, hat mich berührt, dass er selbst Katholik ist. Er glaubte, innerhalb der Institution Kirche den Schutz zu finden, den er brauchte; dass die Kirche dafür da sei, den Schwächsten, nämlich den Kindern, zu helfen. Aber man merkt irgendwann, dass die Kirche eine Institution ist, welche die Worte von Christus nicht beherzigt. Es klafft ein riesiges Loch zwischen den Worten und den Taten. Im Prinzip ist die Kirche eine Machtinstitution wie andere politische Institutionen auch. Dann gibt es ein zweites Problem: Das ist das Verhältnis der Katholischen Kirche zum Körper und zur Sexualität; dass zum Beispiel von Priestern lebenslange Enthaltsamkeit verlangt wird.

Was hat Sie als Filmemacher an dem Stoff gereizt?

Ich hätte niemals gedacht, dass ich je einen Film über Pädophilie machen würde. Das kam zufällig. Ich las im Internet ein Interview mit dem echten Alexandre. Er erklärte genau, wie ihm als 40-Jähriger bewusst wurde, was ihm als Kind widerfahren war – und welchen schwierigen Weg er in der Auseinandersetzung mit der Katholischen Kirche in Lyon zurückgelegt hatte. Als ich mich mit ihm traf, gab er mir einen unglaublichen Packen an Dokumenten und sagte: „Machen Sie damit, was Sie wollen.“

Ihr Protagonist ist Christ. Wie stehen Sie selbst zur Kirche, der Religion und dem Glauben?

Meine Eltern sind katholisch, ich bin katholisch aufgewachsen. Ich habe als Jugendlicher relativ schnell den Glauben verloren, mir aber einen Respekt davor bewahrt, weil ich das Ganze in mir trage. Deswegen halte ich mich auch durchaus für legitimiert, diese Geschichte zu erzählen. Ich finde, dass viele Religionen inklusive der katholischen nicht mehr Schritt halten mit der heutigen Welt.

Wie meinen Sie das?

Die Religionen hinken auf eine Art der Zeit hinterher. Viele Katholiken haben meinen Film in Frankreich gesehen – eine Million Zuschauer. Ich habe da einen Nerv getroffen. Es hat sich zwar einiges geändert – das Schweigen der Katholischen Kirche ist so nicht mehr möglich. Aber alles braucht noch Zeit. Der Katholizismus braucht eine echte Revolution. Alle Bischöfe, die ich bisher getroffen habe, waren konservativ und alt. Es bräuchte einen jungen und progressiven Papst. Aber ich befürchte, dass das nicht bald geschieht.

Worüber haben Sie mit den Bischöfen gesprochen?

In jeder größeren Stadt unserer Kino-Tournee durch Frankreich haben wir den örtlichen Bischof eingeladen, sich unseren Film anzuschauen. In Straßburg war der Bischof zum Beispiel bereit, sich mit den Schauspielern zu treffen, aber nicht, nach dem Film eine Diskussion mit den Zuschauern zu führen. Er sagte uns hinter vorgehaltener Hand, dass er sich öffentlich nicht äußern darf, den Film aber für wichtig halte.

Wie nehmen Sie die Entwicklung des Katholizismus in Frankreich wahr?

Der Katholizismus in Frankreich befindet sich in einem relativ großen Abschwung. Was dadurch aber entsteht, ist eine Form der Radikalisierung. Bei den Katholiken hat sich ein harter Kern gebildet, der in Frankreich bei der Einführung der „Ehe für alle“ entstanden ist. Das ist zwar eine Minderheit. Aber sie macht viel Krach.

Vielen Dank für das Gespräch.

Antwort

pro: Herr Poupaud, Ihre Figur Alexandre basiert auf einem realen Menschen. Haben Sie vor dem Dreh mit ihm gesprochen?

Melvil Poupaud: François Ozon hat die gesamte Recherche zum Film gemacht. Er hat die Mitglieder des Opfervereins „La Parole Liberée“ getroffen, um so nahe wie möglich an die Realität heranzukommen. Ich hatte nicht das Bedürfnis. Das Drehbuch war bereits kraftvoll und bewegend. Es ist zwar die Geschichte der Opfer, aber sie ist adaptiert. Ich wollte nicht mit einer Person im Kopf schauspielern.

Warum?

