„Der Fernseher tritt in den Hintergrund“

Das Fernsehen war schon immer „sozial“, aber heutzutage müssen sich die Fernsehsender mehr um die sozialen Medien kümmern, sagt der Journalist und Blogger Richard Gutjahr. pro hat mit dem Medienprofi über die Zukunft des interaktiven Fernsehens gesprochen.
Von PRO
Man schaut immer noch zusammen fernsehen, sitzt dabei aber nicht mehr unbedingt auf derselben Couch, sagt Medienprofi Richard Gutjahr

pro: Als „Social TV“ bezeichnet man die Verbindung von Fernsehen und sozialen Medien. Was hat sich dadurch verändert?

Richard Gutjahr: Fernsehen war immer „social“. Die Menschen haben immer gerne zusammen geguckt. Sei es als Drei-Generationen-Familie oder beim Public Viewing. Wir Menschen sind sozial veranlagt, und wir wollen das, was wir im Fernsehen sehen, zusammen bereden. Das hat sich aber radikal verändert. Früher hat man gefragt: „Hast du ges<discretionary-hyphen>tern Abend ‚Wetten, dass …?‘ gesehen?“, und heute fragen wir: „In welcher Serie hängst du gerade?“ Jeder macht mittlerweile sein eigenes Programm. Durch die Technologie von heute sitzt man nicht mehr vor einem Bildschirm, sondern die Familie sitzt in drei verschiedenen Zimmern vor drei verschiedenen Bildschirmen. Die Rückkanäle sind das, was uns alle wieder miteinander verbindet. Ich kann über den Second Screen (also einen Computer oder ein Smartphone, Anm. d. Red.) mit meinen Freunden „Schlag den Raab“ gucken mit ihnen darüber reden. Damit simuliere ich quasi das Zusammensitzen wie früher mit der Familie.

Wie hat der Second Screen das Fernsehen verändert?

Es gibt eine Inflation an Bildschirmen, und darauf findet jetzt ein Kampf um Aufmerksamkeit statt. Die Fernsehsender versuchen alles mögliche, um die Leute bei sich zu halten. Und wenn die Werbepause läuft, will man, dass die Zuschauer wenigstens auf dem zweiten Bildschirm nicht Angry Birds spielen oder sogar die Konkurrenz ansteuern, sondern dass sie über die Werbepause hinweg bespaßt werden. RTL und ProSieben verlängern ihr Programm über ihre Interactive-Angebote: Da kann man dann beispielsweise mit den Charakteren in der Pause chatten, oder es gibt ein Quiz, etwa bei „Voice of Germany“ oder „Schlag den Raab“. Neulich wurden die Zuschauer in der Werbung dazu aufgerufen, Wörter zu posten, die ihnen zum neuen BMW einfielen. Dann konnten die Zuschauer über eine App Begriffe eintippen. Eine Werbepause später lief dann ein Spot zu diesem neuen BMW, in denen diese Wörter vorkamen. Das ist alles noch Spielerei, aber ich denke, das eine oder andere davon wird irgendwann gang und gäbe werden.

Kennen Sie noch weitere Beispiele, bei denen sich Sender darum bemühen, das Fernsehen interaktiver zu machen?

Ich habe jetzt ein Jahrzehnt hinter mir, wo gar nichts probiert worden ist, und jetzt kommt es auf einmal aus allen Richtungen. Da ist irgendwas aufgebrochen. Aber „Social TV“ hat nicht die Macht, schlechte Sendungen zu retten. „Wetten, dass …?!“ hatte sich ja bemüht, mit einer Second Screen-App, die letztes Jahr eingeführt wurde, auch das jüngere Publikum zu begeistern. Das hatte wenig Erfolg. Der WDR macht eine Menge. Die „Aktuelle Stunde“ hat eine App integriert, bei der sich der Zuschauer beteiligen kann. Das ZDF experimentiert ständig mit irgendwelchen neuen Formaten auf ZDFneo, bei denen man abstimmen kann.

Was können die Fernsehmacher besser machen?

Viele, die diese Angebote für den Second Screen machen, überfrachten ihn. Oder sie schaden sich selbst, indem sie mit Videoangeboten selbst Konkurrenz zu ihrem Hauptprogramm machen. Das hat auch der Spielfilm „App“ im ZDF gemacht. Dort begannen dann plötzlich auf dem Second Screen ein anderes Bewegtbild, etwa aus einer anderen Perspektive. Ich habe nur zwei Augen, und die sind immer auf das Gleiche gerichtet. Bewegtbild neben Bewegtbild geht einfach nicht. Das artet dann oft schnell in Stress aus, und das will man beim Fernsehen ja eher nicht. Der Fernseher wird immer mehr zu einer Geräuschkulisse oder einem Bilder-Teppich im Hintergrund, von dem aus ab und zu Anreize und Impulse auf mich einströmen. Meine Aufmerksamkeit richtet sich aber währenddessen auf den Second Screen, wo ich klicken, drücken und scrollen muss. Es gibt einen Grund, warum Twitter parallel zum Fernsehen funktioniert, und Facebook nicht: Bei Facebook hat man immer viele Bilder und Videos, und das überfordert einen beim Fernsehen. Bei Twitter oder WhatsApp gibt es nur kurze, 140 Zeichen lange Texte. Das schafft man beim Fernsehkonsum eher. Bei unserer eigenen Sendung, der „Rund-Show“, haben genau die Dinge am besten funktioniert, die unser Publikum nicht zu sehr abgelenkt haben vom Hauptgeschehen. Die App aus der „Rund-Show“ nutzt mittlerweile der WDR. Ich moderiere dort die Nachrichten, und hin und wieder machen wir mit dieser App in der „Aktuellen Stunde“ eine Umfrage, etwa: Sind Sie für den Ankauf von Drohnen, ja oder nein? Das kommt sehr gut an, da stimmen bis zu 10.000 Menschen jeden Abend ab.

Welche Ideen haben Sie für die Zukunft des „Social TV“?

Ich sage voraus, dass jeder in fünf bis zehn Jahren das guckt, wonach ihm gerade ist. Jeder baut sich sein Programm selbst oder Algorithmen übernehmen das. Dann machen wir den Fernseher an, und er bietet uns die Serien an, die wir zuletzt geguckt haben, oder Nachrichten und Sportergebnisse, die uns interessieren. Zum Teil kenne ich das schon aus Israel, wo ich auch lebe. Dort schauen wir ganz anders fern als in Deutschland. In Israel haben wir ein Oligopol von verschiedenen Kabelfernsehen-Anbietern. Alle Programme sind 48 Stunden zurückspulbar, das User-Interface ist relativ einfach zu bedienen. Ich würde keine extra Internet-Sendung oder Social-TV-Programm machen, sondern ein Programm, das man ohnehin gerne schaut, mit einer interaktiven App ausstatten, wenn es Sinn macht. Etwa bei einer Talkshow wie Maybritt Illner oder Günther Jauch, oder bei einer Verbrauchersendung, zu der man als Zuschauer Fragen stellen kann. Die Leute haben sich an ihr Smartphone und ihren Tablet-PC gewöhnt und die Geräte in den Alltag integriert, auch die Älteren. Deswegen glaube ich, dass es den Begriff „Social-TV“ in fünf Jahren gar nicht mehr geben wird, weil es so normal geworden ist. Richard Gutjahr arbeitet seit 14 Jahren für die ARD, er moderiert die Nachrichtensendung „WDR aktuell“ sowie die Spätausgabe der BR-Rundschau. Daneben schreibt er regelmäßig als Kolumnist für die Münchner Abendzeitung und den Berliner Tagesspiegel. Im Sommer 2012 moderierte Gutjahr ein von ihm entwickeltes SocialTV-Projekt namens „Rundshow“. Er ist mit der ehemaligen israelischen Knesset-Abgeordneten Einat Wilf verheiratet und lebt in Tel Aviv und München.
https://www.pro-medienmagazin.de/fernsehen/detailansicht/aktuell/smartphone-und-fernbedienung-89206/
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