Ich wollte nicht die gleichen Gesten benutzen, sondern einen eigenen Charakter erschaffen. Der richtige Alexandre hat auch fünf Kinder und geht bis heute jeden Sonntag in die Kirche. Aber die Kleidung, die ich im Film trage, ist bürgerlicher. Ich wollte einen typischen katholischen Franzosen aus dem Bürgertum porträtieren, wie man ihn mehr in Lyon als in Paris findet. Diese Typen werden sonst nicht in französischen Filmen dargestellt – oder sie sind Karikaturen, über die man sich lustig macht. Ich wollte hinter die Fassade blicken und einen mutigen und aufgeschlossenen Menschen zeigen.

Ihr Alexandre im Film ist trotz des Missbrauchs Christ geblieben. Können Sie ihn verstehen?

Als mich Ozon für diese Rolle angerufen hat, fragte er mich als Erstes, ob ich immer noch gläubiger Christ sei. Ich sagte: „Ja, natürlich. Ich glaube an Jesus Christus.“ Ozon wollte für Alexandre einen Schauspieler, der sich in seinem Leben bereits mit Fragen nach Vergebung und Gott beschäftigt hat. Ich weiß, dass ich christlich bin, weil ich an Jesus glaube. Er ist mein Erlöser. Aber ich bin nicht getauft und würde mich auch nicht als Katholiken oder Orthodoxen bezeichnen. Ich habe nichts mit der Institution Kirche am Hut. Ich bin einfach bewegt von den Worten Jesu Christi.

Beten Sie?

Das mache ich. Es ist ein kleines orthodoxes Gebet. Es heißt Herzensgebet. Dabei macht man Atemübungen und zitiert einen kurzen Satz. Es ist nützlich, wenn man gestresst ist. In Paris habe ich manchmal Probleme zu atmen – die Umweltverschmutzung, der Stress, mangelnder Sauerstoff in den Räumen. Das Gebet hilft mir dann.

Wie hat Ihnen Ihr Glaube geholfen, Alexandre zu spielen?

Vergebung steht für mich im Zentrum des Glaubens – und auch im Zentrum des Films. Der stellt die Frage, ob es möglich ist, einem Menschen zu vergeben, der einem schreckliche Dinge angetan hat. Ich kam über die Vergebung zur Religion, auch wenn ich als Kind nicht sexuell missbraucht wurde. Aber ich stellte bei mir Schuld fest. Ich brauchte Hilfe, um mich davon zu befreien. Die erhielt ich von Jesus. Im Film gibt es dieselbe Idee: Alle Figuren müssen auf verschiedene Weise an einem bestimmten Punkt vergeben. Meine Figur weiß, dass es schwierig ist, aber Gott ihr dabei helfen kann. Vergebung ist ein Geschenk, das wir von Gott erhalten. Das Wissen war für mich in einigen Szenen wichtig – etwa als Alexandre den Priester wiedertrifft, der ihn sexuell missbrauchte. Für mich war das nicht schwierig zu spielen, weil ich mich mit der Frage bereits beschäftigt hatte. Aber es war schmerzvoll beim Lernen der Dialoge, weil ich die Bilder von der Beschreibung des Missbrauchs nicht im Kopf haben wollte.

Haben Sie mit Mitgliedern des Opfervereins gesprochen, nachdem diese den Film sahen?

Ja, das war bewegend. Als wir die erste Filmvorführung für die Crew machten, entdeckte ich einige der Opfer im Publikum. Ozon war besorgt um ihre Reaktion, weil er Details in den Film brachte, zu denen die Opfer sagten, dass man sie besser weglasse. Aber er hielt es für eine gute Idee, auch diese Dinge anzusprechen. Nach der Vorführung bedankten sie sich bei uns, weil der Film nahe an der Realität sei und bei ihrem Anliegen weiterhelfe. Es war eine Erleichterung für Ozon. Dort traf ich zum ersten Mal Alexandre. Ich lernte noch mehr darüber, wie mutig und heldenhaft er im Leben gewesen ist und wie ihn seine Familie dabei unterstützt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Antwort

Regisseur François Ozon berichtet in dem Film, wie mutige Männer gegen den sexuellen Missbrauch innerhalb der Kirche vorgehen Foto: pro/Jörn Schumacher
Regisseur François Ozon berichtet in dem Film, wie mutige Männer gegen den sexuellen Missbrauch innerhalb der Kirche vorgehen

Der Film „Gelobt sei Gott“, der auf wahren Begebenheiten beruht, kommt am 26. September ins Kino. Er handelt von drei Männern, Alexandre (Melvil Poupaud), François und Emmanuel, die als Kinder in Lyon vom selben Priester missbraucht wurden. Sie gründen einen Opferverein und gehen gegen die Katholische Kirche vor

Der Artikel ist in der aktuellen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro erschienen, das Sie hier oder telefonisch (06441/5667700) kostenlos bestellen können.

Von: Michael Müller

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